Filmkritiken

"Red Sparrow" bei Disney+: Lockvögelchen mit Raubtierkrallen

Nachdem sie in „Die Tribute von Panem“ als Spottdrossel Hoffnung verbreitet hat, wechselt Jennifer Lawrence nun – abgesehen vom Akzent – auch die Vogelart und wird zum Spatz. Der ist hier aber kein harmloser Singvogel, sondern zeigt im Bedarfsfall schon mal Raubtierkrallen.

 

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Ein skupelloser Onkel

Im Moskau der Gegenwart wird die Ballett-Karriere der jungen Dominika, einer Angehörigen des berühmten Bolshoi-Ensembles, durch einen Unfall beendet. Ihre Zukunft ist somit ungewiss, und da außerdem auch ihre schwerkranke Mutter intensive Betreuung benötigt, wendet sie sich an ihren Onkel um Hilfe, der beim russischen Geheimdienst eine hohe Position einnimmt. (Matthias Schoenaerts könnte in dieser Rolle glatt als Putin-Double durchgehen.)

Der skrupellose Mann zeigt sich durchaus kooperativ, vorausgesetzt seine Nichte erledigt eine Gefälligkeit für ihn. Sie stimmt zu und ahnt nichts von den Konsequenzen, denn fortan wird ihr Leben eine dramatische Wendung nehmen.

 

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Training zur Verführung

Gemeinsam mit einer Gruppe junger Leute muss Dominika eine rücksichtslos brutale Umerziehung in ein rotes Lockvögelchen über sich ergehen lassen. Im Dienst für die russische Heimat wird voller Körpereinsatz verlangt, der oft bis zur Grenze des Erträglichen (und darüber hinaus) geht. Charlotte Rampling erteilt als unerbittliche Lehrmeisterin Unterricht in psychologischer Manipulation: sie zeigt, wie man Schwachstellen der potentiellen Opfer ausnutzt und schreckt dabei auch nicht vor erniedrigenden Demonstrationen zurück.

Nach Abschluss des Trainings besteht dann die erst Aufgabe des neue Sparrows darin, einen CIA-Mann (Joel Edgerton) zu becircen, um herauszufinden, welcher Russe als Maulwurf Material an die Amerikaner liefert - und so nimmt ein fintenreiches Agenten-Spiel seinen Lauf. Natürlich wird die Identität des gesuchten Verräters fast bis ganz zuletzt geheim gehalten, und der Lockvogel überrascht uns dann noch mit einem geschickten Schachzug.

 

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Sex & Gewalt

Unter Francis Lawrence Regie, der bereits die drei letzten Teile von "The Hunger Games" inszeniert hat, zeigt sich die Hauptdarstellerin gleichermaßen verführerisch, aggressiv und verwundbar. Sie verfügt zwar nicht über die Schlagkraft ihrer Vorgängerin Charlize Theron aus "Atomic Blonde", muss dafür aber ebenfalls starke körperliche Misshandlungen über sich ergehen lassen und verbringt viel Zeit damit, ihre Wunden zu überschminken. Im Gegensatz zum soeben genannten Agententhriller aus dem Vorjahr, setzt „Red Sparrow“ statt Action meist eher auf erotische Kriegsführung (was für amerikanische Begriffe zu ein paar erstaunlich freizügigen Szenen führt), verzichtet jedoch in einigen kürzeren Sequenzen auch nicht auf Nahkampf oder rohe Gewalt, die ziemlich heftig ausfallen kann.

 

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Rückkehr in den Kalten Krieg

Die Handlung ist zwar in der aktuellen Putin-Ära angesiedelt, aber man glaubt sich in die Zeit des Kalten Kriegs zurückversetzt. Der Film, zu dessen Schauplätzen Moskau, Budapest und für ein paar Sekunden sogar Wien zählen, bietet alle Elemente eines klassischen Spionagethrillers: Geheimdienste, Infiltration, Beschattung, konspirative Treffen, Gegenspionage, Verfolgung, Austausch von Geheimdokumenten, Folter, Auftragsmorde und Täuschung. Diese Zutaten sollen durch den Sex-Appeal von Lawrence aufgewertet werden, ergeben aber dennoch eine über weite Strecken viel zu langatmige Erzählung der schon allzu oft gesehenen Sorte, in der gängige Vorurteile über Ost + West einzementiert werden.

Immerhin geht Jennifer Lawrence stimmlich sehr dezent vor und macht in ihrem Englisch nur ein paar leichte Zugeständnisse an die russische Herkunft der Figur, während zum Beispiel Jeremy Irons seinen Akzent übermäßig dick aufträgt.

3 von 5 Hautabschürfungen nach russischer Methode.

"Red Sparrow" ist derzeit auf Disney+ Star verfügbar.