Die 13 besten modernen Schwarz-Weiß-Filme
Von Manuel Simbürger
Er war zwar der große Verlierer bei der diesjährigen Oscar-Verleihung, aber gleichzeitig immerhin jener Film mit den meisten Nominierungen: "Mank" von David Fincher, eine Hommage an den Film-Klassiker "Citizen Kane" und eine Zeit, in der Farbe in Filmen ein visionärer Traum war, der mehr an Sci-Fi erinnerte als an die damals tatsächlich technische Realität.
"Mank" ist im Grunde aber nur einer von überraschend vielen Filmen der jüngeren Popkultur-Vergangenheit, die bewusst in Schwarz-Weiß gedreht wurden. Der Verzicht auf Farbe in einem Film ist heutzutage eine bewusste Entscheidung des Regisseurs oder der Regisseurin, wobei die Gründe dafür vielfältig sein können: Vielleicht möchte man auf die Zeit hinweisen, in der die Handlung des Films angesiedelt ist, auf lange zurückliegende Jahre, in der Schwarz-Weiß-Filme die Norm darstellten.
Das unterstreicht schließlich die historische Atmosphäre des Films und zieht die Zuseher*innen noch ein Stückchen tiefer in diese Welt hinein. Eine Parabel auf die Sehnsucht nach ganz großem Kino also.
Die Arbeit mit Schwarz-Weiß-Bildern ermöglicht aber auch den hundertprozentigen Fokus auf die Handlung selbst: Nichts soll ablenken von den großen Gefühlen und der psychologischen Reise der Protagonist*innen. Auch wenn die menschliche Seelenwelt eigentlich alle Farbstückerl spielt: Im Film kann sie manchmal umso deutlicher an den Tag treten, je mehr man sich auf das Wesentliche im Vielfältigen konzentriert.
Zudem transportierten Schwarz-Weiß-Bilder eine ganz bestimmte Stimmung: Es umgibt sie eine Aura des Schmerzes und des Schwermütigen, der Melancholie, der Introvertiertheit, des Nachdenklichen. Und, let's face it: Schwarz/Weiß sieht einfach immer gut und gleich um einiges kunstvoller aus. Das weiß jeder, der sein Instagram-Posting schon mal mit einem S/W-Filter bearbeitet hat.
Die 13 besten Schwarz-Weiß-Filme des 21. Jahrhunderts:
Ed Wood (1994)
Ed Wood gilt als "schlechtester Regisseur" aller Zeiten und als exzentrische Type noch dazu – kein Wunder also, dass sich Außenseiter-Regisseur Tim Burton dazu entschied, ihn in einem ebenso exzentrisch-schrägen, aber liebenswürdig-detailreichen Biopic zu verewigen, selbstredend mit Ausnahme-Talent Johnny Depp in der Hauptrolle. Mit Liebe zum Absonderlichen und Mut zum Respekt vor Talentlosigkeit zeichnen Burton und Depp einen Charakter, der schlechte Kritiken, feindliche Studios und unwillige Schauspieler*innen gnadenlos ignoriert, um seine grenzenlose Leidenschaft zum Film ausleben zu können.
Die Tragikomödie kommt dank der buchstäblichen Schwarz-Weiß-Zeichnung und der teils absichtlich gekünstelten Inszenierung wie ein Film von Wood selbst daher. Er hat keine Angst vor sich selbst und ist in ganzer Linie Hommage und niemals Satire. Für Martin Landau in der Rolle der "Dracula"-Legende Bela Lugosi gab's sogar einen Oscar!
Mank (2020)
Auch "Mank" ist ein Tribut an die Traumfabrik selbst, genau genommen an den zeitlosen Klassiker "Citizen Kane": Erzählt wird die Entstehungsgeschichte von "Citizen Kane", die von einer konfliktgeladenen Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur Orson Welles (Tom Burke) und dem Gesellschaftskritiker und alkoholkranken Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz (Gary Oldman) im Hollywood der 1930er-Jahre.
"Mank" ist ein Streifen, der von Film-Liebhaber*innen für Film-Liebhaber*innen gemacht wurde: Man muss schon etwas filmhistorisches Hintergrundwissen mitbringen, um all die Verweise und Anekdoten zu verstehen, mit denen Fincher um sich wirft. Es gibt jede Menge Rückblenden, die einen psychologischen Einblick hinter die Kulissen des "Old Hollywoods" geben. In erster Linie ist es aber eine nuancierte Charakterstudie von Mankiewicz geworden, mitunter etwas langatmig inszeniert, aber durchaus fesselnd.
