7 Serien mit homoerotischen Subtexten
Von Manuel Simbürger
In Serien nach homoerotischen Subtexten und Metaphern anhand philosophischer und literaturwissenschaftlicher Leitlinien suchen? Queer Reading macht's möglich! Darunter versteht man eine ganz besondere Methode des Gegen-Lesens von Texten (sprich: auch Serien!), nämlich die Suche nach dem versteckten Begehren im Text. Unterzieht man Serien einer queeren Lektüre, "liest" man diese über Grenzen aller Art hinweg – Geschlechter, Sexualität, Genres, Heteronormativität.
Um queere Metaphern und "Schattengeschichten" sichtbar zu machen, konzentriert man sich auf das, was zwischen den Zeilen ausgesagt wird, man liest also gegen den Strich und achtet auf die "blinden Flecken" im Text. Der Grundgedanke: Nur, weil etwas nicht gesagt wird, heißt es nicht, dass es im Text nicht vorhanden ist. Das alles geht mit einem radikalen Umdenken bezüglich Figurenkonstellationen, narrativer Erzählstruktur, Handlungsverläufen, Sprache und bisher gekanntem "Lese"verfahren einher.
Dass Queer Reading mehr ist als bloßes Wunschdenken und sehnsüchtige Interpretation von queeren Zuseher*innen, zeigt beispielsweise der berühmte Hays Code (1930-1967), der offene Darstellung von (unter anderem) Sexualitäten und Geschlechtern außerhalb der Heteronormativität streng untersagte. Filmschaffende waren deshalb über viele Jahrzehnte hinweg gezwungen, auf subtile, aber kreative Anspielungen in Filmen und Serien zurückzugreifen. Berühmte Beispiele: "Ben Hur" (1959) oder "Gone with the wind" (1939). Nicht zu vergessen: Noch heute ist die Darstellung von queerer Sexualität in TV und Kino in vielen Ländern untersagt.
Seit sich Queerness aber einen (mehr oder wenigen) fixen Platz im westlichen Mainstream erkämpft hat, wird Queer Reading von der LGBTIQ-Community auch kritisch aufgenommen, von der Entertainment-Industrie allerdings gerne für unterschwelliges Marketing verwendet – und zwar in Form von "Queerbaiting".
Darunter versteht man eine gefinkelte Taktik, um queeres Publikum anzulocken, ohne dabei aber konservative Zuschauer*innen abzuschrecken – und zwar auf subtile, nur angedeutete Art und Weise. So entsteht ein queerer Subtext, der nur von sehr aufmerksamen und/oder queeren Zuseher*innen überhaupt wahrgenommen wird. Die Kritik: "Queerbaiting" würde die Message verbreiten, dass nicht-heterosexuelle Lebensweisen okay sind, solange sie nicht zu explizit in den Vordergrund gerückt werden und man beim Gros der Bevölkerung nicht aneckt.
Die 7 besten Serien mit homoerotischem Subtext:
Scrubs (2001 - 2010)
Es gibt sie noch, die wahre innige Verbindung zwischen zwei Männern, eine Bromance, wie sie im Buche steht: Die jungen Assistenz-Ärzte J.D. und Turk verbindet eine Beziehung zueinander, die jener einer Ehe nicht nur ähnlich ist, sie wird im Laufe der neun Staffeln sogar als konstanter, vielschichtiger, intimer, aufrichtiger und stärker gezeichnet. Beide gehen in ihrer Zuneigung zueinander mehr auf als in jeder Beziehung zu einer Frau, auch liebevolle Koseworte, lange Umarmungen, tiefe Blicke und grundehrliche Gespräche über die eigenen Gefühle sind ihnen nicht fremd – und nicht peinlich!
Denn J.D. und Turk nutzen jede Gelegenheit für öffentliche Liebesbekundigungen für ihren besten Freund, der einen besser versteht als jeder andere Mensch da draußen. Die Intimität der beiden geht sogar soweit, dass J.D. in Depressionen verfällt, wenn er länger von Turk getrennt ist, was im Grunde bereits Züge einer gefährlichen Abhängigkeit erkennen lässt. In der Musical-Episode "Mein Musical" fassen die zwei Ärzte ihre Gefühle in einen gefühlvoll-verspielten Song mit dem vielsagenden Titel "Guy Love" zusammen.
Die unleugbare Chemie zwischen J.D. und Turk ist tatsächlich mehr als sehnsüchtige Interpretation: Die Schauspieler Zach Braff und Donald Faison verbindet auch im wahren Leben eine langjährige beste Freundschaft, die bis heute anhält. Auf Instagram bezeichnen sie sich gegenseitig gerne als ihre "wahre große Liebe". Männliches Begehren ist eben mehr als nur schwarz oder weiß.
