Die 20 besten Netflix-Original-Serien
Von Manuel Simbürger
Der 16. September 2014 hat die Welt von uns Österreicher*innen für immer verändert: Seit diesem Tag ist Netflix auch hierzulande erhältlich. Fernsehen ist nicht mehr das, was es mal war, Streaming und Bingen sind gekommen, um zu bleiben. Mittlerweile zählt der rote Streaming-Anbieter über 200 Millionen Abonnent*innen weltweit.
So richtig los ging die Erfolgswelle mit der Polit-Thriller-Serie "House of Cards", der ersten Netflix-Eigenproduktion. Das Drama rund um ein machthungriges Polit-Ehepaar mit starken Anleihen an Shakespeare räumte zahlreiche Preise ab, zeigte dem linearen TV, wo der Zukunfts-Hammer hängt, und verführte Millionen über Millionen von Serienfans weltweit, ein Netflix-Abo abzuschließen. Natürlich hat Netflix immer noch eine ganze Menge an Filmen, Serien und Dokus im Angebot, aber das Aushängeschild sind ganz klar die Eigenproduktionen, sogenannte "Originals" – ganz nach dem Motto: Wo Netflix draufsteht, ist auch Netflix drin!
Seit dem durchschlagenden Erfolg von "House of Cards" haut Netflix vor allem ständig neue Serien raus, beinahe jedes Monat erscheint eine neue Netflix-Original-Serie. Dass da auch so manche Fehlschläge dabei sind, liegt fast in der Natur der Sache, aber man darf behaupten: Serien aus dem Hause Netflix bestechen in vielen Fällen mit cleveren Drehbüchern, Mut zu Grenzüberschreitungen, kreativen visuellen Einfällen und einem überzeugenden Cast.
Auch wenn die Netflix-Chefs seit geraumer Zeit viel früher als in den Anfangsjahren den Cancel-Hammer schwingen und vielversprechende Serien schon nach einer oder zwei Staffeln absetzen, lohnt es sich aktuell mehr denn je, tief ins Meer der Netflix-Original-Serien einzutauchen.
Die 20 besten Netflix-Serien-Eigenproduktionen:
House of Cards (2013-2018)
Gleich in der allerersten Szene der Serie wissen wir, mit wem wir es zu tun haben, wenn der (damalige) Kongressabgeordnete der Demokratischen Partei Frank Underwood mit eiskalter, aber doch charmanter Stimme die vierte Wand durchbricht: "Momente wie diese erfordern jemanden, der handelt, der das Unangenehme übernimmt, das Notwendige." Während er diese Worte ausspricht, tötet er einen von einem Auto angefahrenen Hund.
Hier beginnt unsere Reise mit Frank Underwood und seiner Frau Claire (genial: Kevin Spacey und Robin Wright), die beide für ihren unstillbaren Hunger nach Macht auch nicht vor Intrigen, Korruption, Mord und sonstigem morallosem Treiben zurückschrecken. Das Leben ist für die beiden nichts mehr als ein Schachspiel, die Menschen rund um sie herum bloß Schachfiguren. Das White House als verführerischer Sündenpfuhl – produziert und teils inszeniert von David Fincher, inspiriert von den großen Dramen Shakespeares.
Stranger Things (seit 2016)
Als liebevoll-verspielte Hommage an die Klassiker der 1980er-Jahre, die eine ganze Generation fesselten, ist "Stranger Things" in der ersten Staffel im Indiana des Jahres 1983 angesetzt, wo ein Junge plötzlich spurlos verschwindet. Bei ihrer Suche nach Antworten geraten FreundInnen, Familien und die örtliche Polizei in einen Strudel aus mysteriösen Ereignissen, bei denen geheime Regierungsexperimente, gefährliche übernatürliche Phänomene und ein sehr seltsames fremdes Mädchen eine Rolle spielen.
Die mittlerweile zum Kult gewordene Serie verbindet authentischen 80er-Retro-Fetischismus mit charmantem Coming-of-Age-Drama und nervenaufreibendem Mystery-Thrill. Die Jung-DarstellerInnen sind die Stars von morgen, Winona Ryder ist der Star von gestern, der dank "Stranger Things" wieder zum Heute geworden ist. Exzentrisch und düster zugleich!