Oh Boy (2012)
Niko (Tom Schilling) ist Ende Zwanzig und lebt planlos von einem Tag zum nächsten. An einem eben dieser Tage begleiten wir ihn, als er wieder mal schlaflos durch Berlin flaniert, auf verschiedene Menschen und deren Geschichten trifft und auf der ewigen Suche nach stinknormalem Kaffee ist. Den kann er sich nämlich nicht (mehr) leisten, denn sein Vater hat ihm gerade eben erst den Geldhahn zugedreht und seine Freundin ihn verlassen. Vielleicht ändert dieser Tag Niko für immer. Vielleicht geht aber danach auch alles so weiter wie bisher.
Neugierig, still, zuhörend, ein offenes Ohr für die menschliche Seele: Wie der Protagonist Niko mutet auch der Film selbst an. Der Verzicht auf Farbe verleiht "Oh Boy" etwas Unkoventionell-Magisch-Poetisches, etwas Außenseiterisches – wieder das, was auch Niko präsentiert. Feinfühlig fängt Regisseur Jan-Ole Gerster das Lebensgefühl von Twenty-Somethings ein, aber auch die Charakteristik einer Großstadt wie Berlin, die ständig im Fluss ist, sich aber doch niemals verändert. Die unterlegte Jazz-Musik verleiht "Oh Boy" eine zusätzliche avantgardistische Note.
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Viel Lärm um nichts (2012)
Ein Fest für Joss-Whedon- und Shakespeare-Fans gleichermaßen: In "Viel Lärm um nichts" widmet sich der "Avengers"-Regisseur dem legendär-klassischen Theaterstück und verpackt es in magische Schwarz-Weiß-Bilder und in ein modernes Setting, wobei die Dialoge selbst nicht verändert wurden. Diese liebevolle und zeitlose Umarmung aus Modern und Klassisch ist es, was "Viel Lärm um nichts" zum außergewöhnlichen, wenn auch anspruchsvollen Filmvergnügen macht.
In nur 12 Tagen und als Ausgleich zum "Avengers"-Stress soll Nerd Whedon den Film gedreht haben. Es ist gelungen, sowohl Kamera als auch Darsteller*innen fangen das witzige Geplänkel, aber auch die Böswilligkeit der Figuren perfekt ein. Apropos Darsteller*innen: Whedon scharrt viele seiner Whedonverse-Schauspieler*innen in "Viel Lärm um nichts" um sich, darunter Amy Acker, Alexis Denisof, Nathan Fillion, Clark Gregg, and Riki Lindhome.
"Viel Lärm um nichts" kannst du auf Amazon Prime ausleihen oder kaufen.
Sin City (2005)
Bildgewaltig, erotisch, explosiv, berauschend, bombastisch, stylish und sehr brutal: "Sin City" gilt bis heute als eine der absolut besten, weil Vorlagen-getreuesten, Comic-Verfilmungen aller Zeiten. Das Besondere: Gleich drei Regisseure setzten die Film-Noir-Hommage opulent in Szene, nämlich Robert Rodriguez, Quentin Tarantino und "Sin City"-Erfinder Frank Miller selbst. Hier hat man tatsächlich das Gefühl, es würden die einzelnen Panels aus dem Comic vor den eigenen Augen zum Leben erwachen, was manchmal so unerwartet wie eine Ohrfeige, ein anderes Mal wiederum beinahe so zärtlich wie eine vorsichtige Umarmung daherkommt.
Die eindringlich virtuosen Bilder, in sattem Schwarz-Weiß und mit einzelnen, gekonnt pointierten Farbtupfern, versetzen einem als Zuseher*in einen Rausch, der sich immer mehr verstärkt, bis es schließlich zur Eskalation kommt. Durch die Stadt der Sünde prügeln und metzeln sich einige der damals größten Hollywood-Namen, darunter Josh Hartnett, Bruce Willis, Jessica Alba, Clive Owen, Brittany Murphy, Elijah Wood, Benicio del Toro, Micky Rourke – und "Gilmore Girl" Alexis Bledel als Prostituierte!
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The Artist (2011)
Und noch ein Film, der sich dem widmet, was Hollywood am meisten taugt: nämlich der Selbstbeweihräucherung. Der in Frankreich produzierte Film ist eine tiefe Verbeugung an das Kino der 1920er-Jahre und folgt der jungen Schauspielerin Peppy (Bérénice Bejo), die eine Beziehung mit Valentin (Jean Dujardin), einem älteren Stummfilmstar, beginnt.
