Filmkritiken

"Stronger": Ein Terroropfer als unfreiwilliger Hoffnungsträger

Über den Terroranschlag beim Boston Marathon im Jahr 2013 hat es erst vor wenigen Monaten einen Film gegeben („Boston“ von Peter Berg). Am Ende dieses Werks haben wir auch Originalaufnahmen von einem der Opfer gesehen: der Mann war auf Beinprothesen ein paar Jahre später wieder beim Marathon dabei. Um genau diese Person geht es im aktuellen Film „Stronger“ und es wirkt, als sollte die eher banale Weisheit „Was uns nicht umbringt, macht uns stärker“ anhand eines wahren Falls bewiesen werden.

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Ein Mann aus einfachen Verhältnissen

Bisher hat Jeff Bauman für eine Supermarktkette als Hühnerbrater gearbeitet und noch bei seiner Mutter gelebt. Sie und seine anderen Verwandten sind einfache Leute - oder im Klartext: sehr nahe an der Prolo-Grenze. Eigentlich ist er am Tag des Anschlags gar nicht mitgelaufen, sondern hat seine Ex-Ex-Ex-Freundin (tatsächlich haben sie schon dreimal miteinander Schluss gemacht) begleitet, um sie aus dem Publikum heraus anzufeuern und an der Ziellinie zu erwarten. Der Sprengsatz explodiert in seiner unmittelbaren Nähe und er verliert dadurch beide Beine über dem Knien. Kaum im Krankenhaus erwacht, kann er sogar noch wichtige Angaben zu einem der Attentäter machen.

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Boston Strong

Unter dem Motto „ Boston Strong“ feiert ihn seine Heimatstatt als bestes Beispiel dafür, dass man sich durch den Terror nicht unterkriegen lässt. Jeff selbst reagiert auf diesen ungewollten Ruhm zunächst sehr verhalten und es ist vor allem seine Mutter, die gar nicht genug von der Publicity für ihren Sohn bekommen kann. Talk-Lady Ophra kündigt sich für einen Besuch an, Jeff eröffnet Sportveranstaltungen, indem er Fahnen schwenkt oder den ersten Wurf in einem Baseballspiel absolviert; und im Gespräch mit wildfremden Menschen erkennt er, dass er für viele tatsächlich zu einer Art Hoffnungsträger geworden ist. Schließlich trifft er auch jenen Mann, der ihm dank rascher Wundversorgung das Leben gerettet hat.

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Mühsame Rückkehr ins Leben

Jake schafft es, den Widerstreit der Gefühle, in den seine Figur gerät, auf dermaßen berührende Weise darzustellen, dass uns all die emotionalen Momente wirklich nahegehen werden. David Gordon Greens Film zeigt mit großer Ehrlichkeit, wie man mit so einem schweren Schicksalsschlag klarkommt, was unter diesen Bedingungen eine Rückkehr in die sogenannte Normalität bedeutet und wie lange es dauert, bis auch die seelischen Wunden verheilen. Jeff muss sich erst wieder mühsam alle Lebensbereiche zurückerobern – sogar das Erreichen des Klopapiers von der Toilettenschüssel aus wird für den Beinlosen zu einem schwierigen Unterfangen. Wir begleiten ihn auf seinem Weg, bis er endlich wieder auf zwei (künstlichen) Beinen stehen und mit ihnen gehen kann. Zugleich wird es auch ein charakterlicher Reifungsprozess, bei dem er lernen muss, eigene Entscheidungen für sein zukünftiges Leben zu treffen. Bisher scheint er ein großer Junge geblieben zu sein, der gern vor Problemen davonläuft und keine Verantwortung übernehme will.

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Ungeschönte Geschichte

Abgesehen von Gyllenhaal gibt es in dieser Produktion keine großen Stars oder bekannten Gesichter, aber jede Rolle scheint perfekt besetzt zu sein. Man gewinnt den Eindruck, dass „Stronger“ die Geschichte ungeschönt und ohne Übertreibungen erzählt und fragt sich oft verwundert, was wohl einige der realen Personen empfinden müssen, wenn sie sich nun auf so wenig schmeichelhafte Weise verkörpert sehen. Aber da es wohl ein Charakterzug der Bauman-Familie ist, mit allen fertig zu werden, kommen sie bestimmt auch damit klar.

9 von 10 aufrechten Punkten

franco schedl