The Witcher (seit 2019)
Der mürrische Hexer und Monsterjäger Geralt von Riva (Henry Cavill) kämpft furchtlos mit seinem Schwert gegen Dämonen, Elfen, Monster, Hexen, Zauberer und manchmal auch gegen Menschen. Im Fokus der Serie steht aber auch die mysteriöse Mènage-a-trois zwischen Geralt, der Hexe Yennefer und der gefallenen Prinzessin Ciri.
Die Fantasy-Welt von "The Witcher" ist durch und durch düster und spannend, die gelungenen Special Effects erinnern an "Herr der Ringe". Bei den zahlreichen Action-Szenen sollte man aber einen guten Magen haben. Dafür kommt auch der Humor nicht zu kurz. Eskapismus vom Feinsten!
Das Damengambit (2020)
Der Überraschungs-Mega-Erfolg des vergangenen Jahres spielt in den 1950ern und 60er-Jahren und erzählt die Geschichte von Beth Harmon (Anya Taylor-Joy), die in einem Waisenhaus aufwächst und dort ihr Talent für das Schachspiel entdeckt. Beth wandelt sich von der Außenseiterin zum weltweit erfolgreichen Schach-Star, der die traditionellen Grenzen der von Männern dominierten Schachwelt einreißt. Doch auch im ruhig-besonnenen Schach-Genre ist nicht alles Gold, was glänzt: Denn Beth ist nicht nur süchtig nach den Spielfiguren, sondern auch nach Alkohol und Beruhigungsmitteln.
Schachspielen war noch nie so packend: Die Mini-Serie basiert auf dem gleichnamigen Roman von Walter Tevis aus dem Jahr 1983. Hier stimmt einfach alles: Die Protagonistin ist verführerisch unkonventionell, das Drehbuch eine durchdachte Geschichte über das Erwachsenwerden und den wahren Preis der Genialität, die Bildkompositionen makellos, das Licht und die Retro-Ausstattung exquisit, glamourös und detailreich. Die Darstellung von Taylor-Joy ist Schauspielkunst in allerhöchster Vollendung.
The Crown (seit 2016)
Ein Biopic in Serienform über Queen Elisabeth II., Königin von England? Ist das nicht alles andere als spannend, emotional bewegend und gar humorvoll? Wer sich bereits mit der Geschichte des englischen Königshauses, der Historie von England selbst und dem Film "The Queen" von Peter Morgan (aus dessen Feder auch "The Crown" stammt) auseinandergesetzt hat, der weiß: Der Buckingham Palace ist voll von Skandalen, Intrigen, Herzschmerz und britisch-trockenem Witz! Denn die Krone steht über allem.
Das beweist auch die Serie "The Crown", die der Regentschaft von Queen Elisabeth II. über viele Jahrzehnte hinweg folgt. Das tut sie anhand pompöser Inszenierung, historisch akkurater Hintergründe, detailverliebter Ausstattung und einem Cast zum Niederknien. Der besondere Clou dabei: Um dem Verlauf der Jahrzehnte gerecht zu werden, werden die Schauspieler*innen im 2-Staffel-Takt ausgewechselt.
"The Crown" (bereits vielfach ausgezeichnet!) scheut freilich auch nicht davor zurück, neben den politischen Herausforderungen auch hinter die Kulissen des Buckingham Palace zu blicken und private Dramen der Royal Family und ihren Wegbegleiter*innen in den Fokus zu stellen. Dass dabei dramaturgische Freiheiten unvermeidbar sind, sollte einem bewusst sein, das trübt den Spaß an der Serie aber nicht. Im Gegenteil: "The Crown" ist eine königliche Hochglanz-Soap, die die unnahbare britische Königsfamilie endlich menschlicher wirken lässt.
When They See Us (2019)
Die preisgekrönte Mini-Serie erzählt die wahre Geschichte von vier Afroamerikanern und einem Hispanoamerikaner, die zu unrecht wegen einer Vergewaltigung angeklagt und schuldig gesprochen wurden. Viele Jahrzehnte lang hielt dieser Justiz-Skandal die USA im Atem, 2002 wurden die vier Männer freigesprochen.
"When They See us" zeigt, wie sehr Rassismus bis heute in unserer Gesellschaft eingeschrieben ist. Die Serie schockiert, regt zum Nachdenken an, rüttelt auf und ist intensiv gespielt. Ein politischer Aufschrei, der lange nachwirkt.
