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John Waters im Interview: "Die Apokalypse wird aufregend"

John Waters ist ein Gesamtkunstwerk. Der Regisseur von Kult-Streifen wie "Pink Flamingos", "Hairspray" oder "Cry-Baby" testet seit mehr als 50 Jahren aus, mit wie viel Subversion er "davonkommt" – meistens im schicken Anzug, immer mit schmalem Oberlippenbärtchen.

Tabus gibt es für den 77-Jährigen nicht, da man laut ihm über alles scherzen darf und auch sollte – seine Fans feiern ihn fast wie einen Propheten. "Trash" nach John Waters, ist nicht zum Wegwerfen gedacht, sondern für die Ewigkeit gemacht. Alles ist politisch. Genau darum geht es dem multidisziplinären Künstler auch, der eigentlich nur Geschichten erzählen und seinen besonderen Humor teilen möchte. Glücklicherweise gibt er dabei marginalisierten Gruppen eine Bühne und verändert damit seit den 70er-Jahren die Entertainment-Industrie nachhaltig.

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In seiner neuen One-Man-Show, die er am 03. April im Gartenbaukino in Wien präsentiert, sinniert er in einem hochkomischen Monolog über den Status der Welt, über Krankheit und die Überschreitung von sexueller Überschreitung. Film.at hat er mittels Videointerview bereits vorab Einblick in seine eklektische Welt gegeben. Gerade erst war Waters von Elton Johns legendärer "Oscars-Viewing-Party" zurückgekehrt und plauderte entspannt, von seinem Haus in Baltimore aus, mit der Redaktion.

Wenn Sie nach Wien kommen, touren Sie mit Ihrer neuen Spoken-Word-Show "End of the World". Würden Sie sagen, dass wir uns gerade in Endzeiten befinden?

Ja, es scheint, dass alles, was wir wissen und kennen, nicht mehr funktioniert. Auch Covid, das will auch nicht wirklich weggehen. Also spreche ich humoristisch darüber und präsentiere, wie wir es wieder hinkriegen können – nämlich mit wahnsinnigem Optimismus.

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Haben Sie bereits über die Apokalypse nachgedacht?

Über die Apokalypse habe ich natürlich nachgedacht. Ich denke, Harry Styles wird der letzte Popstar der Erde sein. Wir werden nichts mehr verpassen, weil das Ende der Welt kommt. Das ist aber auch aufregend, da muss man mal darüber nachdenken. Es wird keine Generation nach uns geben und wir werden in den Genuss kommen, das letzte Wort gehabt zu haben.

Wurden Sie katholisch erzogen?

Ja, ich wurde halb-katholisch erzogen. Meine Mutter war Katholikin, mein Vater war es nicht. Damals war das noch kontroversiell. Ich bin in öffentliche und katholische Privatschulen gegangen, aber ich wusste ja immer, was ich tun möchte. Wenn ich nach der sechsten Klasse die Schule abgebrochen hätte, würde ich jetzt genau dasselbe machen und dieselbe Person sein. Normalerweise geht man ja in die Schule, um herauszufinden, was man später machen möchte. Aber mich wollten sie nie tun lassen, was ich tun wollte!

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Es scheint, Sie haben es dann trotzdem getan. Woher kam dieses Wissen, um ihren Lebensweg?

Ich war einfach getrieben. Ich wusste, ich wollte Bohemia. Ich wollte diese Art von Filmen machen und meinen Sinn für Humor teilen, den ich auch mit meinen Freund:innen hatte.

Apropos Humor: Wird Ihre Show bei allen humoristischen Aspekten auch politisch korrekt sein?

Ich würde sagen, ja. Aber ich mache mich über politische Korrektheit lustig. Ich veräpple die Regeln, nach denen wir leben, die ja politisch korrekt sind.

Wie hat sich der Begriff seit Ihren Film-Anfängen in den 70er-Jahren verändert?

Es kommt darauf an – ich verwende solche Wörter nicht, aber als ich mein aktuelles Buch "Liar-Mouth" geschrieben habe, da hatte ich eine:n "Sensitivity Editor".

Also eine Person, die nochmal checkt und absichert, dass die Texte keine marginalisierte Gruppe angreifen und niemanden verletzen?

