Filmkritiken

SUPERBER HORROR AUS AUSTRALIEN

Samuel ist ein Sonderfall. Seine Mitschüler fürchten ihn, Lehrer misstrauen ihm, seine Tante hasst ihn. Zwar umrahmen weiche Locken sein Köpfchen. Doch der intensive Blick, der aus dem Gesicht starrt, verheißt nichts Gutes. Mit Panik-, Schock- und Schrei-Attacken stellt er seine alleinerziehende Mutter auf harte Proben.

Man kann festhalten: Samuel zählt zu den verhaltensauffälligeren Kindern der jüngeren Kinogeschichte. Obwohl bereits sieben, hat er seinen Geburtstag noch nie zum richtigen Datum gefeiert. "Weil an diesem Tag mein Vater tödlich verunglückt ist, als er meine Mutter zur Entbindung ins Spital fahren wollte", erzählt er der peinlich berührten Umwelt.

Und damit wären wir schon mittendrin im Trauma, das dem superb-subtilen Psycho-Horror von "Babadook" zugrunde liegt: Die unterdrückten Trauer einer Frau, die über den Tod ihres Mannes nicht hinwegkommt und völlig alleingelassen als Mutter zu scheitern droht.

Die Australierin Jennifer Kent landete mit ihrem Spielfilmdebüt einen Horror-Hit auf dem Sundance-Festival. Angeblich hat sich sogar William Friedkin, Regisseur von "Der Exorzist", gefürchtet.

Man darf sich "Babadook" aber nicht als krassen Grusel ausmalen, bei dem grässliche Dämonen durch die Wände brechen. Eher schon klopft es hin und wieder seltsam an der Tür und niemand steht draußen. Oder es poltert im Kleiderkasten und die Tischlampe flackert. Ziemlicher Old-School-Horror also, aber psychologisch raffiniert und handwerklich effektiv in Szene gesetzt.

Schwarzer Mann

Als ob die einsamen Mutter-Kind-Abende im bleich-blauen, düsteren Haus nicht trist genug wären, zieht der Bub das Buch vom Babadook aus dem Regal. Arglos beginnt die Mutter die Geschichte vom Schwarzen Mann vorzulesen. Und schon haben sie ihn am Hals, den BA-ba DOOK! DOOK! DOOK!

Dass Horror oft im Kern der Familie lauert, wissen wir spätestens, seit Jack Nicholson in "The Shining" mit der Spitzhacke den Sohn erledigen wollte. Und dass auch Mütter ganz schön unheimlich werden können, haben uns Veronika Franz und Severin Fiala in ihrem Horrordebüt "Ich seh Ich seh"erzählt.

Amelia, die zarte Altenpflegerin, ist erst ganz sanftmütige Mutter. Doch die Trauer um den toten Gatten drückt sie, der anstrengende Sohn strapaziert sie, die strafenden Blicke der anderer Mütter demütigen sie. Ihre Stimme wird schneidender, ihr Gesicht verzerrter, das Kind, der kleine Scheißer, unerträglicher. Unflätige Worte purzeln aus ihrem Mund. Danach kann sie selbst nicht glauben, was sie gesagt hat.

Doch die Grenze ihrer Mutterliebe ist erreicht, der Horror beginnt. Mit schlafwandlerischer Sicherheit lotet Jennifer Kent jenes schattige Terrain aus, das zwischen Mutterliebe und ihrer Überforderung liegt. Und besonders das Ende, das sie sich für dieses Dilemma hat einfallen lassen, ist unübertroffen.

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