Grace and Frankie (seit 2015)
Grace and Frankie, Seniorinnen, beste Freundinnen, Mitbewohnerinnen und die einzig legitimen Nachfolgerinnen der "Golden Girls", zeigen im Laufe der Serie ein queereres Verhalten als ihre schwulen Ex-Gatten: Ähnlich wie ein altes Ehepaar können die beiden nicht mit- aber vor allem auch nicht ohne einander. Da wird permanent gezankt, sich ruhmreich versöhnt, ein Haushalt miteinander geteilt.
Grace – vor allem in den ersten beiden Staffeln – möchte mit Männern nichts mehr zu tun haben, Hippie Frankie ist ohnehin der Meinung, dass man ohne jegliche Normen und Restriktionen das Leben genießen sollte. Manchmal teilen sie sogar das Bett miteinander, kuscheln am Sofa, haben sich bereits nackt gesehen. Jede freie Minute wird miteinander verbracht, sie kennen einander in- und auswendig. Nicht selten gibt es sogar spezifisch sexuelle Anspielungen zwischen den beiden, die über die Bewunderung des Körpers des Gegenübers weit hinausgehen.
Die sexuelle Spannung zwischen ihnen wird durch das gemeinsam ins Leben gerufene Start-Up, das Vibratoren für ältere Frauen vertreibt, noch zusätzlich unterstrichen. Verirrt sich doch ein Mann in deren Leben, wird dieser (zumindest anfangs) als gefährlicher Störfaktor empfunden – sowohl vom Publikum als auch den Figuren –, der die enge Beziehung zwischen Grace und Frankie aufs Spiel setzt. Die jeweils Andere kann und will ihre Eifersucht in diesen Momenten nicht verbergen.
Nicht zu vergessen: Die Prämisse der Serie gleicht der (früheren) Lebensrealität vieler homosexueller Personen: Zwei unverheiratete alte Damen, die zusammen leben und jedem, der es (nicht) hören will, erzählen, sie seien Mitbewohnerinnen. Mitbewohnerinnen, die sehr oft Händchen halten.
Supernatural (2005-2020)
In der düsteren Welt der Brüder Dean und Sam Winchester ist für Frauen kein Platz – zumindest, was Romantik und Intimität betrifft. Jegliche Hetero-Liebesbeziehung von Dean und Sam endet nach kürzester Zeit, der Tod von Sams College-Freundin ist gar der Aufhänger der 15-jährigen Reise der Geschwister durch Himmel, Hölle, dunkle Wälder und aberwitzige Fanfiction. Apropos: "Supernatural" ist die erste Serie, die erotische Fanfiction ganz offen anspricht und gar zum Teil des Kanons macht. "Wincest" nennt sich dieser queere Subtext mit der ganz besonderen Würze, beschreibt der Begriff doch eine erotische Beziehung zwischen den Winchester-Brüdern.
Und das ist durchaus gar nicht so weit hergeholt: Zwei extrem gut aussehende junge Männer, verbunden durch gemeinsam erlittene Kindheitstraumata und auf ewig aufeinander angewiesen, wenn es um Leben, Tod und nichts weniger als die Vernichtung von Gott geht. Immer wieder werden die beiden in der Serie für ein schwules Pärchen gehalten, immer wieder wird (von Verbündeten und Feind*innen) auf die "erotische Spannung" zwischen ihnen verwiesen.
Sam und Dean opfern regelmäßig ihr Leben für den Anderen oder riskieren selbiges, um den geliebten Bruder zu retten. Von (erotischer) Co-Abhängigkeit ist da die Rede oder von "Arbeits-Romanze", auf jeden Fall aber ist eines deutlich: Der Lebensmensch, der Seelenverwandte ist der jeweilige Bruder. Eine Liebe, so groß, die nicht mal von Sam und Dean selbst in Worte gefasst werden kann. Serienerfinder Eric Kripke bezeichnet die Prämisse von "Supernatural" gar als "epische Love-Story zwischen Sam und Dean".
Wem das doch zu kinky ist, der wird mit der engen Beziehung zwischen Dean und Engel Castiel seine Freude haben, von Fans liebevoll "Destiel" genannt. Es ist Dean, der im rationalen und kämpferischen Erzengel die Menschlichkeit erweckt – und umgekehrt ist Castiels Zuneigung zu Dean seine größte Schwäche. Sie leiden, wenn sie getrennt sind, sie sind eifersüchtig, wenn sich jemand zwischen sie stellt.