Ja, auch deshalb habe ich das Buch lächerlich politisch korrekt geschrieben, was noch viel lustiger ist. Dann sieht man nämlich den Humor in dem Ganzen. Wenn man Leute belehrt und sagt, was sie tun sollen, dann wenden sie sich gegen einen und werden reaktionär. Das Problem ist, Reaktionäre wählen dann politisch rechts. Also scheint es mir, politische Korrektheit ist das genaue Gegenteil von dem, was es früher war. In den 60er-Jahren hatten die Leute jede Nacht mit jemand anderem Sex, mittlerweile braucht man drei Anwält:innen, um jemanden um ein Date zu bitten.

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Braucht Humor dann Überschreitungen oder Verstöße eigentlich noch?

Ja, das ist schon noch wichtig, aber zu schockieren ist so einfach. Meine Filme bringen zum Lachen und sie schockieren auf eine Art, dass man sich wundert, weil man so überrascht wurde. Es ist schwieriger, das so schlau zu tun, damit Menschen in Folge ihre Sichtweise auf manche Dinge ändern und aufhören, andere zu verurteilen. Genau das habe ich immer versucht. Wie beim Film "Pink Flamingos" früher, der mittlerweile sogar von der Regierung ins Amerikanische Filmregister aufgenommen wurde. Das hat sogar mich schockiert und zeigt eigentlich nur, dass Humor am Ende gewinnt.

Was finden Sie lustig dieser Tage?

Ich finde Witze über politische Korrektheit lustig. Chris Rocks Show war lustig. Roseanne Barr hat eine rechts-politische Comedy-Show gemacht, da waren ein paar gute Witze dabei. Ich denke, wir können uns alle über uns selbst lustig machen. Das ist es, was uns zusammenbringen kann. Ich bin kein Separatist, ich habe auch selbst Freunde, die damals Trump gewählt haben. Wir sprechen aber nicht so viel darüber.

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Bewahrt man so den Frieden im Freund:innenkreis?

Ich denke, man muss für Unterhaltungen offen sein. Wenn sich beide Seiten darüber lustig machen können, dann kann man auch gut über Politik sprechen. 

Wovor haben Sie Angst? Oder haben Sie überhaupt vor etwas Angst?

Natürlich, vor schlechter Gesundheit – ich bin 77 Jahre alt. Ich habe auch Angst davor, wie entfremdet jeder voneinander ist.

Setzen Sie sich viel mit der Klimakrise auseinander? Das ist wohl auch ein Teil vom Weltuntergang.

Ja, dieses Thema ist mir sehr wichtig. Ich wohne im Sommer am Strand, da muss ich wissen, ob mein Haus dort bald überflutet wird. (lacht)

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In Europa wird viel über die "Klima-Kleber:innen" gesprochen. Was halten Sie von der Bewegung?

Ja, davon habe ich gehört. Und sie werfen mit Pudding. Ich verstehe nicht, weshalb man sich zum Beispiel an die Mona Lisa klebt, oder an andere Kunstwerke, das ergibt für mich keinen Sinn.

Und sich aus Protest auf die Straße zu kleben? Fahren Sie selbst eigentlich Auto?

Ja, ich fahre Auto. Es nervt natürlich, wenn man dann persönlich im Stau steht. Aber ich bin für alle Arten von Protesten. Wenn man sich ansieht, was sich in den 60er-Jahren verändert hat, oder durch "Black Lives Matter", dann sieht man, dass es funktioniert.

Sie sprechen auch darüber, dass sich das Film-Business verändern muss. Welche Probleme gibt es?

Es gibt sehr viele Probleme, vor allem aber zwei große: Junge Menschen mögen keine Kunstfilme, alte Menschen kommen nicht zurück in die Kinos. Wie ich das zu ändern gedenke, erkläre ich in meiner Live-Show.

Gibt es Filme-Macher:innen oder Künstler:innen, die Sie aktuell beeindrucken?

Ja, diese Gruppe, die bei euch in Österreich aktiv ist, Gelitin. Die machen verrückte Kunst, die ich mag. Ich liebe Filme von Gaspar Noé oder Francois Ozon. Mein liebster Streifen war sein Remake von Fassbinders Film "Petra von Kant", das er "Peter von Kant" nannte. Ich mag französische Filme mit Nacktheit und, wie ich sie nenne, "feel-bad"-Kunstfilme. Ich fühle mich immer gut, deshalb erwarte ich auch nicht, dass ein Film mich dazu bringt, mich wohlzufühlen.

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Das erinnert mich an Ihr Buch "Liar-Mouth", das als Untertitel hat: Eine "feel-bad"-Romanze.