Spuk in Hill House (2018)
"Spuk in Hill House" ist eine moderne Neu-Interpretation des gleichnamigen Romanklassikers von Shirley Jackson. Im Mittelpunkt stehen fünf Geschwister, die in der wohl berühmtesten Geistervilla Amerikas aufwuchsen. Als Erwachsene führt sie der Selbstmord ihrer jüngsten Schwester wieder zusammen und zwingt sie dazu, sich den Gespenstern ihrer Vergangenheit zu stellen. Einige davon schwirren ihnen lediglich im Kopf herum, andere treiben im Schatten der ikonischen Villa Hill House womöglich tatsächlich ihr Unwesen.
Der Mix aus Family-Drama und Horror-Schocker überzeugt sowohl Fans als auch Kritiker*Innen. Die Serie mutet wie ein poetisch-düsteres Klagelied an, das geschickt mit zwei Zeitebenen spielt und Spannung erzeugt. Der Horror steigert sich langsam, aber kontinuierlich und gipfelt in einem nervenaufreibenden Psychotrip. Der größte Grusel spelt sich wie im Leben auch in "Spuk in Hill House" im Kopf ab. Eine lebendige und auch geistreiche Genre-Wucht, die einem mindestens eine Nacht lang nicht mehr schlafen lässt.
Narcos (2015-2017)
Der Aufstieg und Fall des Drogenbarons Pablo Escobar in Kolumbien wird in "Narcos" rau, schmutzig, actionreich und wirklichkeitsnah in Szene gesetzt. Die Atmosphäre ist düster-intensiv, die Charaktere unsympathisch-sympathisch, die Gewalt schonungslos und leidenschaftlich. Wobei "Narcos" von sinnbefreitem Krawall-Bumms weit entfernt ist: Jedes blutige Niedermetzeln wird hier zum verzweifelten Ausdruck der von Süchten, Gier, versteckten Wünschen, nackter Panik und Misanthropie geprägten Welt Escobars (und der ihm jagenden Polizei).
Die Serie lässt langsam ein vielschichtiges Bild der politischen Macht entstehen, die der Droge Kokain innewohnt. Die zahlreichen Twists und Turns tragen zusätzlich zum rasanten Tempo bei.
Orange is the New Black (2013-2019)
Die Dramedy rund um eine ungleiche Gruppe von Frauen, die ihre Zeit in einem Frauengefängnis absitzen, war lange Zeit das Aushängeschild von Netflix: Sieben Jahre lang war Feminismus und eigentlich die ganze Welt in orange getaucht, das Gefängnisleben hat das letzte Mal eine derart große Faszination ausgeübt, als Michael Scofield sich selbst inhaftierte, um seinen Bruder aus dem Knast zu befreien.
In "Orange is the the New Black" geht es aber nicht um Brüder-, sondern um Frauenpower. Das Litchfield-Gefängnis wird zu einem regenbogenbunten Kaleidoskop umarmender und sich bekämpfender Weiblichkeit. Ursprünglich stand die aus reichem Hause kommende Piper Chapman (Taylor Schilling) im Mittelpunkt, nach und nach entwickelte sich die Serie aber zu einem Ensemble-Meisterwerk, das uns derart verschiedene und durch und durch authentische Frauentypen präsentiert, dass es uns manchmal die Sprache verschlagen mag und wir uns für Schubladen in unserer Denkweise schämen.
All die faszinierenden Ladys sind Individuen und doch eine Einheit – und genau das macht wahre Frauenpower aus. Besser könnte man Gleichberechtigung nicht in eine Kunstform pressen.
GLOW (2017-2019)
Auch bei "GLOW" geht es um eine bunte und außergewöhnliche Gruppe von Frauen, die den Begriff der Weiblichkeit auf unterhaltsam-leichtfüßige und doch clevere und einfühlsame Weise erweitert. Die hochgelobte Serie dreht sich um die erste weibliche Wrestlingtruppe GLOW (Gorgeous Ladies of Wrestling), die tatsächlich existierte, die Geschichten in der Serie sind aber frei erfunden. Im Mittelpunkt steht die arbeitslose Schauspielerin Ruth Wilder (eine Wucht: Alison Brie), die im Los Angeles der 1980er ihre letzte Chance zum Ruhm darin sieht, in die Glitterwelt des Frauen-Wrestlings einzusteigen.
