Augustin Groz: "Es geht um die Schönheit in der Vielfalt!"
Von Maike Karr
Wir haben Augustin Groz zum sympathischen und lockeren Plausch getroffen. Der Österreicher spielte in dem Spielfilm von Regisseur Özgür Anil "Wer wir einmal sein wollten" mit und erhielt für seine tolle Darbietung den Preis als besten Nachwuchsschauspieler vom Max-Ophüls-Festival.
Wir sind überzeugt: Die Auszeichnung ist der Startschuss einer langen und erfolgreichen Karriere – denn Groz überzeugt mit Leinwandpräsenz und der Kunst zur Unerschrockenheit, tief in die Psyche seiner Rollen einzutauchen.
film.at: Herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung! Wie fühlt es sich an, mit dem Max-Ophüls-Preis als bester Nachwuchsschauspieler ausgezeichnet zu werden?
Augustin Groz: Ich habe damit nicht gerechnet und auch gar nicht genau gewusst, was dieser Preis eigentlich mit sich bringt. Ich bin sehr glücklich darüber, ihn wider aller Erwartungen gewonnen zu haben. Es ist echt lustig, jetzt wieder in Amerika zu sein, wo niemand diesen Preis kennt. Meine KommilitonInnen haben es vielleicht auf Instagram ein bisschen mitbekommen und sich gedacht, dass da irgendwas passiert ist. Sie wissen nicht genau was, deswegen sagen sie "Gratuliere!" und das war's dann auch schon.
Aber es war schon sehr sehr spannend, in Saarbrücken zu sein und das mit den Leuten von "Wer wir einmal sein wollten" zu feiern. Es war eine aufregende Woche, weil wir dort auch gleichzeitig unsere Weltpremiere gefeiert haben.
Das kann ich mir gut vorstellen. Es ist sicherlich aufregend, bei einer Weltpremiere dabei zu sein und obendrein mit solch einem wichtigen Preis ausgezeichnet zu werden.
Das ist schon ziemlich viel, was da zusammen kommt. Es war sehr schön, die Leute vom Film nach zwei Jahren wiederzusehen. Das war sehr intensiv und wirklich wahnsinnig – immerhin bin ich damals zwei Wochen nach Drehschluss nach New York gezogen und habe erst jetzt alle aus dem Team wiedergesehen.
Wie bist du denn zu der Rolle in "Wer wir einmal sein wollten" gekommen?
Ich bin in meiner Jugend viel ausgegangen und einmal habe ich im Volksgarten in Wien getanzt. Özgür Anil, der Regisseur des Films, hat mir dabei zugesehen. Ich habe ihm daraufhin meinen Spritzer gegeben. Darauf haben wir kurz miteinander geredet und er hat sich gedacht: "Mit dem würde ich gerne mal einen Film drehen". Das war, bevor ich Schauspiel studiert habe und er sein Studium an der Filmakademie in Wien angefangen hat.
Sechs, sieben Jahre später dreht er seinen Diplom-Film und denkt an diesen Typen, der im Volksgarten getanzt hat, und fragt, ob ich zum Casting für die Rolle kommen kann. Das Casting hat sehr gut funktioniert und so bin ich zu der Rolle gekommen. Am Anfang hieß es, dass es ein Kurzfilm werden soll. Dann haben sie gesagt, dass es doch ein Spielfilm wird. Das war natürlich eine sehr schöne Überraschung, unbewusst meine erste Spielfilm-Rolle gelandet zu haben.
Wie hast du dich auf die Rolle vorbereitet?
Meine größte Vorbereitung war, die Beziehung zu Anna Suk glaubwürdig darzustellen. Sie ist einfach so wahnsinnig grandios, sodass ich gar nicht so viel machen musste als sich mit ihr gut zu verstehen, viele Witze zu machen und sich einfach zu konzentrieren! (lacht) Aber ernsthaft: Ich habe natürlich überlegt, wer dieser Bruder sein könnte, inwiefern wir ein gemeinsames Leid, eine gemeinsame Vorgeschichte, ein gemeinsames Trauma haben. Vom Vater weiß man nicht wirklich etwas, die Mutter hat ihre eigenen Probleme und ist selbst nicht die verantwortlichste Person. Patrick ist sehr traurig: Sein Leben gelingt einfach nicht. Ich habe versucht, dafür eine Übersetzung zu finden.
