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Karl Markovics im Interview: "Kino lässt Generationen miteinander sprechen"

Regisseur Adrian Gogigner griff in seinem dritten Werk "Der Fuchs" erneut auf eine emotionale Geschichten aus dem echten Leben zurück und verfilmte eine außergewöhnliche Episode aus dem Leben seines Urgroßvaters: Franz Streitberger, ein Sohn armer Bergbauern, wird im Zweiten Weltkrieg als Motorradkurier in Frankreich eingesetzt und schließt eine ungewöhnliche Freundschaft mit einem Baby-Fuchs, den er gesund pflegt und 1940 ein ganzes Jahr als ständigen Begleiter an seiner Seite hat.

Als wichtige Vorgeschichte bietet uns das Werk in den ersten 20 Minuten auch einen Blick auf die harte Jugend des künftigen Fuchs-Freundes. Hier erleben wir im Jahr 1927 Karl Markovics als Franzens Vater – einen analphabetischen Bergbauen, der unter extremen Bedingungen seinen Lebensunterhalt und den seiner vielköpfigen Familie verdient. Wir haben Markovics zum Interview getroffen, um zu erfahren, wie er die Dreharbeiten erlebt hat.

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film.at: Größer könnte der Kontrast nicht sein: Wir sitzen gerade in einem bequemen Wiener Innenstadt-Café – Sie müssen sich in "Der Fuchs" in einer kargen, menschenabweisenden Almlandschaft als Bergbauer zurechtfinden. Wurde da wirklich im Salzburger Bergland auf einer noch bestehenden Almwirtschaft gedreht?

Karl Markovics: Ja, tatsächlich. Auf etwa 1600 oder 1700 Metern ist dieses seit 500 Jahren nahezu unveränderte und immer noch bewirtschaftete Anwesen gelegen. Wir waren schon ein paar Tage vor Drehbeginn dort, gemeinsam mit den ganzen jungen Kolleginnen und Kollegen, die meine Töchter und Söhne gespielt haben, und das war für mich die beste Vorbereitung, die man sich wünschen kann. Man hat auf Anhieb ein Gefühl dafür bekommen, wie sich ein Leben damals unter diesen Bedingungen für eine arme Familie mit vielen Kindern angefühlt haben muss. Was es also bedeutet hat, durch den Winter zu kommen und wie problematisch es war, wenn da auch nur einer von ihnen eine Verletzung oder eine Krankheit hatte und gar nicht in der Lage war, rasch den nächsten Arzt zu verständigen, geschweige denn, ihn später zu bezahlen.

Diese Verhältnisse und das Haus selbst haben mich auch an Peter Rosegger und seine sogenannte Waldheimat erinnert.

Stimmt, das ist schon eine Lebensform, die dann teilweise auf eine Art romantisiert wurde, welche mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hatte. Da entstand dann in den Köpfen der Stadtmenschen in warmen Stuben ein verfremdetes Bild und es kam die verfälschende Rede von der "guten alten Zeit" auf.

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Method Acting oder Laurence-Olivier-Anhänger?

Weil Sie vorhin vom rechtzeitigen Eingewöhnen ins Leben auf dem Hof gesprochen habe: Neigen Sie zu Method Acting? Man sieht ja ihre Figur erstmals, wie sie abends todmüde und abgearbeitet nach Hause kommt. Hacken Sie vor einer solchen Szene zum Beispiel wie wild Holz oder verbringen ein paar Stunden im Wald mit Forstarbeit?

Es gibt zwei Arten von Schauspielern: die Laurence Oliviers oder die Dustin Hoffmans. Lassen Sie mich das mit einer Anekdote erklären, die angeblich bei den Dreharbeiten zu "Der Marathon-Mann" passiert sein soll. Hoffman war vollkommen erledigt, verschwitzt und am Ende, weil er nach stundenlangem Joggen am Set angekommen ist, als ein ausgeruhter Olivier gerade den Wohnwagen verließ und ganz erstaunt seinen Kollegen betrachtete. Hoffman erklärte, er habe sich so auf die nächste Szene vorbereitet, in der er einfach körperlich fertig sein musste, woraufhin Olivier entgegnet haben soll: "Why don't you try acting?". Ich bin da eher der Laurence-Olivier-Anhänger.

Aber eine Vorbereitung auf den seltsamen altertümlichen Salzburger Dialekt war wohl auf jeden Fall nötig. Ich selber habe nicht alles verstanden, was da im Film gesprochen wurde, und Ihnen liegt ja sicher auch das Wienerische näher als diese andere Mundart. Wie haben Sie sich den Dialekt angeeignet?