Nicht nur die Schwarz-Weiß-Bilder reproduzieren die magische Aura der Stummfilm-Zeit, auch die Dialoge – oder besser: der Verzicht auf Dialoge. Denn "The Artist" handelt nicht nur von Stummfilmen, er ist auch selbst einer. Das tut er mit solch einer Hingabe und Auge fürs Detail, dass ein charmanter, unwiderstehlicher Sog entsteht, dem man sich nur schwer entziehen kann.
2012 wurde "The Artist" für seinen Mut zum Alten und Unkonventionellen mit fünf Oscars geehrt, darunter "Bester Film", "Beste Regie" und "Bester Hauptdarsteller". Die Herzen des Publikums stahl aber im Alleingang Hund Uggie/Jack: Es wurde gar eine Oscar-Nominierung für ihn gefordert!
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Der Leuchtturm (2019)
Regisseur Robert Eggers schenkt uns mit "Der Leuchtturm" einen avantgardistischen, an den deutschen Expressionismus erinnernden Psycho-Horror, der Minimalismus zum Stilmittel erhebt und zwei Ausnahme-Schauspieler ohne Rücksicht auf Verluste und beinahe mit perverser Befriedigung wie wilde Tiere aufeinander loslässt.
William Dafoe und Robert Pattinson geben zwei Seefahrer, die auf einer abgelegenen Insel leben und sich dort um den hiesigen Leuchtturm kümmern. Als ein gefährlicher Sturm sie davon abhält, nach Hause zurückzukehren, beginnen die beiden, in ihren Gedanken ein immer schneller werdendes Karussell zu fahren, das sie in den Wahnsinn treibt. Sie werden nicht nur zu Geiseln des Meeres, sondern auch ihrer Psyche.
Wunderschön fotografiert, aber zugleich zutiefst verstörend ist "Der Leuchtturm" ein klaustrophobisches Kammerspiel und eine beeindruckende Parabel dafür, was es heißt, wenn die eigene Psyche zum Hochsicherheitsgefängnis wird.
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Roma (2018)
Der Netflix-Film "Roma" ist das bisher persönlichste Projekt des Oscar-prämierten Regisseurs und Drehbuchautors Alfonso Cuarón: Der Film handelt von Cleo, einer jungen Hausangestellten, die für eine Familie in einem mittelständischen Viertel namens Roma in Mexiko-Stadt arbeitet. Basierend auf seiner eigenen Kindheit erschafft Cuarón ein lebendiges und emotionales Werk über häuslichen Streit und soziale Hierarchien inmitten der politischen Unruhen der 1970er-Jahre und kreiert damit einen kunstvollen Liebesbrief an die Frauen, die ihn großgezogen haben.
Sowohl die kleinen, aber auch epischen Ereignisse des Lebens fängt Cuarón akribisch ein, die Schwarz-Bilder verleihen dem Film eine zusätzliche nostalgische Note: Jede Szene fühlt sich wie eine vergilbte, immer mehr verblassende, aber stets wunderschöne Fotografie an. Mit drei Oscars ("Beste Regie", "Bester fremdsprachiger Film" und "Beste Kamera") ausgezeichnet!
Das weiße Band (2009)
Wir befinden uns im (fiktiven) norddeutschen Dorf Eichwald im Jahr 1913. Bald bricht der Erste Weltkrieg aus. Eichwald ist durch und durch protestantisch. Plötzlich beginnen mysteriöse Vorfälle die Bewohner*innen heimzusuchen.
Michael Hanekes kritisches Sittenbild der damaligen Zeit verdeutlicht in wuchtigen und sehr strengen Schwarz-Weiß-Bildern, wie sehr das Jahr 1913 für Kinder und Jugendliche von Unterdrückung, emotionaler Distanz, Frustration, eiskaltem Regelgehorsam und Missbrauch aller Art geprägt und verschmutzt war. Die jungen Figuren sind in "Das weiße Band" in einer erschreckenden Starrheit gefangen, die durch den Verzicht auf Farbe zusätzlich unterstrichen wird. Einen rettenden Regenbogen hat man damals vergeblich gesucht.
