Filmkritiken

"The Happy Prince": On the Wilde Side of Life

Der dickliche müde alte Mann (tatsächlich ist er erst Mitte 40) lebt in einer Pariser Absteige, treibt sich in Kaschemmen herum, hat Kontakt zu Straßen(strich)jungen, leidet unter Armut und wirkt sehr krank. Offenbar hat er schon bessere Tage erlebt. Tatsächlich war er einst in Großbritannien ein Liebling der Salons, der Aristokratie und des reichen Bürgertums:  hochgeachtet für seine geniale Feder, bewundert für seinen zündenden Witz, und seine Stücke wurden auf dem Theater bejubelt. Zwar nennt er sich nun Sebastian Melmoth, doch in Wirklichkeit trägt er einen viel berühmteren Namen: Oscar Wilde.

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Gebrochen durchs Gefängnis

Wegen Homosexualität in einem aufsehenerregenden Prozess 1895 zu zwei Jahren schwerem Kerker und Zwangsarbeit verurteilt, ist er nach seiner Entlassung körperlich und seelisch schwer mitgenommen und tritt sofort den Weg ins französische Exil an, wo er fortan unter falschem Namen lebte. Unterstützung erhält er nur noch von wenigen Personen. Auch seine Ehefrau und die beiden Söhne bekommt er nicht mehr zu Gesicht. Geldmangel, Krankheit und versiegende Kreativität gewinnen unausweichlich die Oberhand. Daran kann das Auftauchen seiner großen Liebe Lord Alfred „Bosie“ Douglas auch nichts ändern, denn der blasierte junge Mann, um dessentwillen Wilde überhaupt erst ins Gefängnis musste, sucht rasch wieder das Weite, sobald kein Geld mehr da ist.

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Everetts Herzensprojekt

Rupert Everett legt mit knapp 60 seine erste eigene Regiearbeit vor und man merkt, dass ihm dieses Projekt ein besonderes Herzensbedürfnis gewesen ist. Erst vor wenigen Jahren verkörperte er Oscar Wilde auf einer Londoner Bühne in einem Erfolgsstück, das sich ebenfalls dem letzten Lebensabschnitt des irischen Schriftstellers gewidmet hat. Nun inszeniert er dieses traurige Kapitel erneut mit sich selbst in der Hauptrolle. Für die eindrucksvolle Verwandlung in den Künstler hat er seinem Körper unübersehbar einiges abverlangt und etliche Kilos zugelegt. Auch die übrige Besetzungsliste kann sich sehen lassen. Emily Watson spielt Wildes unglückliche Ehefrau, die von der ganzen Affäre regelrecht gebrochen wurde und sich nur noch mit Hilfe von zwei Stöcken fortschleppt; und einer der letzten Getreuen wird durch Colin Firth in eine eher undankbare Rolle verkörpert: außer seine von einem gewaltigen Schnauzbart gezierte Oberlippe herzuzeigen, bleibt ihm nicht viel zu tun.  

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Ein Märchen als Leitmotiv

Leitmotivisch verwendet der Regisseur Wildes Märchen vom glücklichen Prinzen, in dem eine reich verzierte Denkmalsfigur aus Mitleid mit den Armen ihre Kostbarkeiten durch eine Schwalbe unters Volk verteilen lässt und völlig unansehnlich zurückbleibt. Das kann man unschwer als Demontage seiner eigenen Person erkennen und der Film wird zum berührenden Porträt des Künstlers als gebrochener Mann. Dass er bei der Überstellung ins Zuchthaus von Reading auf einem Bahnhof vom Volk erkannt, beschimpft, verspottet und bespuckt wurde, empfindet er als absoluten Tiefpunkt seines Lebens.  Sogar in Frankreich wird er in einer Szene zum Verfolgten, nachdem ihn ein paar junge Briten identifiziert haben. Dadurch wirft der Film auch Streiflichter auf den Umgang der viktorianischen Gesellschaft mit Homosexuellen.

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Fieberfantasien

Die Handlung entwickelt sich fiebertrunken, kunstvoll von vielen Erinnerungsbildern und Visionen durchsetzt: auf dem Sterbebett (ein möglicher Tod durch Syphilis wird angedeutet) sieht sich Wilde zum Beispiel Königin Viktoria und ihrem Hofstaat gegenüber, aber auch die zwei geliebten Söhne sitzen, für die Augen der anderen unsichtbar, plötzlich neben ihm; und durch die gewählte Kameraperspektive scheint er sogar noch aus dem Sarg das Geschehen bei seiner Beerdigung zu beobachten.

Dennoch versiegt seine Phantasie bis zuletzt nicht ganz:  einem kleinen Streichholzverkäufer muss er bei jeder Gelegenheit ein Märchen als Fortsetzungsgeschichte weitererzählen (während er mit dessen älterem Bruder ganz andere Dinge treibt). Vielleicht war ja auch sein betrüblicher Niedergang nur ein böses Märchen. Doch leider scheint es genau umgekehrt zu sein und die Erinnerungen an bessere Tage wirken wie ein schöner Traum.         

 8 von 10 traurigen Geistesriesen

franco schedl