Dafür hatten wir von Anfang an eine Dialekt-Coachin. Sie hat natürlich in erster Linie den Hauptdarsteller Simon Morzé betreut und teilweise auch vor Ort gelebt. Für mich hat sie meine Texte auf Band gesprochen und ich habe mir diese Tondatei ab Beginn des Textlernens immer wieder parallel dazu angehört. An den Tagen, die wir schon früher am Drehort waren, hatte ich mit ihr dann noch eine Intensiv-Sitzung und während des Drehs auch ihre ständige Unterstützung.

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Volkslied und Märchen mit prähistorischen Momenten

Welches Lied stimmen Sie da am abendlichen Herdfeuer in der Hütte im Kreis der Familie an? Ist das ein altes Volkslied?

Genau, das ist "D'Sunn hod si hinterm Berg umedraht" – ein wunderschönes Lied, das tatsächlich aus dieser Zeit stammt und vom musikalischen Betreuer der Produktion in einer Liedersammlung ausgegraben wurde. Wir haben es im Vorfeld schon rechtzeitig bekommen, und solche Dinge prägen dann die Atmosphäre oft stärker als jede plumpe Nachstellung von Ereignissen. Diese Gesangs-Szene hat etwas geradezu Höhlenartiges an sich und ich würde sagen, der Unterschied von dieser Zeit zum Prähistorischen war wahrscheinlich geringer, als von damals zu heute. Aber man braucht ja gar nicht in die prähistorische Vorzeit zurückgehen: Auf den Bergbauernhöfen hat sich in den 500 bis 600 Jahren ihres Bestehens bestimmt weniger an Veränderungen getan als in den knapp 10 Jahrzehnten, die seither vergangen sind.

Ihre Figur des Bergbauern ist erstaunlich musisch: erst singt sie, dann erzählt sie dem kranken Sohn ein Märchen oder eine Legende vom Tod – auch Boandlkramer genannt.

Das ist ein Märchen, das der Mann sicher von seiner Großmutter gehört hat und die wiederum von ihren Großeltern. Es ist wahrscheinlich schon erforscht, ob solche Texte gerade im Alpenraum eher mütterlicherseits oder väterlicherseits weitergegeben werden. Ich hab das für meine Figur immer so verstanden: dieses Singen und Märchenerzählen, das vom Vater ausgeht, ist sozusagen der kleine metaphysische Ausgleich zu seinem ansonsten rein physischen harten Leben.

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Freiheit beim Spielen trotz realer Figur

Also eine sehr ungewöhnliche Rolle, würde ich sagen.

Ungewöhnlich auf jeden Fall, weil sie auf der einen Seite so etwas extrem Biografisch-Authentisches hatte, aber zugleich habe ich für mich immer einen großen Freiraum verspürt, den mir sowohl der Regisseur zugestanden hat und den ich mir auch genommen habe. Diese Person ist ja kein historisches Vorbild, das alle kennen würden. Simon in der Hauptrolle war da schon in einer anderen Lage, weil die Informationen zu seiner Figur wesentlich genauer und umfangreicher vorhanden waren.

Gab es zu Adrian Goigingers Ururgroßvater gar keine Unterlagen?

Mir hat Adrian nur ein Foto seines Ururgroßvaters geschickt und von ihm erzählt, so viel er eben über ihn wusste. Er meinte, das Leben dieses Menschen würde sich eher über seine Arbeit definieren – was er tut und wo er es tut. Da ich ohnehin ein sehr haptischer und körperlicher Mensch bin, fiel mir die Rolle auch nicht schwer: Ich weiß, welche Arbeit es bedeutet, einen Baum zu entwurzeln. Für mich war die Vorstellung, mich in dieser Umgebung zu bewegen und ein Werkzeug zum Holzhacken oder dergleichen in der Hand zu halten, etwas ganz Natürliches. Deshalb habe ich das Gefühl, mich dort Method-Acting-mäßig einbringen zu müssen, sowieso nicht gehabt. Einem Nichtraucher merkt man es im Film zum Beispiel an, wenn er rauchen soll. Das ist eine der wenigen Sachen, die man wirklich methodisch üben muss – wie man Dinge richtig hält und angreift.

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Der besondere Moment beim Dreh

Im Grunde zerfällt der Film ja in zwei Teile. Diese etwa 20-minütige Vorgeschichte über den kleinen Franz und sein Leben auf dem Bergbauernhof, und dann die Fuchs-Geschichte mit dem erwachsenen Franz als Soldaten. Hatten Sie das gesamte Drehbuch oder nur den Teil mit ihrem Part bekommen?

