Die 10 besten Anthologieserien, die du kennen musst
Von Manuel Simbürger
Was ist eine Anthologie-Serie?
Würden der Spielfilm und die Serie ein Kind miteinander bekommen, es würde den Namen Anthologie-Serie tragen: Diese Art von Serie erzählt pro Staffel oder sogar Episode eine in sich abgeschlossene Geschichte. Es kommt beim Eintauchen also schnell das Gefühl einer Kurzfilm-Sammlung auf. Die einzelnen Staffeln oder Episoden verbindet zwar ein übergeordnetes Thema, sie hängen aber sonst nicht (oder nur sehr lose) miteinander zusammen.
Das Besondere dabei ist, dass vor allem in modernen Anthologie-Serien das Schauspiel-Ensemble über alle Staffeln hinweg dasselbe bleibt, wobei die Darsteller*innen Jahr für Jahr in neue Charaktere schlüpfen. Das ist spannend wie faszinierend zugleich: Die Heldin von Jahr Eins kann zur Antagonistin in Jahr Zwei werden, der unscheinbare Schauspieler von Staffel Fünf ist plötzlich der schillernde Mittelpunkt in der darauf folgenden Season.
Eine Anthologie-Serie hat freilich viele weitere Vorteile: Als Zuseher*in darf man davon ausgehen, dass man eine per se abgeschlossene Geschichte erzählt bekommt, die Handlung ist also eine runde und deshalb befriedigende Sache. Auch die Gefahr von aufgewärmten Handlungssträngen besteht nicht.
Zudem lassen sich große Namen aus Hollywood gerne für Anthologie-Serien gewinnen: Sie müssen sich nicht für gleich mehrere Jahre an ein Projekt binden – und tun sie das doch, können sie Staffel für Staffel ihre Vielseitigkeit unter Beweis stellen. Das macht's auch fürs Publikum nicht fad. Und: die Staffeln (oder Episoden) von Anthologie-Serien lassen sich in den meisten Fällen in beliebiger Weise ansehen, je nach Lust und Laune!
Diese Art von serieller Unterhaltung ist streng genommen nichts Neues (als erste Anthologie-Serie gilt "The Philco Television Playhouse" aus dem Jahr 1948), hat aber seit den 2010er-Jahren (und dank Ryan Murphy) extrem an Popularität zugelegt. Unter den Streaming-Anbietern ist es Netflix, der die Zugkraft dieses Sub-Serien-Genres am meisten erkannt hat: Dort findet man die meisten Anthologie-Serien.
Die 10 besten Anthologie-Serien:
The Twilight Zone (1959-1964, 1985-1987)
Zwar nicht die erste, aber der Klassiker unter den Anthologie-Serien: "The Twilight Zone" schrieb mit damals innovativem und wegweisendem Konzept TV-Geschichte, das auch Regisseure wie Spielberg oder Lucas beeinflusste. Der Aufbau war stets derselbe: Ein Erzähler aus dem Off führt in die Geschichte rund um unerklärliche Phänomene ein, stellt die Protagonist*innen vor – und am Ende gibt's eine überraschende, moralische, sarkastische, makabre oder/und psychologisch doppelbödige Auflösung.
Jede Episode ist durchschnittlich 25 Minuten lang und besticht neben der lange nachhallenden Story auch mit einer Inszenierung, die jener auf der großen Leinwand um nichts nachstand. Obwohl es sich immer um verstörende Ereignisse handelt, tänzelt die Tonalität abwechslungsreich zwischen humoristisch, traurig, mysteriös oder nachdenklich.
2002 und 2019 gab es jeweils eine Neuauflage der Serie, die aber an die Qualität der originalen nicht heranreichten.
Anthologie-Highlight: können wir aufgrund der großen Menge an Episoden (allein von 1959 bis 1964 mehr als 150!) leider keine nennen. Am besten selbst in die Schattenwelt eintauchen!
"The Twilight Zone" ist aktuell leider nur auf DVD/Blu-ray erhältlich.