Genau, das war der Witz daran. Ich hasse Rom-Coms. Das Buch ist eine Romanze, aber eben eine der "feel-bad"-Art. Es handelt von Personen, mit denen man sich im echten Leben nie abgeben würde, weil sie so verachtenswert sind.

Was genau macht dieses "feel-bad" Genre mit de:r:m Zuschauer:in oder de:m:r Leser:in?

Es fordert einen heraus, man lernt, andere Menschen zu verstehen und sie nicht zu verurteilen. Niemand kennt die gesamte Lebensgeschichte eines anderen. Das ist wichtig zu wissen, denn niemand ist grundsätzlich böse geboren. Irgendetwas ist mit jemandem passiert, weshalb er/sie dann so geworden ist. Da denke ich wieder an die katholische Kirche, an die Erbsünde, die sagt, dass man schuldig geboren wird. Im Judentum ist das besser, dort wird einem mitgegeben, dass man auserwählt wurde. Das klingt viel gesünder.

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Das klingt direkt nach einer Filmidee – wie entscheiden Sie eigentlich, welche Idee in welcher Form umgesetzt wird?

Da gibt es auf jeden Fall Überschneidungen. Das Buch "Liar-Mouth" war ganz am Anfang eine Filmidee, die ich nie weiterentwickelt habe. Ich verschwende keine Ideen. Ich liebe es einfach, Geschichten zu erzählen. Mittlerweile gebe ich auch mehr als 40 Shows im Jahr und reise ständig. Aber ich mag das, weil ich in Berührung mit meinem Publikum bin.

Sie drehen auch weniger Filme als früher, hat das damit zu tun, dass Sie die direkte Reaktion des Publikums mehr genießen?

Ja, ich mag es, wenn das Publikum direkt auf etwas reagiert. Wenn ich einen Film mache, schaue ich den Streifen danach nie wieder an. Außer ich werde dazu gezwungen, durch eine Premiere zum Beispiel. Ich "rewatche" meine alten Filme nie, aber ich blicke positiv zurück und ich habe sie alle gleich gern. Ich weiß auch bis jetzt noch nicht, weshalb manche Filme zum Erfolg wurden und andere nicht.

Lesen Sie noch Kritiken? Ich habe gehört, Sie haben sich früher speziell über die schlechten gefreut.

Ja, ich lese sie alle. Ich glaube auch Leuten nicht, die sagen, sie lesen Kritiken nicht. Und in jedem Fall, hört man sowieso davon, weil irgendjemand etwas darüber erwähnt. Ich sage immer, man liest die guten Kritiken zweimal, die schlechten einmal und dann legt man alle weg und denkt nicht mehr daran.

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Ich habe beim Titel Ihrer Show "The End of The World", an ein Zitat von William S. Burroughs aus seinem Buch "Naked Lunch" denken müssen. Das geht so: "Du warst nicht hier für den Anfang, du wirst auch nicht hier sein, wenn das Ende kommt. Dein Wissen darüber, was vor sich geht, kann also nur oberflächlich und relativ sein."

Das stimmt, es ist eigentlich genau das gleiche, was ich sage: Verurteile und bewerte niemanden. Ich kannte William S. Burroughs, wir haben sogar ein oder zwei gemeinsame Shows gemacht. Ich war mal in seinem Haus, habe in seinem Schlafzimmer herumgeschnüffelt und gesehen, dass er die Taschenbuch-Version vom Guyana-Massaker, also die Geschichte vom Massensuizid in Jonestown, gelesen hat. Er hat warmen Wodka in einem ausgewaschenen Erdnussbutterglas serviert. Es war großartig und ich sage Ihnen, wenn William S. Burroughs Ihnen einen Joint anbietet, dann nehmen Sie ihn lieber.

Haben Sie etwas Spezielles von William S. Burroughs gelernt?

Ja, ich habe etwas sehr Wichtiges gelernt. Nämlich, immer einen Look zu haben. Es war erstaunlich, William sah immer alt aus, auch als er jung war. Er hat sich wie ein alter Mann angezogen. Er sah nie aus wie ein Hippie.

Also eine Art von Uniform?

Ja, genau, er hat immer Anzug getragen. Er hat sich aber gleichzeitig auch immer wieder neu erfunden. Das muss man auch, um relevant zu bleiben.

Und diesem Rat folgen Sie heute noch?

Natürlich!