Ich hab das Drehbuch als Ganzes zum Lesen bekommen, aber während der Dreharbeiten habe ich dann keine Geschichte mehr vor mir, sondern wirklich nur eine Situation und ich bin extrem darauf angewiesen, dass diese Situation von dem Raum, in dem ich mich befinde und von all den Menschen und Dingen darin, erfüllt ist. Im Idealfall und nach einem guten Casting ist man dann in einer Situation wie beim Singen des Liedes oder beim Sitzen am Esstisch, wenn alle das Vaterunser beten. Da braucht man das Drehbuch nicht mehr herzuholen, sondern es kommt nur auf diesen einen Moment an. Das liebe ich auch so am Drehen, weil es da keine lineare Bedeutung gibt. Beim Theater ist es umgekehrt und auch das hat natürlich seinen Reiz.

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Ein unerschrockener Junge

Maximilian Reinwald, der Junge, der ihren Filmsohn spielt, ist besonders eindrucksvoll. War das seine erste Rolle?

Ich glaube schon, im Film hat der noch nie gespielt. Er war wirklich so, wie man ihn erlebt und er redet auch genauso. Der Junge war ungeniert in einem guten Sinn und hatte überhaupt keine Scheu oder Berührungsangst – und das ist das Tolle an ihm, denn das gibt es ja immer weniger, dass ein Kind nur mit Dialekt aufwächst. Sogar auf dem Land ist das mittlerweile eine Ausnahme. Bei ihm ist es auch durch den Kontakt mit seinem Großvater zu dieser Sprechweise gekommen, wie er mir erzählt hat.

War es ein langer Casting-Prozess, bis man ihn gefunden hat?

In der letzten Runde war ich direkt involviert. Da waren wir in einem Kulturzentrum und an dem Tag gab es noch die letzten sieben Burschen, die für die Rolle in die engere Wahl kamen. Wieviel es am Anfang waren, weiß ich nicht, aber die sieben letzten wollte Adrian mit mir casten, um herauszufinden, wer von ihnen am besten zu mir passte, und er war derjenige, der sofort vom Spielen, von der Präsenz, von der Selbstverständlichkeit her herausgestochen ist.

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Separater Dreh, schwierige Schrift und die Macht des Kinos

Da Sie ja nur in den ersten Minuten des Films auftreten, in denen die Vorgeschichte von Franz erzählt wird, haben Sie in ihrer Vater-Rolle nie etwas mit dem Fuchs zu tun. Sind Sie selber abseits der Kamera in Kontakt mit dem Tier gekommen?

Nein, überhaupt nicht. Das war tatsächlich ein komisches Gefühl, denn wir haben auch mit diesem Teil begonnen und danach konnte man sich sagen, jetzt fängt der Film erst richtig an und alle andern drehen noch intensiv. Mit Simon hatte ich auch keinen einzigen Drehtag.

Aber den Film haben Sie schon gesehen?

Nein. Bei der Wien-Premiere im Gartenbaukino sehe ich ihn zum ersten Mal.

Oh, das überrascht mich jetzt. Da habe ich Ihnen ja etwas voraus. Ganz zuletzt gibt es noch eine Szene, in der Franz wieder nach Hause kommt und dort bestimmte Schriftstücke seines Vaters findet. Wurden die von Ihnen verfasst?

Nein, und ich bin auch froh darüber, denn diese altertümliche, krakelige, unbeholfene Schrift eines Menschen, der erst im Erwachsenenalter Schreiben gelernt hat, damit er etwas hinterlassen oder Briefe verfassen kann, hinzubekommen, wäre wirklich harte Arbeit gewesen.

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Diese Szene bei der Heimkunft ist aber wohl eigens für den Film erfunden?

Ja, aber es gab auch verschiedene Drehbuchfassungen und diese letzte ist auf jeden Fall die kargste geworden, die der Realität sehr nahe kommt. Adrians Urgroßvater hat wirklich radikal mit seiner Herkunft gebrochen, und selbst wenn sein Vater noch gelebt hätte, wäre ein persönlicher Kontakt mit ihm gar nicht mehr denkbar gewesen. Ich finde es ja etwas Schönes, was Kino hier fertigbringt: Generationen miteinander sprechen zu lassen, die einander gar nicht mehr begegnet sind. "Der Fuchs" ist ein Versuch, über die Zeit hinaus noch eine Art von Gespräch zu führen, ohne dabei etwas zu beschönigen.

Das Interview führte Franco Schedl.

"Der Fuchs" ist ab 13. Jänner in unseren Kinos zu sehen. Hier geht's zu den Spielzeiten.