Die geballte und individuelle Frauenpower von "Orange is the New Black" gepaart mit dem Eighties-Retro-Charme von "Stranger Things": "GLOW" ist eine fluoriszierende Hommage an ein Jahrzehnt, in dem alles möglich schien, sowie ein Tribut an starke Frauen, die in einer männerdominierten Welt zu überleben versuchen – und zwar mit zum Brüllen komischen Humor und zeitloser Gesellschaftskritik. "GLOW" erinnert an einen seriellen Energy-Drink und schafft den Spagat zwischen rotzfrech und sensibel.
Mindhunter (2017-2019)
Die FBI-Agenten Holden Ford (Jonathan Groff) und Bill Tench (Holt McCallany) tauchen in den 1970er-Jahren tief in die Psyche von Menschen ein, die Unvorstellbares getan haben. Mithilfe der Psychologin Wendy Carr (Anna Torv) nutzen sie ihre einzigartigen Verhaltensanalysen zur Jagd auf notorische Serienkiller, die allesamt auf realen Personen beruhen (zum Beispiel Charles Manson). Über allem schwebt stets die verstörende Frage: Was geht im Kopf eines Serienmörders vor sich?
Die Anfänge der Profiling-Technik werden historisch detailliert, düster, nachvollziehbar, höchst spannend und auf Kinofilm-Niveau in Szene gesetzt. David Fincher, der für die Serie verantwortlich zeichnet, lässt seiner Affinität zu Psychothrillern und seiner Faszination für seelische Abgründe freien Lauf, in beinahe jeder Szene werden Erinnerungen an "Sieben" oder auch "Fight Club" wach. Selbst das Privatleben der beiden Ermittler gleicht mehr und mehr einem Psychotrip. Das pulsierende und leise vor sich hin verrottende Herz der Serie sind die Verhöre der Serienkiller, die großteils auf Original-Interviews mit den echten Tätern basieren. Noch nie waren Dialoge so nervenzerfetzend.
Unbelievable (2019)
Nach wahren Ereignissen: Ein jugendliches Mädchen wird vergewaltigt, aber keiner mag ihr so recht glauben – bis auf zwei engagierte Polizistinnen (Toni Collette und Merritt Wever), die alles daran setzen, um den Täter zu fassen. Die Zeit drängt, denn dieser scheint ein Serientäter zu sein.
Die größten Gefühle kommen mitunter erst dann auf, wenn man ganz nüchtern an die Sache herangeht: Nach diesem Motto zeigt diese von Kritiker*innen bejubelte Mini-Serie auf, dass Victim-Shaming nach wie vor ein hochbrisantes Thema in unserer Gesellschaft ist, und was es mit der Psyche macht, wenn dir dein eigener Körper gestohlen wird.
Es ist der Mut zur unaufgeregten Authentizität, der "Unbelievable" zu einem eindringlichen und bedrückenden Meisterwerk macht. Trotz aller Ruhe zeigt die Mini-Serie Zähne, weil sie dort hinschaut, wo andere ihren Blick abwenden. Collette und Wever spielen ganz groß auf!
Black Mirror (2011-2019)
Die etwas andere Anthologie-Serie spielt auf unkonventionelle und packende Weise mit unserem kollektiven Unbehagen mit der modernen Welt. Jede einzelne Folge ist dabei eine individuelle, scharf beobachtete und spannend erzählte Geschichte über die moderne Technikparanoia. Ohne sie zu hinterfragen, hat Technik bereits alle Bereiche unseres Lebens übernommen – jede Wohnung, jeden Schreibtisch, jede Hand. Geräte wie Plasmafernseher, Flachbildschirme oder Smartphones sind schwarze Spiegel, die uns unser Dasein im 21. Jahrhundert vorhalten. Wie wird unsere Welt aussehen, wenn sich die Technik immer und immer weiter entwickelt?
Man muss kein Technik-Fan sein, um "Black Mirror" zu mögen, im Gegenteil: Die Szenarios in einer nicht näher definierten nahen Zukunft sind derart faszinierend und abgefahren, dass es sich bei der Serie mehr um eine Parabel über die menschliche Psyche als um technische Abhandlungen handelt. Eine Parabel voller Zynismus, übrigens: Denn Technik ist in "Black Mirror" die weit verbreitetste gesellschaftliche Droge, die nicht nur süchtig macht, sondern auch fatale Nebenwirkungen nach sich zieht. Hochmoderne Technik trifft auf düsterste Instinkte. Es ist eine erschreckend vertraute Dystopie, die in "Black Mirror" gezeichnet wird.
