Filmkritiken

"Everest" auf Netflix: Tragödie in der Todeszone

Der isländische Regisseur Baltasar Kormákur bringt nicht nur seine Protagonisten gnadenlos in Bedrängnis, sondern kann auch uns akute Höhenangst verursachen. Wir haben es hier mit einem wahren Fall von Hoch- und Höchstgebirgstourismus zu tun.

Wahres Berg-Drama

Das Bergsteigerdrama aus der Todeszone hat sich tatsächlich so zugetragen: im Mai 1996 erklettern gleich mehrere Gruppen unter professioneller Führung den Everest Gipfel. Die meisten der Teilnehmer erreichen ihn auch unbeschadet, doch als es an den Abstieg geht, bricht eine verheerende Unwetterfront über das Gebiet herein und die Expedition endet in einem Desaster. Einige der Leichen wurden bis heute nicht geborgen und sind in der Bergeinsamkeit verschollen.

Auf zum Gipfel!

Den ZuschauerInnen zumindest jenen, die vom Bergsteigen nichts verstehen  drängt sich unweigerlich die Frage auf: Warum tut sich jemand so etwas an und investiert tausende Dollars, um unter lebensfeindlichsten Bedingungen Schnee und Eis zu trotzen, sich auf Leitern über Gletscherspalten zu hangeln und senkrechte Schneewände hochzukämpfen oder von Atemnot heimgesucht, hustend, keuchend und Blut spuckend, dahinzustolpern, um dann „on top of the world“ eine Freudenpirouette zu drehen (falls man dazu physisch überhaupt noch in der Lage ist) und nach wenigen Gipfelminuten wieder den nicht minder qualvollen Abstieg anzutreten? Dabei hat man ständig vor Augen, den Tod zu finden oder, mit etwas Glück, bloß ein paar Gliedmaßen zu verlieren. Hebt das alles wirklich so sehr das Selbstwertgefühl und ist es ein probates Mittel, dem Alltagstrott zu entfliehen oder eine herannahende Depression zu bekämpfen? Einige der wagemutigen Bergtouristen nennen in dem Film ihre Gründe, aber so ganz glaubhaft klingt das selbst für die Weggefährten nicht. Dennoch wird ihre Begeisterung bis zu einem gewissen Grad auch für uns nachvollziehbar.

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Clarke, Gyllenhaal, Brolin und Watson am Berg

Gerade die Vielzahl von Beteiligen bringt es mit sich, dass die meisten von ihnen hier nur recht grob charakterisiert werden. Abgesehen vom Everest gibt es aber dennoch ein paar menschliche Hauptfiguren: Jake Gyllenhaal und Jason Clarke spielen zwei Bergführer, die mit sehr unterschiedlichen Methoden an ihre verantwortungsvolle Aufgabe herangehen und schließlich vor der Natur kapitulieren müssen. Josh Brolin fühlt sich in seiner Rolle als Texaner auf dem Berg offensichtlich gar nicht wohl, beweist dann aber den größten Durchhaltewillen, und Emily Watson wird als Camp-Betreuerin zur besorgten Übermutter aller Abenteurer. Dabei spart der Regisseur auch nicht mit rührenden Szenen: die schwangere Frau (Keira Knightley) eines der Opfer hat das traurige Privileg, von ihrem hoffnungslos verlorenen Mann durch ein Telefonat Abschied zu nehmen und hört buchstäblich dessen letzte Atemzüge mit.

Diesen Film sollten sich wirklich nur die ganz Mutigen in der IMAX-Version ansehen, denn er ist so realistisch geraten, dass man davon mindestens mentale Erfrierungen im 3D-Grad davonträgt.

8 von 10 nicht vorhandenen Yetispuren.