Happy Pride Month: Die besten queeren Dokus auf Netfix
Von Manuel Simbürger
Im Juni werden wieder die Regenbogenfahnen aus dem Keller geholt. Das hört sich genauso richtig wie falsch an. Es ist schön und wichtig, wenn ein ganzes Monat unter dem Titel "Pride Month" der Sichtbarkeit von Sexualitäten außerhalb der Heteronormativität gewidmet wird. Die Gesellschaft bekundet Solidarität der queeren Szene gegenüber und feiert Identitäten in all ihren schillernden Ausprägungen.
Stolz geht die Community auf die Straße, um zu zeigen: das Versteckspiel ist schon lange vorbei. Aber genauso dringend muss noch viel getan werden, wenn es um Gleichstellung und Toleranz von Homosexualität, Transsexualität, Bisexualität und Intersexualität geht – also Lebensformen und sexuellen Orientierungen, die nicht der Norm entsprechen.
Gleichzeitig muss aber auch klar sein: Nicht nur Juni ist Pride Month, sondern das ganze Jahr lang! Sichtbarkeit, Solidarität und Toleranz hängen nicht vom Kalender ab und sind auf keinen bestimmten Monat begrenzbar. Dass sich Toleranz gut verkauft und homosexuelle Menschen eine kaufstarke Zielgruppe sind, ist bekannt – und "Rainbow-Washing" mittlerweile ein Problem, das nicht unter den kunterbunten Teppich gekehrt werden sollte.
Queerness und Pride Month sind also vielschichtige, komplexe Themen. Um was geht's eigentlich genau? Was wollen "die", wofür kämpfen "wir"? Man ist nicht schlecht beraten, sich vor Beginn des Regenbogen-Monats mit all seinen CSDs und oberflächlichen queeren Werbeslogans eingehend mit der Thematik auseinanderzusetzen – sowohl die hetero-, als auch die homosexuelle Bevölkerung. Queere Dokumentationen sind dafür ein niederschwelliges Hilfsmittel, die in den meisten Fällen auch noch für eine gute Abendunterhaltung sorgen. Spieleriches Lernen sozusagen. Und für Sichtbarkeit ist dabei auch noch gesorgt. Nicht nur im Juni.
Die 6 besten queeren Dokus auf Netflix:
The Death and Life of Marsha P. Johnson (2017)
"The Death and Life of Marsha P. Johnson" von Regisseur David France untersucht auf eindringliche Weise den Mord an einer Transgender-Legende, die auch als die Rosa Parks der LGBT-Bewegung bekannt war. Der bewegende Film knüpft an Frances Dokumentation "How to Survive a Plague" an, die für einen Oscar nominiert wurde. Anhand von Zeitzeug:innen versucht der Film, der Persona Johnson, aber auch ihrem Leben auf den Grund zu gehen – und die wahren Hintergründe ihres Todes herauszufinden.
Das gelingt auf ganzer Linie, am Ende hat der/die Zuseher:in das Gefühl, Marsha P. Johnson tatsächlich zu kennen Das Porträt ist gleichzeitig aber auch eine Milieustudie der damaligen Zeit, die auch vor dunklen Tabuthemen innerhalb der queeren Szene nicht zurückschreckt.
Eine geheime Liebe (2020)
"Eine geheime Liebe" erzählt die Lebens- und Liebesgeschichte der ehemaligen Profi-Baseballspielerin Terry Donahue und ihrer Partnerin Pat Henschel, die beinahe 70 Jahre zusammenlebten, bevor sie sich zu einem Coming-Out innerhalb ihrer Familien entschlossen.
Ein Leben im Geheimen, ein Leben des Versteckens: "Eine geheime Liebe" berührt und hält sich in seiner Erzählung und Darstellung angenehm zurück. Manche Fragen bleiben zwar unbeantwortet, aber man baut schnell eine emotionale Verbindung zu Terry und Pat auf, die am Ende im Altersheim sogar heiraten dürfen. Gemeinsam, wie mit der geliebten Oma, blättern wir mit ihnen in Fotoalben und reisen in eine Zeit, in der nicht geliebt werden durfte, wer geliebt wurde. Liebesgeschichte und Zeitdokument gleichzeitig. Als Co-Produzent fungierte Ryan Murphy.
