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Ruzowitzky-Interview zu "Die Hölle"

„Das eigentlich Empörende ist höchstens die selbstbewusste muslimische Frau“

film.at: Die weibliche Hauptfigur trägt eine gelbe Jacke. Dürfen wir das als Referenz an Dario Argento und das Giallo-Genre verstehen oder sollte man dabei eher an „Kill Bill“ denken?

Stefan Ruzowitzky: Wenn man sich zu sehr an Vorbildern orientiert, ist die Gefahr groß, dass der eigene Film dann zu einer reinen Kopie wird. In meinem Kopf gibt es ohnehin schon ein irres Bildarchiv und ich komme oft erst nachträglich darauf, was ich daraus unwillkürlich abgerufen habe. Wenn ich sowas auch noch willentlich machen würde, wäre das entschieden zu viel. Man sollte beim Filmen versuchen, aus der Geschichte selbst eine eigene Tonalität und einen unverkennbaren Stil zu entwickeln. Es hat ja übrigens bereits in meinem Film „Tempo“ einen gelben Rucksack gegeben. Das ist einfach eine Signalfarbe, die in der Stadt gut funktioniert.

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„Die Hölle“ hat mich jedenfalls auch an einen französischen Krimi mit Belmondo erinnert: „Angst über der Stadt“ von 1975. Dort spielt dank ausgedehnten Verfolgungsjagden Paris eine Hauptrolle. Sie haben jetzt auf ähnlich spektakuläre Weise Wien ins Bild gerückt.

Das freut mich. Der Anspruch war ja, dass man weder das touristische Ringstraßen-Wien-Cliché bedient, noch ein schmuddeliges Bassena-Wien zeigt, sondern ganz unaufgeregt eine moderne Großstadt abbildet. Beziehungsweise Lichter der Großstadt, denn es gab viele Drehs in der Dämmerung oder Nacht.

Dreh im öffentlichen Raum

Bleiben wir gleich beim Drehen im öffentlichen Raum. Gerade die Verfolgungsjagd und Kampfszene in der fahrenden U-Bahn stelle ich mir extrem schwierig vor. War der vollbesetzte Wagen nur mit Statisten bevölkert?

Es gab eine Mischung, wie ich sie liebe. Wenn Özge [die von Violetta Schurawlow gespielte Hauptfigur] durch die U-Bahn-Station rennt und in den Waggon einsteigt, waren die Menschen um sie herum sozusagen Statisten, ohne dass sie es wussten. Beim Kampf in der U-Bahn wurden dann echte Statisten eingesetzt; da war alles genau choreografiert und geplant. Wir haben in der Remise im 3. Bezirk mit Leinwänden vor den Fenstern gedreht, auf denen die Hintergründe vorbeirasen, damit es aussieht, als würde der Zug wirklich fahren; und Spiegel verwendet, um es so wirken zu lassen, als wäre der Wagen auch im Hintergrund noch vollbesetzt.

Die Explosion vor der Mölkerbastei war echt oder digital nachgebessert?

Die war sehr echt und sogar größer als bestellt. Daher haben wir sie in der endgültigen Schnittfassung fast ein bisschen weggespielt und in den Hintergrund gedrängt, damit es nicht zu hollywoodmäßig aussieht. Ein internationales handwerkliches Niveau ist ok, aber die Geschichte soll nicht ins Überdramatische zugespitzt werden.

Stunts und eine starke Hauptdarstellerin

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Die wilde Autofahrt quer durch die Innenstadt ist ja auch nicht gerade leicht hinzukriegen. Wieviel Vorbereitungszeit war dafür nötig?

Sehr viel. Bei Actionsequenzen ist außerdem immer eine Frage der Sicherheit zu berücksichtigen; und sogar nach einer super Vorbereitung kann noch immer etwas Unvorhergesehenes passieren. Einer der Zusammenstöße, als der Wagen von der Ringstraße abbiegt und in ein anderes Auto hineinknallt, war gar nicht eingeplant. Ein Stuntfahrer ist auf den nassen Schienen ausgerutscht, aber es ist zum Glück nichts passiert. Bei einer Stunt-Sequenz sind Fehler sehr gefährlich. Ich als Regisseur kann nicht so genau beurteilen, ob wirklich alles absolut sicher ist bei den Stunts und hoffe immer, dass die Leute wirklich genau wissen, was sie da tun.

Haben die Darsteller viele Stunts selber ausgeführt?

Teils, teils. Wenn die Hauptfigur von einer Brücke hechtet, wurde der Sprung ins Wasser vom Weltmeister in Splash-Diving ausgeführt. Aber Violetta ist zunächst selber über das Geländer gesprungen und nach ca. 5 Metern in die Sicherungsseile gefallen. Sie hat also schon einiges durchgemacht. Immerhin steht sie auch einmal in Flammen oder kämpft in einem Boxclub – dort hatten wir den Vize-Weltmeister in Thai-Boxen vor Ort.

