Filmkritiken

"Black Swan" auf Disney+: Tanz auf der Wahnsinnsgrenze

Wer glaubt, Ballett bestehe bloß darin, dass eine grazile Figur möglichst anmutig über die Bühne hopst und sich zwar körperlich verausgabt, aber geistig zu keinen großen Höhenflügen ansetzt, hat spätestens nach diesem Film einen gründlichen Umdenkprozess nötig. Sich als Tänzerin in eine Tierrolle einzufühlen, birgt selbst bei einem so unspektakulären und vor allem ungefährlichen Wesen wie einem schwarzen Schwan nicht zu unterschätzende Risiken und Nebenwirkungen

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Die dunkle Seite muss ans Licht

Der künstlerische Leiter (Vincent Cassel) des New York City Ballet besetzt eine Newcomerin mit einer heißbegehrten Doppelrolle für seine Neuinszenierung von „"Schwanensee"“: Nina ( Natalie Portman) soll gleichermaßen den unschuldigen Weißen als auch den sinnlich-triebhaften Schwarzen Schwan verkörpern. Um ihre dunkle Seite tänzerisch glaubhaft umsetzen zu können, muss sie ihre angepasste Bravheit ablegen, was gerade ihr besonders schwer fällt. Ähnlich wie Elfriede Jelineks Klavierspielerin Erika Kohut lebt Nina nämlich in einem ungesunden Nahverhältnis zu ihrer Mutter und wird von ihr emotional ausgebremst.

Als ehemalige Balletteuse, die der Tochter zuliebe auf ihre Karriere verzichtet hat, sieht sie in der jungen Frau noch immer ein asexuelles kleines Mädchen, das zur Perfektion gedrillt werden muss, aber auf freie Persönlichkeitsentfaltung kein Anrecht hat. Der berufliche Leistungsdruck in Verbindung mit den familiären Hintergründen bringt das geistige Gleichgewicht der Tänzerin gewaltig durcheinander und psychotische Schübe nehmen immer mehr überhand.

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Verdopplungs-Motiv

Für ein ähnlich beunruhigend perfekt inszeniertes Abdriften in den Wahnsinn müsste man mindestens bis 1965 zu Roman Polanskis „"Ekel"“ zurückgehen. Naheliegenderweise durchzieht das Verdoppelungs-Motiv den gesamten Film und öfter entwickelt ein Spiegelbild unheimliches Eigenleben. Auch in der realen Welt taucht für Nina eine Doppelgängerin auf, als sie sich in ein halluzinatorisches Konkurrenzverhältnis zur Zweitbesetzung (Mila Kunis) ihrer Rolle hineinsteigert .

Die Kamera bleibt fast die gesamte Zeit über hautnah an den Figuren – besonders in den Ballett-Szenen macht sie die Zuschauer schwindeln und reißt uns einen optischen Wirbel hinein. Die Übergänge zwischen Wirklichkeit und Phantasie sind so perfekt inszeniert, dass wir niemals mit Gewissheit sagen können, ob wir uns gerade in Ninas Einbildungswelt bewegen.

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Ballett als Knochenjob

Regisseur Darren Aronofsky sah diesen Psycho-Thriller als logische Fortführung seines vorigen Films „"The Wrestler"“, indem er Gemeinsamkeiten zwischen der angeblich niedrigen Kunstform des Catchens und der hohen des Ballett aufzeigt. Aronofsky führt uns den Beruf einer Ballerina als ähnlichen Knochenjob vor, wie er das zwei Jahre zuvor für die Catcher-Szene getan hat.

Das wurde nicht nur vor der Kamera deutlich, sondern erst recht in der Vorbereitungsphase des Films: Innerhalb weniger Monate musste die fast 30j-ährige Natalie Portman einen Intensivkurs für ihre Ballett-Tauglichkeit durchlaufen und eignete sich dabei Fähigkeiten an, von denen manche Nachwuchsballerinen nur träumen können. Das befähigte sie neben schauspielerischen auch zu athletischen Glanzleistungen.

4 von 5 malträtierten Fuß-Spitzen.

"Black Swan" ist ab 26. November auf Disney+ verfügbar.