Die in sich abgeschlossenen Episoden schwanken zwar in der Qualität, die Gedankenspiele sind aber stets mit einer eindringlichen und intelligenten Virtuosität inszeniert, dass man "Black Mirror" getrost als Netflix-Perle bezeichnen darf.
Sex Education (seit 2019)
Der Jugendliche Otis (Asa Butterfield) kennt sich in Sachen Sex aus wie kein Zweiter – abgesehen von seiner Mutter Jean (Gillian Anderson), die ist nämlich Sexualtherapeutin. Otis' Mitschülerin, die rebellische Außenseiterin Maeve (Emma Mackey) möchte dessen Sex-Wissen in Geld verwandeln: Gemeinsam bieten sie an ihrer Schule eine heimliche Sexualtherapie an, die auf großen Anklang stößt. Ironischerweise ist Otis selbst ein Spätzünder.
In "Sex Education" geht es nicht nur um Sex, sondern um Gefühle in all ihren Nuancen, weshalb die Serie auch genauso gut "Love Education" heißen könnte. Verklemmt geht's hier aber trotzdem nicht zu, ganz im Gegenteil: Erfrischend unverkrampft wird Sexualität als die normalste, aber auch komplizierteste Sache der Welt angesehen. Das ist tröstend, herzerwärmend und herrlich komisch gleichzeitig.
Genauso wird in der Serie auch mit Diversität umgegangen: Der Cast ist derart divers, dass es eine Freude ist – groß darauf hingewiesen wird aber nicht, hier ist alles so normal, wie es im Leben von Teenagern halt sein kann. Die größte Stärke von "Sex Education" sind deshalb auch die Protagonist*innen, die genauso charmant wie schrullig, aber immer sehr authentisch sind und Mut zur Selbstironie zeigen.
Unbreakable Kimmy Schmidt (2015-2019)
Kimmy (Ellie Kemper) war 15 Jahre in einem unterirdischen Bunker eingesperrt. Nach ihrer Befreiung beschließt sie, ihr Leben umzukrempeln und in New York von vorne anzufangen. Dabei entdeckt die durch und durch naive und kindliche Kimmy, dass sich die Welt in den vergangenen Jahren stark verändert hat – und dass der Großstadtschungel New York so einige Überraschungen und schräge Freund*innen für sie bereit hält.
Die Idee dieser im besten Sinne absurden Comedy stammt von Tina Fey – und das merkt man auch jede Minute: Der Humor ist völlig abgedreht und schonunglos politisch unkorrekt, mit Klischees wird gekonnt gespielt, das Erschreckende ins Rauschhaft-Fröhliche verwandelt. Trotz der sehr düsteren Grundidee (Kimmy ist immerhin Entführungsopfer eines durchgeknallten Psychopathen) ist "Unbreakable Kimmy Schmidt" herrlich überdreht, knallbunt und ein Potpourri aus Teletubbies, Erklär-Bär und "Sex and the City". Wie ein Kindergeburtstag mit ganz, ganz vielen verbotenen Substanzen. Macht Laune!
Haus des Geldes (seit 2017)
Ein Verbrechergenie mit dem mysteriösen Namen "Der Professor" manipuliert für seinen Plan – der nicht weniger beinhaltet als den größten Raubüberfall in der Geschichte Spaniens – die Polizei. Daraufhin schließen sich acht Dieb*innen mit Geiseln in der spanischen Banknotendruckerei ein.
Das Heist-Konzept wird gekonnt mit packendem Kammerspiel und Action-Kracher gekreuzt und hebt das "Räuber und Gendarm"-Spiel auf ein neues Level. Die Action fegt mit der Wucht eines Tsunamis über uns hinweg, aber auch perfide Psychoduelle kratzen gehörig am Nervenkostüm. "Haus des Geldes" erlaubt sich den Hang zum Unkontrollierbaren und zur Telenovela-Dramatik, zwischendurch kommt auch eine Spur von tiefgreifender Charakterstudie auf. Modernes Katz-und-Maus-Eldorado, das zum internationalen Hit wurde.
Marvel's Daredevil (2015-2018)
Das Besondere an Matt Murdock alias Daredevil: Er ist seit einem Unfall in seiner Kindheit blind, wodurch aber seine anderen Sinne übernatürlich geschärft wurden. Bei Tag verteidigt Murdock als Junganwalt die Armen und Schwachen im New Yorker Slum "Hell’s Kitchen", bei Nacht jagt er als erbarmungsloser Jäger jene Verbrecher, die der Justiz durchs Netz gehen.