Wie war es, in die Rolle von Patrick zu schlüpfen?
Mir hat sein Kostüm sehr geholfen. Mir war es ganz wichtig, dass er geeignete Schuhe bekommt, damit er ganz schnell rennen kann, aber die Schuhe waren ein bisschen zu klein. Ich habe aber nichts gesagt, weil ich irgendwie keine Umstände machen wollte. Für mich hat das aber auch zur Rolle gepasst, weil es so immer ein bisschen unbequem war. Das passte zu ihm und seinem Leben: Irgendetwas ist immer zu groß oder zu klein.
Ich habe auch versucht, eine gute Balance zwischen Hochdeutsch und Wienerisch zu finden, ohne in ein Klischee zu verfallen. Ich habe das Gefühl, Patrick ist jemand, der manchmal ein bisschen mehr Hochdeutsch als Wienerisch spricht, wenn er sich ein bisschen bemühen muss, aber das ist mir trotzdem teilweise abhanden gekommen. Wenn man den Film schaut, merkt man das auch. Manchmal spreche ich ein Wort plötzlich ganz präzise aus.
Würdest du das Schauspielen mit solch einem Dialekt als eine der größten Herausforderungen nennen?
Nein, ich glaube, das hat mich eher in der Zeit vor dem Dreh beschäftigt. Mir sind eine Million Gedanken durch den Kopf gegangen. Jedes Mal, wenn ich die schlabbrige Jacke und die Schuhe angezogen habe, war ich eh in der Rolle. Für mich ist es sehr natürlich gekommen, weil der Patrick immer in der Relation zur Anna stattfindet – viel mehr, als er das gerne hätte – und Anna so gut gecastet wurde.
Wie bist du überhaupt zum Schauspielern gekommen?
Mit fünf Jahren habe ich mal auf der Bühne gestanden. Da nimmt man das alles noch nicht so bewusst war, vor allem, wenn zwischen dir und dem Publikum ganz viel Licht ist und der Zuschauerraum ganz dunkel ist. Deswegen war mir das gar nicht so bewusst, dass mir da jetzt Leute zuschauen, wenn ich den Kellner spiele. Auf meinem Tablett waren Süßigkeiten und als Kind haben wir die nicht oft bekommen. Ich fand es voll blöd, diese Süßigkeiten anderen zu servieren und nicht selbst essen zu dürfen.
Deswegen habe ich sie mir einfach geschnappt! (lacht) Ich musste mir dann auch alle auf einmal nehmen, damit man nicht sieht, dass ich sie esse. Das heißt, ich hatte alle auf einmal in meinem kleinen fünfjährigen Mund und auf einmal hat das ganze Publikum angefangen zu lachen. Ich habe das gar nicht auf mich bezogen und hab halt vor mich hin gekaut – mit meinem Mund voller Süßigkeiten ... (lacht)
Das klingt tatsächlich sowohl lustig als auch süß – und nach einem kleinen Impro-Talent ...
Für mich geht es beim Schauspiel auch sehr darum, die eigenen, instinktiven Entscheidungen zu treffen. Für mich war diesbezüglich eine 500-Stunden-Theater-Installation von Thomas Bo Nilsson im Schauspielhaus Wien ein sehr wichtiges Projekt, bei dem wir jeden Tag acht Stunden in dieser Installation gelebt haben. Da haben wir in den Proben eigentlich nur die Beziehungen zwischen den verschiedenen Charakteren geprobt und dann während der Spielzeit aus diesen Charakteren und aus diesen Beziehungen heraus improvisiert. Das fand ich sehr spannend, so lange in einem Charakter zu bleiben.
Das war das erste Mal, dass ich gemerkt habe, wie toll es ist, eine andere Person zu sein, sie zu bauen. Die hat total viel mit einem selbst zu tun, aber sie steht trotzdem irgendwie außen vor und man redet und denkt plötzlich anders. Das ist eine der schönsten Dinge, ganz plötzlich eine ganz andere Person zu sein.
Ich glaube, beim Schauspielen geht es um die Schönheit in der Vielfalt.