The Andy Warhol Diaries (2022)
In diesem umfassenden, sechsteiligen Porträt von Andy Warhol von (wieder!) Ryan Murphy wird aus dem Blickwinkel der nach dem Tod des Künstlers veröffentlichten Tagebücher sein bemerkenswerte Leben beleuchtet. Angefangen mit seiner Kindheit in Pittsburgh zeichnet die Reihe Warhols unglaublich vielfältigen Weg nach, auf dem er sich unter anderem als – verehrter, wie verhasster – Künstler, Regisseur, Herausgeber, Fernsehproduzent, Exzentriker und Promi fließend zwischen den künstlerischen Medien und durch die Epochen bewegte. Doch obwohl er eine überlebensgroße Figur abgab, schützte Warhol sein Privatleben eisern.
In der Dokuserie wird in seinen eigenen Worten – durch innovative KI-Technik oft sogar mit seiner eigenen Stimme – überraschend viel über diesen komplexen Mann preisgegeben, nicht zuletzt auch durch die Zeitzeugenberichte jener, die an seiner Seite gearbeitet, kreiert und gefeiert haben. Diese reichen von subversiven Strömungen zum Mainstream, von John Waters bis hin zu Rob Lowe. „The Andy Warhol Diaries“ unterstreicht gekonnt Warhols Ansicht, dass es nicht darum geht, ewig zu leben, sondern etwas zu schaffen, das ewig leben wird.
Circus of Books (2020)
Einer der bekanntesten Netflix-Dokus rund um das Thema Queerness: Über 35 Jahre lang war das homosexuell ausgerichtete Pornogeschäft „Circus of Books“ ein Treffpunkt der LGBT+-Gemeinschaft in Los Angeles, wo man sich ohne Vorurteile austauschen konnte. Allerdings wussten auch die meisten Kunden nicht, dass die Eigentümer Karen und Barry Mason ein ganz durchschnittliches Hetero-Paar waren, deren drei Kinder eine kirchliche Schule besuchten und das Geschäft ihrer Eltern gar nicht kannten. Auch vor Freunden und Familie verheimlichten die Masons lange die Art ihres Geschäfts.
In der Zeit ihres Geheimnisses wurden sie Zeugen der aufkommenden HIV/AIDS-Seuche, durch die sie zahlreiche gute Kunden verloren. Aber selbst in dieser Zeit offenbarten sie ihren Aktivismus nicht, sondern traten als ganz normale Geschäftsleute auf, die ihren Markt bedienten, bis das Internet nach und nach ihr Business ruinierte. Erzählt wird die Geschichte des Ehepaares von Rachel, deren Tochter. Ein etwas anderer Blick auf die homosexuelle Geschichte der USA. Berührend, aufschlussreich, humorvoll, nachhallend.
Disclosure: Hollywoods Bild von Transgender (2020)
In dieser genauso lehrreichen wie auch unterhaltsamen Doku kommen berühmte Transgender-Personen aus Hollywood (zum Beispiel Laverne Cox und Lilly Wachovski) zu Wort und sprechen über Darstellung und Wahrnehmung von Transgender-Personen in Filmen und TV-Serien. Dabei wird die Filmgeschichte einer queeren Analyse unterzogen und verschiedene (historische) Beispiele gezeigt, von Stummfilmen wie "A Florida Enchantment" bis hin zu Serien wie "Pose" oder "The L-Word". Natürlich wird auch von persönlichen Erfahrungen in der angeblichen Traumfabrik erzählt, wobei auch bei der immer noch tabuisierten Rassismus-Thematik kein Blatt vor den Mund genommen wird.
Eine wichtige Dokumentation, die auf den Spuren des queeren Doku-Klassikers "The Celluloid Closet" wandelt und es schafft, auf liebevoll-authentische Weise schwierige Thematiken einem Mainstream-Publikum näher zu bringen.
Olly Alexander: Growing Up Gay (2017)
Der britische Schauspieler und Sänger erzählt mit eigenen und sehr ehrlichen Worten von seinem Leben als schwuler Mann, wobei er besonderen Fokus auf seine Jugend lebt, Mobbing und Depression inklusive. Alexander wirft den Blick dabei aber nicht nur auf sich selbst, sondern versucht zu ergründen, wieso queere Menschen im Allgemeinen sehr anfällig für mentale Krankheiten sind. Eine kraftvolle, emotionale Reise, die aber auch Hoffnung macht.