American Horror Story (seit 2011)
"American Horror Story" von "Glee"- und "Nip/Tuck"-Mastermind Ryan Murphy hat den bis heute andauernden Trend zur Anthologie-Serie erneut aufleben lassen, das Genre fit für die Gegenwart gemacht – und das mit Pauken, Trompeten und ganz viel Gänsehaut: Jede Staffel erzählt eine neue, in den Annalen der US-amerikanischen Historie verankerte Gruselgeschichte. Geschichten, die man gerne vergessen würde, die uns aber früher oder später einholen – und die als Metapher für menschliche Ur-Ängste, für menschliche Ur-Emotionen und für das Mensch-Sein selbst stehen:
Murphy und Brad Falchuk erzählen mit ihrem Schauspiel-Stammcast (darunter Jessica Lange, Kathy Bates, Evan Peters, Lily Rabe und natürlich "AHS"-Göttin Sarah Paulson) und großer Leidenschaft für Provokation von einem Spukhaus genauso wie von einem Hexenzirkel, Serien-Mörder*innen, einem Mörder-Camp in den 1980er-Jahren oder einer menchenverachtenden Freakshow.
Mit Splatter-Orgien, psychischer Gewalt, düsteren Sexszenen oder sonstigen (altmodisch-modernen) Schockexzessen lotet die Serie stets die Grenzen des Zumutbaren aus und fühlt sich dabei an wie ein endloser Alptraum, dem man entkommen will, aber irgendwie auch nicht.
Anthologie-Highlight: "AHS: Asylum", Staffel Zwei: Es geht um eine Nervenheilanstalt, in der Foltermethoden an der Tagesordnung stehen. Es geht aber auch um Kannibalen, Nazis, Aliens, blutrünstige Söhne und eine verrückte Nonne. Mittendrin: ein genial-böser Zachary Quinto.
American Crime Story (seit 2016)
"American Crime Story" ist die kleine Schwester von "American Horror Story": diesmal erzählt Ryan Murphy, erneut mit bekanntem Hang zu larger-than-life-Inszenierungen, von realen und populären Kriminalfällen rund um eine prominente Person.
In Staffel Eins steht der Strafprozess gegen den ehemaligen Football-Star O.J.Simpson im Fokus, der seine Ex-Frau und deren Geliebten kaltblütig ermordet haben soll. Damals waren das erste Mal TV-Kameras im Gerichtssaal zugelassen, der Prozess wurde zum Medien-Spektakel. In Staffel Zwei geht es um den ebenso aufsehenerregenden Mord an Mode-Zar Gianni Versace. Die bereits heiß ersehnte dritte Season handelt von der Sexaffäre zwischen Bill Clinton und seiner damaligen Praktikantin Monica Lewinsky.
Zwar nicht immer gänzlich faktengetreu, aber spannend und fesselnd von der ersten Minute an, beweist die Serie, dass immer noch das Leben die besten (und schockierendsten) Geschichten schreibt. Überragend sind stets die exzellent gecasteten Darsteller*innen, die vollkommen in ihren Rollen verschwinden und den realen Personen Tribut zollen.
Anthologie-Tipp: Der "Prozess des Jahrhunderts" rund um O.J.Simpson entführt uns zurück in die Neunziger und lässt uns wie damals erneut in Schnappatmung verfallen. Mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet!
Fargo (seit 2014)
Basierend auf dem gleichnamigen Kult-Film der Coen-Brüder aus dem Jahr 1996 erzählt die Crime-Serie von neuen blutig-brutal-skurrilen Verbrechen mit schräg-irrwitzigen Charakteren. Damit für genügend Abwechslung gesorgt ist, spielt jede Staffel in einem anderen Jahr und an einem anderen Schauplatz, auch die Schauspieler*innen sind andere: Martin Freeman und Billy Bob Thornton werden in Staffel Zwei abgelöst von Kristen Dunst und Patrick Wilson, die wiederum in der dritten Season für Ewan McGregor Platz machen.
"Fargo" überzeugt durch intelligenten und pechschwarzen Humor und eine Aura des Absurden. Die Serie funktioniert als unnachgiebiger Thriller genauso wie als zynische Charakterstudie. Kurz: schräg und düster zugleich!
Anthologie-Highlight: In Staffel Zwei läuft Kirsten Dunst zur darstellerischen Höchstform auf, die Serie selbst befindet sich auf ihrem Zenit des Selbstbewusstseins und der Doppelbödigkeit.