Dieser bis zur Spitze getriebene Konflikt zwischen Gerechtigkeitssinn und Rache, Lebensretter und Sadist, zwischen Glaube an das Rechtssystem und Selbstjustiz, macht Daredevil zu einem äußerst komplexen Charakter. Komplex, düster, blutig und sehr brutal ist auch die Serie – und unterscheid sich so wohlig vom Rest des familienfreundlichen Marvel-Programms.
"Marvel's Daredevil" ist eine Mischung aus Crime-Show, Charakter-Drama und Superhelden-Wahnsinn. Diverse Charakterszenen stehen genauso im Mittelpunkt wie gekonnt choreographierte Actionszenen, die in angenehmer Dosierung serviert werden und somit umso eindrucksvoller und realer daherkommen. Hier wird lustvoll ins Pulp-Genre eingetaucht und sich wohlig an die Comic-Reihe aus den 80ern orientiert.
Marvel's Jessica Jones (2015-2019)
Im "Daredevil"/Marvel--Universum ist auch diese ebenso erwachsene und nihilistische Superheldinnen-Serie angesiedelt, die viel mehr Noir-Psycho-Drama ist: Jessica Jones (auf den Leib geschneidert: Krysten Ritter) ist ehemaliges Avengers-Mitglied und nun Privatdetektivin in New York – eine Stadt, genauso dreckig, umtriebig, unberechenbar wie sie selbst. Der androgyne Biker-Kumpel Jessica trinkt, raucht, flucht, hat wilden Sex. Die Rolle der Anti-Heldin gefällt ihr, aber hinter hinter all der rauen Schale verbirgt sich natürlich Drama.
Denn Jessica muss mit den (psychischen) Folgen einer Vergewaltigung klarkommen, PTSD ist ihr ständiger Begleiter. Um im Superhelden-Genre zu bleiben, war’s keine herkömmliche Vergewaltigung, sondern eine mittels Gedankenkontrolle durch Kilgrave (zum Fürchten gut: David Tennant), Jessicas Nemesis, personifizierter Gedankenzwang.
"Jessica Jones“ unternimmt mit uns eine verstörende Reise in die zerstörte Psyche einer Frau. Hier geht's nicht drum, die Welt zu retten. Manchmal retten Superheld*innen auch einfach nur sich selbst.
Dark (2017-2020)
Zu Beginn der allerersten deutschen Netflix-Serie steht das spurlose Verschwinden zweier Kinder im Fokus. Vier Familien aus dem fiktiven deutschen Städtchen Winden begeben sich auf die verzweifelte Suche nach Antworten und der Lösung eines Rätsels, das drei Generationen umspannt und weit über das Konzept von Zeit und Raum hinausgeht.
"Dark" zeigt anderen deutschen Produktionen, was ein gekonnter rechter Genre-Haken ist: Die Serie besticht mit einer modernen Erzählweise, einer dichten Atmosphäre, visueller Raffinesse und überraschenden Wendungen. Die langsam anschwellende Spannung bringt uns fast um den Verstand, genauso wie jede neue Frage, die sich aus jeder Antwort ergibt – an dieser Mindfuck-Party hätte David Fincher seine hellste (oder eher: düsterste) Freude. Die Zeitreise-Mysterien überzeugen mit philosophischen Ansätzen und einem Mix aus Familiendrama und Liebesgeschichten.
Ozark (seit 2017)
Finanzberater Marty Byrde (Jason Bateman) zieht mit seiner Frau Wendy (Laura Linney) und seinen beiden Kindern aus Chicago in die Ozarks in Missouri. Um für den Schutz seiner Familie zu sorgen, willigt Marty in einen gefährlichen und folgenreichen Deal ein: Innerhalb von fünf Jahren muss er 500 Millionen US-Dollar für ein riesiges mexikanisches Drogenkartell waschen. Bald ist die gesamte Byrde-Familie in illegale Geschäfte verwickelt.
"Ozark" bietet hochspannende Unterhaltung mit einem hohen Erzähltempo, schwarzem Humor und einem erdigen Mix aus Thriller und Familien-Drama, der mit der Zeit sogar immer besser wird. Auch die Figuren sind vielschichtig und umschiffen (meist) gekonnt die gängigsten Klischee-Fallen, was uns noch mehr mitfiebern lässt. Auch die Cliffhanger haben es in sich!