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Harald Krassnitzer über "Taktik" und toxische Männlichkeit

Am 6. Mai startet der österreichische Film "Taktik", der lose auf dem Geiseldrama in der Justizanstalt Graz-Karlau im Jahr 1996 basiert, im Kino. 

Der Film ist nicht nur das Regie-Debüt von Marion Mitterhammer und endlich mal wieder ein heimischer Streifen, der die große Masse interessieren könnte, sondern zeigt Schauspiel-Ausnahmetalent Harald Krassnitzer auch in einer ungewohnten Rolle: Er gibt den Geiselnehmer Aloysius Steindl, das filmische Pendant zum berüchtigten Adolf Schandl, brutaler Anführer der Aktion und fürsorglicher Gentleman-Opa in einer Person.

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Krassnitzer brilliert als höflicher (sowie narzisstischer) Psychopath auf ganzer Linie und hat sichtlich Spaß daran, endlich mal eine andere Seite von seinem schauspielerischen Talent zu zeigen. Da "Taktik" ein kriminalistisches Kammerspiel und ein nervenzerrendes Psychoduell zwischen Polizist (Simon Hatzl) und Geiselnehmer (Krassnitzer) ist, entpuppt sich "Taktik" als großes Schauspielkino, in dem es nicht um rasantes Tempo und Action, sondern um Emotionen, emotionales Kräftezerren und psychologische Studien über das Menschsein geht. Gerade deshalb ist der Film ein nicht perfekter, aber gelungener Adrenalin-Schocker geworden.

Das Ende mag etwas zu abrupt daherkommen, aber der Weg bis dahin lohnt sich für die ZuschauerInnen allemal.

Wir baten anlässlich des Filmstarts Harald Krassnitzer zum Interview. 

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Wie haben Sie damals das Ereignis rund um Graz-Karlau verfolgt und aufgenommen?

Das war damals eine klassische Alarmmeldung. 1996 waren wir noch nicht von all den täglichen Dingen und all den permanenten Nachrichten-News überfrachtet, solch eine Meldung war tatsächlich noch so etwas wie ein Ereignis. Man konnte sich überhaupt nicht vorstellen, was da passiert und wie das Ganze ausgehen würde.

Sie spielen Aloysius Steindl, den Anführer der Geiselnehmer. Ihre Figur basiert auf Adolf Schandl ...

Ja, er war damals quasi ausschlaggebend für dieses Ereignis, war der Rädelsführer. Er hat ja zuvor schon mit einem spektakulären Ausbruch aus der Justizanstalt Stein in Wien für Furore gesorgt und ist indirekt mit dem damit zusammenhängenden Spruch "I bins, dei Präsident!" in die Kriminalgeschichte Österreichs eingegangen.

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Trotzdem ist "Taktik" kein dokumentarisches Drama ...

Genau. Ich glaube, damit könnte man dem damaligen Ereignis gar nicht gerecht werden. Für uns war vor allem spannend, was in solch einer Eskalationssituation passiert. Uns haben vor allem zwei Ebenen fasziniert: Zum einen die innere Ebene der Eingeschlossenen und der gleichzeitig Aufbrechenden sowie der Versuch, die ersehnte Freiheit zu erlangen.

Auf der anderen Seite gibt es den verhandelnden Polizisten, lose basierend auf Eduard Hamedl, der in einer Zeit agiert, in der es noch kein Profiling und ähnliche Technologien gab. Im BKA wurden damals erst die ersten dementsprechenden Abteilungen gegründet. Anscheinend also hat dieser Polizist damals seine Verhandlungstaktik aus seinem natürlichen Instinkt heraus bereits hervorragend beherrscht – das ist extrem faszinierend.

Er hatte neben seiner Intelligenz auch einen sehr hohen emotionalen Quotienten, konnte sich in Menschen einfühlen und sie dazu bringen, eine scheinbar souveräne Situation – ohne, dass sie es merken – zu verlieren.

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Auch wenn er manchmal den Anschein einer hohen Naivität erweckte, hat Hamedl die Archillesferse des Geiselnehmers erkannt: nämlich seine grenzenlose Eitelkeit, seinen Narzissmus und diese unglaubliche Überheblichkeit.