True Detective (2014-2015, 2019)
Jede Staffel dieses düsteren Polizei-Film-Noir-Dramas mit Versatzstücken aus dem Mystery- und Psychothriller-Genre stellt andere innerlich zerbrochene Ermittler*innen in den Fokus, die einen grausigen Mordfall aufklären sollen.
Alle Detectives haben ihr ganz eigenes Päckchen zu tragen, sie werden bestimmt von einer ausweglosen Trostlosigkeit, von Hoffnungslosigkeit und Nihilismus. Und sie werden dargestellt von großen Hollywood-Künstler*innen: Matthew McConaughey und Woody Harrelson (Staffel Eins), Rachel McAdamas, Colin Farrell und Vince Vaughn (Staffel Zwei) sowie Mahershala Ali, der die dritte Season im Alleingang bewältigen muss.
"True Detective" ist meilenweit entfernt von Mainstream-Unterhaltung dank hochkomplexer Handlungen und Dialogen, die vollgepackt sind von philosophischen, psychologischen und teils religiösen Motiven. Die Spannung entfaltet sich nach und nach, der sich vor allem im Kopf abspielende Horror nistet sich im Kopf der Zuseher*innen ein und lässt uns nicht mehr los. Eine fordernde Reise in die Abgründe der menschlichen Seele, die keine Angst vor der Wiederholung des Schmerzes hat.
Anthologie-Highlight: Staffel Eins, die sich anfühlt wie ein hypnotisierender Somnambulismus auf Film gebannt, und die das Serien-Genre auf ein neues Level hebt.
Black Mirror (2011-2019)
Dieser Sci-Fi-Mindfuck aus Großbritannien gehört zu den hochgelobtesten Serien der vergangenen Jahre: In jeder einzelnen Folge werden unterschiedliche, aber (fast) immer glaubhafte und genau deshalb furchterregende dystopische Zukunfts-Versionen erschaffen, in der wir Menschen süchtig nach Technik sind. Aber eigentlich geht es in "Black Mirror" nicht um die Gefahren der (zukünftigen) Technologie, sondern diese ist hier eigentlich nur Mittel zum Zweck, um die dunkelsten und streng abgeschotteten Plätze der menschlichen Seele auszuloten. Technik als gesellschaftskritischer schwarzer Spiegel sozusagen.
Die Serie sprengt auf bizarr-kreative und intellektuell höchst stimulierende Weise sämtliche Genre-Grenzen und ist visuell beeindruckend umgesetzt.
Anthologie-Highlight: der interaktive Film "Black Mirror: Bandersnatch". Hier entscheidest du, wie die Handlung weitergeht!
The Sinner (seit 2017)
Polizist Harry Ambrose, selbst am Leben knabbernd, taucht in "The Sinner" tief in die psychischen Abgründe von "Sündigern" ein – und oftmals ist nichts so, wie es auf den ersten Blick erscheint: In der ersten Staffel steht die junge Mutter Cora (Jessica Biel) im Mittelpunkt, die scheinbar ohne Grund mitten am Tag auf eine Frau einsticht. Season Zwei beschäftigt sich mit einem 13-jährigen Jungen, der seine Eltern vergiftet hat – und Matt Bomer in Staffel Drei gibt einen Geschichtslehrer, den dunkle Geheimnisse mit einem alten Freund verbinden. Ambrose ist jene Art von Ermittler, der nicht aufgibt, bis wirklich jedes grausame Detail an die Oberfläche kommt ...
"The Sinner" verbindet düstere Krimi-Spannung mit tiefgreifenden Charakterstudien. Die permanent unterschwellige Gefahr und die zermürbende Aura der Unwissenheit fesseln und wirken auch auf uns Zuseher*innen beunruhigend. Ein Psychothriller in Serienform, komplex, düster und subversiv.
Anthologie-Highlight: Staffel Eins, in der die Grenze zwischen Täter*in und Opfer verschwimmt und Jessica Biel als labile junge Frau durch die Bank überzeugt.