Hat Violetta schon Kampfsporterfahrung mitgebracht oder musste sie sich alle Kenntnisse neu antrainieren?

Sie hat irgendetwas in der Richtung schon vorher gemacht, musste aber dann ein Intensiv-Training in Thai-Boxen absolvieren. Es war auch nötig, dass sie sich eine ganz typische Gangart aneignet, damit ihre Figur glaubhaft wirkt.

Wie sind Sie eigentlich auf Violetta Schurawlow aufmerksam geworden?

Uns war gleich klar, dass von den bekannten österreichischen und deutschen Schauspielerinnen niemand für diese Rolle in Frage kam. Wir mussten jemand Neuen finden. Beim Casting hat sich dann aber schnell Violetta als die Richtige herausgestellt. Sie hat die Präsenz, einen Film zu tragen und gerade weil sie so hübsch ist, kann man sie rollenbedingt auch ein bisschen hässlich machen und ihr Blut und Dreck zumuten.

Ein Kommssar und ein Killer

Tobias Moretti durfte seiner Figur vor Drehbeginn noch einen letzten Feinschliff verpassen, habe ich gelesen. Konnte auch Violetta Änderungswünsche oder Verbesserungsvorschläge einbringen?

Beim Tobias war das ein Sonderfall. Wir haben ihm die Rolle angeboten und er hat gesagt, er finde zwar das Projekt und das Buch super, aber mit der Figur des Polizisten könne er sich nicht identifizieren. Darum haben wir die Figur dann noch stark bearbeitet, damit sie für ihn Sinn ergab. Er ist zu Beginn jetzt viel unsympathischer und widersprüchlicher, als das zunächst vorgesehen war.

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Wie war Sammy Sheik [der Darsteller des Serienkillers] privat denn so? Ich nehme an, man musste sich nicht vor ihm fürchten.

Überhaupt nicht. Er ist unwahrscheinlich nett und professionell – immer gut gelaunt und freundlich. In Amerika war er schon in größeren Rollen zu sehen. Bei „American Sniper“ war er z.B. der Gegenspieler des amerikanischen Scharfschützen.

Das Böse und ein Erfolgsgeheimnis

Hatte er Bedenken, diesen doch sehr dämonischen und ins absolut Böse überspitzten Charakter zu spielen?

Nein, hatte er nicht. Ich glaube auch, wenn sich jemand empört, dann eher über Özge. Dass es da eine junge muslimische Frau gibt, die so selbstbewusst auftritt, die sich nichts scheißt und ohne männliche Unterstützung für etwas kämpft, das ihr wichtig ist - das ist die viel subversivere Rolle, als die eines Psychopathen, der seinen Irrsinn halt religiös verbrämt.

War es schwierig, jemanden für die Rolle von Özges Filmvater zu finden? Es scheint ja tatsächlich ein türkischstämmiger älterer Mann zu sein und er spielt eine Figur, die sehr unschöne Dinge getan hat.

Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Es war ja, wenn man so will, auch eines der Erfolgsgeheimnisse von „Die Fälscher“, dass man die Juden als Opfer in gewisser Weise noch ernster nimmt, wenn du klar sagst: auch in der jüdischen Community gibt es Gute und Böse, Ganoven und Ehrliche, Intellektuelle und Volltrottel – und es sind nicht automatisch alles Märtyrer. Genauso ist es hier im migrantischen Milieu: da gibt es einige, die super assimiliert sind, wie Özges Bruder oder die von Robert Palfrader gespielte Figur – und dann wiederum welche, die mental noch in Anatolien stecken geblieben sind. Du nimmst so eine Gruppe viel ernster, wenn du akzeptierst, dass nicht alle reine Lichtgestalten sind. Özge ist ja auch keine typische Heldin, die auf Anhieb mit der Sympathie der Zuschauer rechnen kann, sondern gibt sich sehr sperrig. Man muss sie aber schließlich liebgewinnen und versteht auch, warum sie so wortkarg ist. Außerdem liebt das Kinopublikum Kämpfernaturen – das ist etwas essentiell Filmisches.

Welche Tipps würden Sie Zuschauern geben, falls sie selber einmal in Kontakt mit einem Serienkiller geraten?

Eine intensive Martial Arts-Ausbildung ist auf jeden Fall hilfreich. (lacht) In meinem Film gibt es natürlich ein paar ziemlich gewalttätige Szenen und es ist mir wichtig, zu zeigen, wie sehr sich Gewaltbereitschaft eigentlich nachteilig auswirkt und dass Gewalt nicht als Lösung, sondern eher als Problem erscheint.

Das Interview führte Franco Schedl

FOTOCREDITS: Petro Domenigg FILMSTILLS.AT

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