Sie streiten wie ein altes Ehepaar, sind aber die einzigen, die die wahre Gefühlswelt des Anderen zu sehen bekommen. Und sie geben ihr Leben füreinander: Als Castiel endgültig tot ist, bricht für Dean eine Welt zusammen – eine Reaktion, die wir von ihm sonst nur in Bezug auf seinen Bruder kennen. Sogar auf visueller Ebene, das ständige Suchen der (körperlichen) Nähe, wird das queere Potenzial dieser Beziehung deutlich. Erst in der vorletzten Serien-Episode wird der Subtext überraschend zum Text und Castiel gesteht in einer dramatischen Abschieds-Szene Dean seine Liebe – die dieser aber (unter Tränen!) nicht erwidern kann. Da hat die Autor*innen im letzten Moment dann doch der Mut verlassen.
Sherlock (2010-2017)
Bereits den Romanen von Sir Arthur Conan Doyle war ein gewisser Grad an Homoerotik zwischen Sherlock Holmes und seinem Partner Dr. Watson nicht abzusprechen, in der erfolgreichen BBC-Serie wird diese aber bewusst betont: Nicht nur, dass sich die beiden eine Wohnung teilen, sie werden auch mehrmals für ein Paar gehalten. Meist wird dies von Watson zwar mit Humor oder gar Zorn sofort vom Tisch gewischt, Holmes bleibt aber bei diesen Vermutungen stets verdächtig ruhig – was bei einer Figur, in deren Natur es liegt, stets Jedermann auszubessern und auf Fehler hinzuweisen, natürlich Bände spricht.
Ähnlich wie bei Grace und Frankie oder auch Joey und Chandler in "Friends" wird das Zusammenwohnen von Holmes und Watson wie eine Ehe dargestellt: Sie necken und streiten sich, können sich aber stets aufeinander verlassen. Sind sie voneinander getrennt, verzehren sie sich nach dem Anderen. Selbst dann, als Watson verheiratet ist, werden die beiden von seiner Ehefrau als Paar bezeichnet. Zudem ist Watson für Holmes die einzige Bezugsperson, die er hat – und auch Watson scheint außer Sherlock keinen wirklichen Freund zu haben.
Die Sexualität Sherlocks ist einer der ersten Punkte, die von Watson während ihres Kennenlernens angesprochen wird – und Sherlock bleibt ihm eine spezifische Antwort schuldig, was beim größten Detektiv der Welt natürlich nicht unbewusst geschieht. Watson betont daraufhin, dass er zurzeit ebenso zu haben sei. Was auch Sherlock – noch einmal: der beste Detektiv weltweit! – auffällt, der daraufhin betont, nur mit seiner Arbeit verheiratet zu sein, was für Watson "okay" ist, wie dieser versichert. Er möchte trotzdem mit ihm zusammen sein. Auch wenn Watson sich der tieferen Bedeutung dieses Gesprächs nicht bewusst sein mag: Sherlock, Meister in Körpersprache und Mimik, ist es sehr wohl.
Rizzoli & Isles (2010 – 2016)
Die beiden besten Freundinnen und Arbeitskolleginnen Jane Rizzoli, eine Polizistin, und Maura Isles, Gerichtsmedizinerin, wurden schnell zu Ikonen in der lesbischen Community. Die beiden kuscheln gerne im Bett zusammen und geben auch mal vor, ein Paar zu sein, um von Männern nicht angebaggert zu werden – was ihnen merklich Spaß macht!
Dass der Crew der erotische Subtext durchaus bewusst ist, bestätigen die Hauptdarstellerinnen Angie Harmon (Rizzoli) und Sasha Alexander (Isles) sogar selbst, wenn sie in Interviews gerne darauf hinweisen, dass sie öfters die eine oder andere Berührung oder langen Augenkontakt in die Szene einbauen, um die Intimität zwischen den Frauen stärker zu betonen. Wie es sich gehört, haben Fans auch einen Shipname für die beiden: "Rizzles".
Der queere Subtext beginnt bereits, wie Autorin Sanja-Marie Schiffer in ihrer Analyse der Serie richtig beobachtet, mit der Darstellung der Figuren an sich: Rizzoli wird männlich ("butch"), Isles betont weiblich ("femme") dargestellt, womit die beiden einem – klar stereotypem – Bild eines lesbischen Pärchens entsprechen. In der Episode "I kissed a girl" wird das queere Begehren nicht mehr zwischen, sondern auf den Zeilen ausgetragen: Beide unterhalten sich ausgiebig darüber, wie es wäre, lesbisch zu sein, was natürlich auch ein "Rizzle"-Gedankenspiel beinhaltet. Schiffer weist zudem auf das Promo-Plakat der vierten Staffel hin, auf dem Rizzoli und Isles mit Handschellen aneinander gekettet zu sehen sind und das einen deutlich queeren Subtext aufweist.
