Filmkritiken

"Untitled" Bildgewaltiges Vermächtnis

Ein Film ohne Thema sondern voller Eindrücke und magischer Momente, mit diesem Wunsch brach Michael Glawogger 2013 auf eine Weltreise auf, um nach diesen Momenten zu suchen. Nach vier Monaten Reise starb er Anfang 2014 unerwartet an Malaria in Liberia, die gesamte österreichische Filmlandschaft trauerte um einen der größten Dokumentarfilmer des Landes. Die Produktionsfirma Lotus Film überlegte, was man mit den 70 Stunden Material, das Glawogger für seinen neuen Film bereits gedreht hatte, machen könnte und beschloss mit seiner langjährigen Cutterin Monika Willi den Film fertig zu stellen.

Don't kill your Darlings

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In einer Zeit, in der täglich über gefälschte Bilder und Informationen debattiert wird, besinnen sich Glawogger und Willi wieder auf die stärkste und wichtigste Eigenschaft des Dokumentarfilms: das Beobachten. Keine politische Message, keine Person die man porträtiert, sondern einfaches Beobachten und Zusammenfügen von Geschehnissen auf dieser Welt. Durch dieses Konzept entsteht unweigerlich eine politische Haltung, die in jedem Schnitt, den Willi setzt, mitschwingt und einen spannenderen Diskurs über Globalisierung ermöglicht, als viele andere „gesellschaftskritische“-Filme es möglich machen. Die eingefangenen Momente bestechen vor allem durch ihre Unmittelbarkeit, wobei viele von ihnen in einem gewöhnlichen Dokumentarfilm mit einem übergeordneten Thema, der unter CutterInnen gebräuchlichen Praxis „Kill your Darlings“ zum Opfer fallen würden und niemals auf einer Leinwand zu sehen wären. Das soll nicht bedeuten, dass sich „Untitled“ aus Resten oder unfertigen Szenen zusammensetzt, aber viel mehr, dass dieser Film den Luxus hat, narrative Vorgaben zu missachten und dadurch eine größere Wahrheit ans Tageslicht zu bringen, als es ein genau durchkonzipierter Dokumentarfilm je könnte.

Großartiger Schnitt

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Untitled“ feierte seine Premiere auf der Berlinale in der Sektion Forum und bot somit Glaowogger noch ein letztes Mal die Möglichkeit, seinen Film auf einem A-Festival einer breiten Öffentlichkeit zu zeigen. Er feierte mit seinen Dokumentationen über prekäre Arbeitsbedingungen („Workingmans Death“) und Prostitution („Whores Glory“) Erfolge auf den Festivals in Venedig und Toronto und wurde für sein Gespür für Extrem-Situationen international bekannt. Auf seiner Reise für "Untitled" wurde er vom Kameramann Attilla Boa und vom Tonmeister Manuel Seibert begleitet. Neben dem Team am Set ist vor allem die Arbeit von Cutterin Monika Willi hervorzuheben. Ihr einzigartiges Gespür für Timing und Bewegung verleiht dem Film eine Narration, die auf Verknüpfung von Stimmungen setzt und dem Zuseher durch den Schnitt die Möglichkeit bietet, seinen eigenen Film zu sehen.

Der Film eröffnete die Diagonale und gehört jetzt schon zu den österreichischen Filmhighlights des Jahres.

Özgür Anil

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