The Defenders: Superhelden Team-Up des Jahres findet diesmal auf Netflix statt!
Von Erwin Schotzger
Heute treffen Matt Murdock (aka Daredevil), Jessica Jones, Luge Cage und Danny Rand (aka Iron Fist) erstmals aufeinander. Eingefleischte Superhelden-Aficionados und Marvel-Fans warten darauf schon seit 65 Folgen. Das Konzept ist nicht neu: 2012 landete Marvel im Kino mit den Avengers einen weltweiten Kinohit. Zuvor wurden die zentralen Figuren Iron Man, Thor und Captain America in eigenen Filmen aufgebaut. Das dritte Thor-Sequel „Thor: Ragnarök“ kommt im Herbst in die Kinos. Doch diesmal findet das Team-Up nicht am Big Screen statt. Willkommen in 2017: TV-Streaming ist das neue Kino.
Wiederholt Netflix den Erfolg von "Marvel’s The Avengers"?
Netflix setzt mit "The Defenders" auf das gleiche Konzept. Die Defenders sind eine urbane, Street-Level-Version der Avengers. Während Iron Man, Captain America & Co am laufenden Band die gesamte Menschheit retten, schlagen sich die Defenders mit dubiosen kriminellen Organisationen in New York herum. Auf lokaler Ebene sind diese Kleinkriminellen aber nicht weniger ambitioniert als die durchgeknallten Aliens, Götter und Roboter, die von den Avengers aus dem Verkehr gezogen werden. Über beachtliche Fähigkeiten verfügen sie natürlich auch. Doch der Plot bleibt meist im übersichtlichen Rahmen von Manhatten – oder um genau zu sein von Stadteilen wie Harlem oder Hell’s Kitchen.
Daraus ergeben sich einige Vorteil für das Story-Telling im TV-Serienformat: Weniger CGI-getriebene Action-Spektakel, dafür ein stärkerer Fokus auf der Entwicklung der Charaktere – nicht nur bei den Helden, auch bei den Schurken. Zudem legt Netflix die TV-Welt der Marvel-Helden deutlich düsterer und erwachsener an als im Kino. Doch nach einem beeindruckenden Auftakt mit Daredevil und einem großartigen Portrait der eher unbekannten Heldin Jessica Jones haben die Superhelden-Stories ein wenig an Drive verloren. Es bleibt daher die Frage: Geht das Erfolgskonzept im TV-Format auf?
Daredevil – der blinde Crime Fighter
Die erste Staffel von "Daredevil" (2015) überraschte mit einem im Vergleich zu den doch eher bunten Marvel Kinofilmen mit einem sehr düsteren Look & Feel, der sehr anChristopher Nolans Batman-Trilogieerinnerte. Kein Wunder. Die Inspiration lieferten in beiden Fällen Graphic Novels von Frank Miller: Netflix adaptierte in der ersten Staffel von Daredevil im Wesentlichen Millers Origin Story von Daredevil, „The Man without Fear“. In 13 Folgen nahm sich Netflix fast zu viel Zeit, um den Helden Matt Murdock (Charlie Cox), seine Sidekicks Foggy Nelson (Elden Henson), Karen Page (Deborah Ann Woll) und Claire Temple (Rosario Dawson) zu charakterisieren. Eine gute Entscheidung war hingegen, der großartigen Charakterisierung des Bösewichts Wilson Fisk aka Kingpin (Vincent D’Onofrio) genügend Raum zu bieten. Dadurch erhielt der Held einen würdigen Gegenspieler und das Einer-gegen-die-Mafia-Drama erst die richtige Tiefe.
In der zweiten Staffel von Daredevil wird dieser Charakter-basierte Erzählstil einfach weitergeführt. Eigentlich handelt es sich um zwei beinahe getrennte Handlungsstränge, die diesmal die beiden Anti-Helden Electra und den Punisher etablieren.