Mit der Rolle des immer wieder erwähnten Gentleman musste Steindl/Schandl diesem Bild gerecht werden und hat damit seinen eigenen Plan durchkreuzt – zum Glück! Es handelte sich bei den drei Geiselnehmern ja um Schwerverbrecher ohne Hemmungen vor Gewalt und man wusste bis zuletzt nicht, wie die Sache ausgehen wird.

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Haben Sie sich im Rahmen Ihrer Recherche mit Adolf Schandl getroffen?

Nein, denn zum einen wollte ich ihn nicht imitieren und zum anderen haben wir alle beschlossen, ihm mit unserem Film keine Plattform zu bieten. Ein paar Dinge aus dem unmittelbaren Umfeld oder beispielsweise die Verhandlungsprotokolle habe ich mir schon näher angeschaut. Ich habe aber schnell gemerkt, dass das für unsere Aufgabe, einen kammerspielartigen Thriller zu kreieren, nicht dienlich ist. Wir können ja zudem auch nicht die gesamten neun Stunden der Geiselnahme abbilden.

Bruchstückhaft haben wir uns einzelner Elemente aus den Gesprächsprotokollen bedient – Elemente, die Hans-Günther Bücking, der das Drehbuch schrieb, sehr gut einfangen hat. Die Gespräche im Vorfeld mit Hans waren sehr interessant. Wir wollten den Clash der beiden Figuren – Geiselnehmer und Polizist – herausarbeiten.

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Die Leistung von Simon Hatzl als Polizist Hollerer ist großartig.

Auf jeden Fall, es ist ganz sein Film. Das Spiel mit Simon war faszinierend.

Die Handlung des Films spielt (fast) ausschließlich an zwei Orten. Was waren die größten Herausforderungen, rund drei Wochen immer nur im selben Raum zu spielen?

Dadurch, dass es sich bei "Taktik" um ein Projekt mit sehr schmalem Budget handelte, konnten wir keine großen Sprünge bei den Dreharbeiten machen und haben meine Szenen schon in zehn Tagen im Kasten gehabt. Diese Kammerspiel-artige Situation hat wirklich vieles erleichtert. Obwohl du da drin irgendwann auch einen Vogel kriegst, weil alles vergittert war, alles abgedunkelt, du dich immer im selben Raum befindest ... Ja, das ist unangenehm.

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Aloysius Steindl ist ein Bösewicht – eine Rolle, die Sie eher selten spielen. Aber unterscheiden Sie als Schauspieler überhaupt zwischen "gut" und "böse", wenn Sie sich ihre Figuren erarbeiten?

Für mich ist entscheidend, dass ich nicht von vornherein sage: "Ich werde jetzt einen Bösewicht spielen!" Denn dann bewerte ich von Anfang an diese Figur und nehme mir jeglichen Spielraum. Wichtig ist, den Menschen dahinter anzuschauen. Wenn ich eine Figur als Bösewicht betrachte, dann spiele ich nur noch auf Effekt: Wie komme ich möglichst böse rüber?

Im besten Falle entscheide nicht ich über "gut" und "böse", sondern das Publikum. Für mich ist gerade dieser Scheideweg sehr spannend: Wann entscheidet man, ob man mit einem Menschen nichts mehr zu tun haben möchte – und wann lässt man sich von ihm einnehmen? Wir wissen von Persönlichkeiten aus der Kriminalgeschichte, wie beispielsweise Jack Unterweger, dass diese Trennlinie oft nicht ganz eindeutig zu ziehen ist.

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Aber Steindl beziehungsweise Schandl ...

Ja, ich verurteile an dieser Figur so einiges: Wir haben es hier mit einem völlig gestörten, in seiner Struktur schwer geschädigten Menschen zu tun, der seine Störungen auch noch mit einer unglaublichen Gewaltbereitschaft ausleben will. Das heiße ich alles andere als gut. Steindl zeigt Gewalt Schwächeren gegenüber, in diesem Fall Frauen, und er ist klar ein Arschloch.

Ich kann aber an die Figur nicht mit dem Gedanken rangehen, dass er ein Arschloch ist. Sondern ich muss mich fragen, wo und was seine Sehnsüchte sind, was ihn antreibt, was seine Beweggründe für sein Handeln sind. Ich finde es zum Beispiel spannend, dass er gleich mehrmals spektakuläre Gefängnisausbrüche abgeliefert hat, was für mich von einem hohen Drang nach Freiheit zeugt. Dieser Drang ist durchaus menschlich. Dass dahinter eine Story steht, die rechtfertigt, wieso man die Gesellschaft von ihm getrennt hat, ist ein anderes Thema.