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Schindlers Liste (1993)
Das Meisterwerk von Steven Spielberg, das auf wahren Ereignissen basiert, zählt zu den besten Filmen aller Zeiten und ist ein zeitloses Manifest an die Menschlichkeit und die Nächstenliebe. Spielberg verbindet den unsagbaren Horror des Holocaust mit dem zarten Humanismus, für den der Regisseur bekannt ist. Vorbildlich recherchiert, mit viel Herz und Leidenschaft inszeniert und auf groteske Weise mutmachend wird "Schindlers Liste" bis heute für politische Bildung eingesetzt.
Die Schwarz-Weiß-Bilder katapultieren die Zuseher*innen zurück zu diesem dunklen Punkt auf der historischen Landkarte der Menschen und betonen das damals allgegenwärtige Leid. Gleichzeitig ähneln sie auch Szenen aus Genozid-Dokumentationen, was "Schindlers Liste" selbst eine dokumentarische Note verleiht.
Die Schwarz-Weiß-Färbung des Films erzeugt einen intensiven, weil metaphorischen Kontrast aus Hell und Dunkel: das weiße Tageslicht, das Rettung verspricht, auf der einen Seite, während sich gleichzeitig das pechschwarze Blut auf den Straßen jüdischer Ghettos sammelt. Als einziges Farbelement zieht sich der rote Mantel eines später toten jüdischen Mädchens durch den bedrückenden Film.
Frances Ha (2012)
Frances (Greta Gerwig, die auch als Co-Autorin fungierte) ist Ende Zwanzig und möchte in New York unbedingt als Tänzerin durchstarten, aber so richtig will die Karriere nicht klappen. Dafür wohnt sie mit ihrer besten Freundin Sophie zusammen, mit der sie eine Art Ehe führt, nur ohne Sex. Frances fühlt sich wohl damit. Als Sophie jedoch auszieht, muss sich Frances plötzlich fragen, wohin es in und mit ihrem Leben gehen soll. Mit unerschrockener Lebenslust stürzt sie sich ins Stadtleben und tingelt von einer kuriosen Bleibe zur nächsten.
Regisseur Noah Baumbach ("Marriage Story") liefert mit "Frances Ha" eine zarte, aber wuchtige Ode an das junge Erwachsenenalter und erzählt ein modernes Großstadtmärchen, das in seiner Freigeistigkeit und Energie an französische Ne-Wave-Filme erinnert.
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Good Night, and Good Luck. (2005)
Dieser historische Polit-Thriller ist das Regie-Erstlingswerk von George Clooney und erzählt die Geschichte des Radio- und Fernseh-Journalisten Edward R. Murrow (David Strathairn) und seinen mutigen Bemühungen, den antikommunistischen Kreuzzug von Senator Joseph McCarthy zu stoppen.
Ursprünglich als konventioneller Farbfilm geplant, entschied sich Clooney doch für einen Schwarz-Weiß-Film – und hat damit eindeutig die richtige Entscheidung getroffen: Das Fehlen jeglicher Farbe transportiert die Angst und die Paranoia der McCarthy-Ära, all der Rauch im Film sowie der minimale Einsatz von Musik tun ihr Übriges. "Good Night, and Good Luck." ist ein alarmierendes Stück Zeitgeschichte in fesselnd-eleganten Bildern geworden.
"Good Night, and Good Luck" ist derzeit leider weder auf Streaming-Plattformen noch auf DVD/Blu-ray erhältlich.
Persepolis (2007)
Der französische Animationsfilm basiert auf dem weltberühmten gleichnamigen Comic von Marjane Satrapi (die beim Film auch mit Vincent Paronnaud Regie führte und für das Drehbuch verantwortlich zeichnet) und erzählt die Kindes- und Jugendgeschichte von Satrapi während und nach der Islamischen Revolution im Iran. Die Verfilmung ist beinahe eine 1:1-Umsetzung der Comic-Verlage, weshalb auch die Bilder in zurückgehaltenem, aber sehr intensivem Schwarz-Weiß gehalten sind.
In "Persepolis" hält sich die Waage aus Humor und Tragik, aus naiver Kindlichkeit und erschreckendem Horror, was die Zuseher*innen durchaus beabsichtigt in ein Wechselbad der Gefühle hineinstößt. Die Farbgebung hat starken metaphorischen Charakter: Weiß repräsentiert Jugend und Unschuld, während Schwarz für das Erwachsenenalter und die persönliche Reife steht.
Die Geschichte von "Persepolis" unterhält, macht aber gleichzeitig nachdenklich. Der mehrfach preisgekrönte Film besitzt heute Kultstatus, ist aber allen voran im Iran und in Tunesien stark umstritten.
"Persepolis" kannst du auf Amazon Prime ausleihen oder kaufen.