Love, Death + Robots (seit 2019)
Ähnlich wie "Black Mirror" entführt uns "Love, Death + Robtos" in die Zukunft, malt ein verstörend-schräg-faszinierendes Bild von dem, was kommt – mit Betonung auf "malt" (so quasi): Denn jede in sich abgeschlossene Episode ist ein Animations-Husarenstück, womit die Serie dann doch wieder so ganz anders als "Black Mirror" ist.
Erdacht zwar von Tim Miller ("Deadpool") und Star-Regisseur David Fincher ("Sieben"), inszeniert aber wurde die Serie von gleich 18 talentierten und vielfältigen Animations-Regisseur*innen aus aller Welt. Herausgekommen ist ein packender Mix aus unterschiedlichsten Stilen (von Cyberpunk bis hin zum Horror-Genre) und Geschichten, die von brutaler Komik bis hin zu existenzieller Philosophie reichen.
"Love, Death + Robots" beweist nicht nur Mut zum Risiko, sondern auch zum Schrägen. Nicht für Jedermann/frau, wie auch Netflix bewusst ist, das die Serie mit dem Prädikat "Nur für gestörte Zuschauer" unterlegte.
Anthologie-Highlight: In "Als der Joghurt die Kontrolle übernahm" übernimmt, genau, ein Joghurt die Weltherrschaft.
The Girlfriend Experience (seit 2016)
Die erste Staffel basiert auf dem gleichnamigen Film aus 2009 von Steven Soderbergh und erzählt vom aufregenden Doppelleben von Christine Reade: untertags brave Jurastudentin, abends heißes Callgirl, das sowohl für sexuelle, aber auch emotionale Stunden gebucht werden kann. Die zweite Season hat Genre-typisch nichts mehr mit der ersten zu tun, handelt aber ebenfalls von einer Frau im Escort-Business, die aufgrund eines persönlichen Dramas in ihren alten Job zurückkehrt. Parallel geht es um eine Spendenaktion, für deren Ziele zwei Power-Frauen zusammenarbeiten müssen ...
Starke Frauen, die Verbindung zwischen Sexualität und Macht, Sexismus und Feminismus und auch die immerwährende Frage nach dem wahren Ich: "The Girlfriend Experience" ist ein von Kritiker*innen gelobtes Hochglanz-Drama, dessen größte Stärken seine ambivalenten Figuren und der schnell einsetzende Suchtfaktor sind.
Anthologie-Highlight: Riley Keough, Hauptdarstellerin aus der ersten Staffel, wurde für ihre Rolle mit einem Golden Globe ausgezeichnet. Zudem ist die Handlung rund um Reade eine interessante Charakterstudie, die auch vor so manchen Wagnissen nicht zurückschreckt.
Spuk in Hill House (2018)
Die moderne Neuinterpretation des gleichnamigen Romanklassikers von Shirley Jackson handelt von fünf Geschwistern, die in der wohl berühmtesten Geistervilla Amerikas aufwuchsen. Als Erwachsene führt sie der Selbstmord ihrer jüngsten Schwester wieder zusammen und zwingt sie dazu, sich den Gespenstern ihrer Vergangenheit zu stellen. Einige davon schwirren ihnen lediglich im Kopf herum, andere treiben im Schatten der ikonischen Villa Hill House womöglich tatsächlich ihr Unwesen ...
Angenehm altmodische Grusel-Atmosphäre, verstörend-gruselige Bilder, zahlreiche Easter Eggs noch mehr pulstreibende Jump-Scares und eine psychologische Parabel über Verlust und Trauer: "Spuk in Hill House" gilt als die gruseligste Netflix-Serie ever.
Auch die zweite Staffel "Spuk in Bly Manor" erzählt die moderne Version einer klassischen Spukhaus-Geschichte aus 1898: Zwei Waisen werden in einem gruseligen Anwesen von einem Kindermädchen erzogen. In Blay Manor ist jedoch nicht alles so, wie es scheint, und Jahrhunderte voller dunkler Geheimnisse um Liebe und Verlust warten darauf, in dieser spannenden düsteren Romanze ans Tageslicht zu kommen ...
Anthologie-Highlight: "Spuk in Hill House" ist einen Tick gruseliger, mysteriöser und psychologisch ausgereifter.