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Zudem fasziniert mich an der Figur auch, dass das Bild, das er von sich zeichnet, überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was er in seinem Leben angestellt hat. Früher ist er anscheinend bei Frauen gut angekommen, die Sehnsucht danach merkt man immer noch. Auch das ist menschlich. Prosaisch ausgedrückt handelt es sich bei ihm um eine Sehnsucht nach Liebe. All diese Bruchstellen, die manchmal auch etwas Komödiantisches haben, habe ich versucht zu zeigen.

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Apropos: "Taktik" schlägt vor allem in den Verhandlungsszenen auch humorvolle Töne an. Wie schafft man es als Schauspieler, die Balance zwischen Gefahr und Humor zu wahren und dabei nicht in die Groteske abzudriften?

Das sind durchaus bewusste Entscheidungen, die man da trifft. Das ist wie ein Feilen an Silbergravituren: Wo breche ich mit meinem Spiel, wo lasse ich etwas Komödiantisches durchblitzen? Die Verhandlungen zwischen Steindl und Hollerer bewegen sich zum Teil tatsächlich an der Grenze zu einer Doppelconference und haben etwas von einer Kabarettgruppe. Teile der echten Verhörprotokolle haben tatsächlich diesen Charakter.

Wenn wir ganz ehrlich zu uns sind, dann stellen wir fest ,dass oft in den tragischen Momenten unseres Lebens Dinge passieren, die uns schwer erschüttern, uns zugleich aber an die Grenzen des Humors bringen. Dass wir plötzlich in Situationen lachen müssen, in denen wir gar nicht wissen, ob wir lachen oder weinen sollen. Ich finde, das ist das Schönste, was das Leben zu bieten hat.

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Gegenfrage: Der Film schockiert mit drastischen Szenen, die vor allem psychische Gewalt gegen Frauen zeigen und die noch dazu sehr plötzlich und unvermittelt daherkommen. Glauben Sie, dass der Film Kontroversen auslösen wird?

Ich weiß es nicht. Ich glaube, wir zeigen mit dem Film auf, dass Gewalt gegen Frauen leider immer noch Standard ist. Wir leben nach wier vor in einer patriarchalen Welt, Österreich hat leider immer noch kein Feingefühl für all die Femizide hierzulande.

Gerade während Corona hat sich gezeigt, gegen wen sich die Aggression, gegen wen sich die Verzweiflung im Ernstfall richtet: nämlich doch nicht gegen irgendwelche Gegenstände oder gegen sich selbst. Das einzige Ventil, das wir in der Familie offensichtlich nach wie vor haben, ist die Hand gegen die Frau oder gegen die Kinder. Das ist etwas, mit dem viele Österreicher groß geworden sind, ist immer noch in unserer Gesellschaft implementiert.

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Ja, viele Dinge haben sich bereits gebessert: Gott sei Dank haben die Exekutive und die Justiz im Vergleich zu früher eine höhere Sensibilität diesem Thema gegenüber entwickelt. Aber es ist immer noch so, dass wir in vielen Bereichen zu wenig genau hinschauen können – und sind dann ganz erstaunt und erschüttert, wenn wir mit solch schlimmen Dingen konfrontiert werden!

Unser Film zeigt die Dringlichkeit dieses Themas. Und er entlarvt, wie unglaublich erbärmlich solche Männer am Ende des Tages sind.

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Marion Mitterhammer meinte in einem Interview, sie wolle mit dem Film vor allem die "toxische Männergesellschaft" vorführen. Sehen Sie das auch so? Geht es im Film wirklich darum, um toxische Männlichkeit?

Ja, unter diesem Aspekt könnte man den Film auch durchaus betrachten. Denn bei allem Respekt dem Polizisten Hollerer gegenüber, muss man ehrlich sagen: Auch ihn sehen wir anfangs in einer sehr ambivalenten Situation seines Lebens, die nicht unbedingt das beste Licht auf ihn wirft. "Taktik" hat etwas sehr entlarvendes, was einen bestimmten Teil der Männerwelt und das konservative Männlichkeitsbild betrifft.

"Taktik" startet am 6. Mai in den Kinos.