Jessica Jones – die Smartass-Detektivin
Mit "Jessica Jones" gelang Netflix ein fulminanter zweiter Streich. Die weitgehend unbekannte Superheldin wurde in einem packenden Film Noir Crime-Drama porträtiert. Die Charakterentwicklung ist auch hier wieder breitausladend. Wie schon zuvor bei "Daredevil" dreht sich der Plot in der Staffelmitte etwas im Kreis, bevor die Handlung nach einem Twist wieder Fahrt aufnimmt. Das Gefühl, dass die Story auch in 10 statt 13 Folgen erzählt werden könnte, kommt bei allen Netflix Marvel’s zwischendurch auf. Aber hier gibt es eigentlich keinen Grund zu meckern. Die Heldin (Krysten Ritter) wird ebenso mitreißend charakterisiert wie der sie prägende und wahrlich angsteinflößenden Gegenspieler Kilgrave (David Tennant). Wenig überraschend basiert auch die erste Staffel von Jessica Jones auf einer abgeschlossenen Comic-Vorlage: Es wird der Handlungsbogen von „Alias“ von Comic-Autor Brian Michael Bendis erzählt.
Luke Cage – der kugelsichere Local Hero
Bei "Luke Cage" wird die Suppe schon deutlich dünner. Zwar ist die Serie eine beeindruckende Reminiszenz an Blaxploitation-Filme der 1970er-Jahre und allgemein an die Afro-Amerikanische Kultur rund um Funk, Soul, R’n’B und Hip-Hop. Das spiegelt sich nicht nur im Soundtrack und im Look & Feel der Serie wider. Jeder Episodentitel bezieht sich auf einen Song des Hip-Hop-Duos Gang Starr. Luke Cage wird als kugelsicherer Local Hero gut porträtiert. Aber das Gleichgewicht zwischen ausführlicher Charakterisierung und handlungstreibender Action läuft diesmal ziemlich aus dem Ruder. Netflix liefert hier über weite Strecken zähes Storytelling mit Tendenz zum Einschlafen – vor allem, wenn man ein Freund des Binge-Watchings ist. Mehr als ein bis zwei Folgen hintereinander sind ohne exzessiven Kaffeekonsum und dem starken Willen, einmal Begonnenes auch zu Ende zu bringen, nur schwer durchzuhalten.
Erstmals wird bei "Luke Cage" klar, dass auch bei Netflix keine Wunderwuzzis die Drehbücher schreiben, sondern vielmehr Experten der TV-Adaption literarischer Vorlagen am Werk sind. Und genau das ist das Problem mit "Luke Cage" und noch viel mehr mit "Iron Fist": Beiden Serien liegt im Gegensatz zu "Daredevil" und "Jessica Jones" keine abgeschlossene Geschichte im Sinne einer Graphic Novel zugrunde, sondern lediglich eine Vielzahl an unterschiedlichen Comic-Kurzgeschichten aus der langen Historie der beiden Marvel-Charaktere.
Iron Fist – der hitzköpfige Kung-Fu-Meister
"Iron Fist" ist das letzte Kapitel vor dem lang erwarteten Team-Up. Danny Rand (Finn Jones) hat seine Eltern bei einem tragischen Unfall verloren. Er ist Erbe eines Milliardenvermögens und der Aktienmehrheit eines internationalen Technologiekonzerns - eine klassische Batman-Figur also. In einem mystischen Kloster wird er von Kung-Fu-Mönchen zum ultimativen Martial-Art-Kämpfer ausgebildet und schließlich auch noch von einer mystischen Macht des Guten als Träger der magischenIron Fistauserkoren. Soweit so gut. Nur was zu einem Kung-Fu-Spektakel mit Reminiszenzen an Bruce Lee, Hongkong Action-Movies oder Serien-Klassiker wie "Kung Fu" hätte werden können, verkommt zu einer langweiligen Coming-of-Age-Soap-Opera.
Der ultimative Kung-Fu-Meister des Marvel-Universums, der von einer höheren Macht als Verteidiger des Guten auserwählt wurde, stellt sich als manipulierbarer Teenager mit einem Vater-Komplex in der Größe eines Wolkenkratzers heraus. Bei "Marvel’s Iron Fist" scheitert sogar die Charakterisierung des Helden. Nach einem Schurken mit Format Ausschau zu halten, erübrigt sich daher. Im Gegenteil: Die Untergrundorganisation The Hand, die in der zweiten Staffel von Daredevil noch furchteinflößend war, wirkt hier wie eine dilettantische Straßengang.
Am Freitag wird sich weisen, ob Netflix mit "The Defenders" diese Fehltritte ausbügeln kann und mit dem Team-Up wieder einen coolen Serien-Touchdown landen kann.