Auf Maxdome kannst du alle sieben Staffeln von "Rizzoli & Isles" kaufen.
Hannibal (2013-2015)
In der leider viel zu früh abgesetzten und sträflich unterschätzten Serie "Hannibal" ist jedes Bild ein Kunstwerk. Jede Mimik, jedes gesprochene Wort, jede Gestik bedeutungsschwanger. Zwar gilt der Serienkiller Hannibal Lector offiziell als pansexuell, aber die erotische Spannung zwischen ihm und dem FBI-Agenten Hugh Dancy ist nicht von der Hand zu weisen – und Serienschöpfer Bryan Fuller, selbst homosexuell, lebte seine Affinität zu bildgewaltigen homoerotischen Subtexten in diesem Thriller-Drama bis zum Exzess aus.
Die Serie konzentriert sich voll und ganz auf die düstere dysfunktionale Beziehung zwischen dem psychopathischen Psychiater und dem empathischen und labilen FBI-Profiler. Die queeren Metaphern werden teilweise zwar zu sehr mit der Holzhammer-Methode auf die Zuseher*innen losgelassen, aber dafür umso kunstvoller und philosophischer in Szene gesetzt. Die Dialoge, die Szenen, die Blicke, die Berührungen zwischen Hannibal und Hugh sind derart erotisch aufgeladen, dass es eigentlich unmöglich ist, darüber hinwegzusehen. Vulture bezeichnete deren Verbindung gar als "The Great Gay Love Story of Our Time", die in der finalen dritten Staffel dank Psychiaterin Bedelia Du Maurier (grandios wie immer: Gillian Anderson) auch offen thematisiert wird.
Das Faszinierende an Lector und Dancy: Während in anderen queeren Subtexten das Positive, der Sonnenschein überwiegt, wird deren Verbindung von Düsterheit, Perversionen, Besessenheit und der Nähe zwischen Sex und Gewalt geprägt. Sie verstehen einander, wie es sonst keiner kann, sie sind die moderne Version von "Die Schöne und das Biest". Das Ende ist so tragisch wie wunderschön-metaphorisch zugleich: Töten ist für den Kannibalen ein sexueller Akt. Wenn einer von ihnen fällt, dann fallen beide. Weil Sterben in der Welt von Hannibal Lector den größten Liebesbeweis darstellt.
Buffy The Vampire Slayer (1997-2003)
"Buffy" ist eine derart queere Serie, dass es leichter wäre, nicht-heteronomrative Figuren aufzuzählen als klassisch heterosexuelle. Es gibt aber drei Beispiele, die besonders hervorstechen:
Die Vampire (Nachtgeschöpfe, deren Existenz und Lebensweise alleine bereits queer in all seinen Facetten ist!) Spike und Angel suchen immer wieder die körperliche Nähe zueinander, das von Hassliebe geprägte Verspotten bezieht sich meist auf das körperliche Aussehen des Anderen, womit sie sich einander erneut in ihrem männlichen Begehren bestätigen. In Dialogen wird gerne angedeutet, dass die jahrhundertelange gemeinsame Vergangenheit auch die eine oder andere gemeinsame sexuelle Liaison mit sich brachte. Im Rahmen der Dreiecksbeziehung zwischen Angel, Spike und Drusilla deutet die Serie, beispielsweise durch spezielle Bildkompositionen, recht deutlich an, dass es sich hierbei vor allem um das Begehren zwischen den beiden Männern handelt.
Auch die Titelheldin Buffy ist eine gelungene Metapher für Homosexualität: Ihr Auftreten als Jägerin gegenüber ihrer Mutter ähnelt stark dem Coming-out eines/einer homosexuellen Jugendlichen. Während der Highschool führt sie ein Doppelleben, unter dem sie zusehends leidet; Buffys Sehnsucht, ein "ganz normales Leben" führen zu wollen, ist der narrativ rote Faden der Serie. Auch zwischen Buffy und Nachfolge-Jägerin Faith ist von der ersten Sekunde an eine starke erotische Verbindung zu spüren, die in der ultimativen Vereinigung gipfelt, wenn sie kurzzeitig ihre Körper tauschen.
Am deutlichsten kommt Queer Reading aber bei Buffys bester Freundin Willow zu tragen: Zu Beginn griffen die Autor*innen auf Magie als Analogie von gleichgeschlechtlichem Begehren zurück. Magische Rituale zwischen Willow und Tara werden zu höchst sinnlichen Erfahrungen. Als die beiden später offiziell ein Paar werden, verwandelt sich der Subtext zum gefühlvollen Text. Einigen Expert*innen zufolge ist Willow aufgrund ihrer zahlreichen Transformationen gar die Personifizierung von Querness selbst.