Dein Auftritt im Schauspielhaus Wien waren deine ersten Schritte im Schauspiel?
Das war auf jeden Fall das erste Mal, dass ich fürs Schauspielen bezahlt wurde.
Du hast in deiner Karriere mehr Zeit im Theater als vor der Kamera verbracht. Wie unterscheidet sich die Schauspielarbeit in diesen Bereichen, sowohl in der Vorbereitung als auch in der Darbietung?
Ich glaube, ich kann im Theater ein bisschen mehr machen, was ich will. Bin freier in meinem Spiel, meiner Darbietung. Ich spiele im Theater viel fantasievoller und größer und ich darf Witze machen. Es ist viel mehr der ganze Körper inkludiert, was ich sehr gerne habe, weil ich gerne tanze.
Mein Spiel beim Film ist viel kleiner. Ich finde es schön herauszufinden, wie klein man spielen kann, damit aber trotzdem etwas auszusagen. Oder wie man im Kleinen spontan sein kann.
Ein weiterer Unterschied ist, dass im Theater die Probenzeit enorm wichtig ist. Man probt einfach sehr lange. Für mich ist das Schönste am Theater sowieso nicht die Aufführung, sondern die Proben. Das ist für mich wie ein Spielplatz für Erwachsene. Auf eine spielerische Art und Weise denken wir Gesellschaft neu. Wir interpretieren sie neu. Wir schreiben das Gesetzbuch für die Gesellschaft, die in diesem Raum stattfinden kann. Und das kann dann manchmal sowohl erhellend oder inspirierend sein, aber oft auch deprimierend und ziellos.
Das macht für mich Theaterarbeit aus. Schöne Theaterprozesse sind vergleichbar mit der Geburt einer kleinen Gesellschaft mit ihren eigenen Regeln und Gesetzen. Es gibt nichts Schöneres als das. Im Film gibt es das nicht. Da geht es darum, wie man eine reiche Geschichte mit ganz kleinen Mitteln erzählen kann.
Egal ob im Theater oder im Film: Gibt es zukünftige Projekte, auf die du dich freust?
Es gibt welche, aber ich kann da leider noch nicht wirklich drüber sprechen. Was ich aber verraten kann: Ich möchte dieses Jahr meinen eigenen Kurzfilm drehen.
Würdest du in diesem Film auch die Hauptrolle spielen?
Das hängt ein bisschen von dem Skript ab, an dem ich schreibe. Eigentlich würde ich nicht so gerne die Hauptrolle spielen. Ich würde lieber mal schauen, wie sich das entwickelt.
Das wäre dann das erste Mal, dass du als Drehbuchautor und Regisseur aktiv bist?
Ja, genau. Das wird spannend!
Hast du eine Traumrolle? Oder ein Traum-Projekt?
Mir schwebt da etwas im Kopf herum. Ich traue mich fast gar nicht, das zu sagen, weil man ja gar nicht so groß träumen darf. Ich würde mich richtig freuen, wenn ich mal in einem Film von Paul Thomas Anderson mitwirken dürfte. Es gibt sehr viele verschiedene Faktoren an seiner Arbeit, die mich sehr interessieren.
Welche zum Beispiel?
Beispielsweise das Tempo, in dem er arbeitet. Wenn er dreht, dann nutzt er einen Drehort voll und ganz aus. Er seziert ihn regelrecht. Außerdem liest er sich als Vorbereitung in ein Thema voll und ganz rein. Er recherchiert alles dazu und daraus schreibt er das Drehbuch. Ich finde es voll schön, dass seine Filme in der Realität so fest verankert sind.
Abgesehen davon scheut er sich nicht vor Nach-Dreharbeiten. Das alles ist natürlich an ein großes Budget gekoppelt. Ich glaube aber, manches davon kann man auch mit wenig Budget realisieren. Zum Beispiel, was die Architektur der Location betrifft. Das hilft mir als Schauspieler auch total viel, macht richtig Spaß. Der Fokus liegt dann nicht hundert prozentig auf mir, sondern die Location und ich sind gleich wichtig.
Das ist ein sehr schöner Gedanke: dass du genauso Teil des Films bist wie das Setting drumherum.
Ja, das finde ich auch.
Vielen Dank für das Gespräch!