Filmkritiken

TRAUMMÄNNCHEN AUF WELTREISE

Für die unverbesserlichen Tagträumer in uns allen hat James Thurber 1939 eine wirklich kurze Shortstory von nicht einmal 10 Druckseiten veröffentlicht, deren Wirkungsmächtigkeit kaum abzusehen war, denn der Name des Träumers ist fester Bestand der englischen Phraseologie geworden: „That`s a Walter Mitty“ sagt man von allen, die eher in ihrer Fantasiewelt als in der Realität zuhause sind.

Allerdings gibt die Shortstory inhaltlich nicht so viel her, um damit einen abendfüllenden Film zu bestreiten: Ehemann Walter fährt mit seiner Frau in die Stadt und erledigt ein paar Besorgungen, während Mrs. Mitty beim Friseur ist; zwischendurch schweift sein Geist immer wieder ab, und lässt ihn heldenhafte Taten vollbringen, sei es im Soldaten- oder Ärztemilieu. Mehr als die ausufernde Phantasietätigkeit konnte also für eine erste Filmversion im Jahr 1948 nicht übernommen werden: der verträumte Danny Kaye ist dort in einem Verlag für Schauerromane tätig und wird zuletzt nicht nur in seinem Tagtraumleben in einen echten Kriminalfall verwickelt, bei dem er die Verbrecher natürlich im Alleingang zur Strecke bringt und eine geliebte Frau erringt.

Auch Ben Stiller ist durch den Text kräftig ins Träumen geraten und hat sich nach „Tropic Thunder“ zu einer weiteren Regiearbeit inspirieren lassen. Bei diesem lange geplanten Projekt, das seit Mitte der 90er Jahre mit wechselnden Beteiligten immer wieder aufgeschoben wurde, handelt es sich nicht etwa um ein bloßes Remake des älteren Werks, sondern diverse Drehbuchautoren haben in mehrfachen Überarbeitungsschritten eine völlig eigenständige Geschichte erdacht.

Stiller macht sich in der Rolle des Traummännchens wirklich gut, denn er kann herrlich weggetreten wirken. Der neue Walter Mitty ist als unscheinbarer Fotoarchivar bei einem Hochglanzmagazin tätig, führt aber in seinen Tagträumen ein umso abenteuerlicheres Leben: z.B. hechtet er von der Hochbahn-Plattform in die Tiefe durch ein geschlossenes Zimmerfenster, um das Haustier seiner heimlich angeschwärmten Arbeitskollegin aus den Flammen zu retten oder liefert sich mit dem neuen großkotzigen Vorgesetzten einen herzhaften Zweikampf in Superheldenmanier.

Erst als das vorgesehene Titelfoto für die letzte Printausgabe des „Life!“-Magazins nicht auffindbar ist, ergreift der Reisemuffel die Initiative und startet Richtung Grönland los. Auch Island und der Himalaya liegen auf seiner Route, bis er schließlich sein großes Vorbild, den Starfotografen Sean O' Connel aufspüren kann. Mittys verborgene Talente werden im Kontakt mit der weiten Welt geweckt, doch gänzlich unverborgene Stars stehen Stiller dabei zur Seite: als Meisterfotograf vom ganz alten Schlag (was man daran erkennt, dass der Typ nicht mal ein Handy verwendet) hält Sean Penn sein von Wind + Wetter + Lebenserfahrung gegerbtes Gesicht in die Kamera; und als Walter Mittys Mutter bekommen wir die legendäre Shirley MacLaine in einem ihrer selten gewordenen Auftritte zu sehen. Wirklich sensationell sind aber vor allem die zum Träumen anregenden Landschaftsaufnahmen, weshalb sich dieser Mitty 9 von 10 erstaunlichen Punkten auf meiner Traumfilm-Skala verdient hat.

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