Filmkritiken

RAUE PFERDEGESCHICHTEN MIT SELTSAMEN MENSCHEN

Übervölkerung ist auf Island garantiert kein Thema: in einem abgelegenen Tal sind die wenigen Häuser spärlich in der kargen Landschaft verstreut, aber zumindest in Sichtweite voneinander errichtet. Darum hat auch jeder Bewohner stets ein Fernglas griffbereit, um sich über Leben und Treiben der Nachbarn genauestens zu informieren. Das klingt jetzt womöglich nach einem bekannten Monty-Pythons-Sketch und grotesk genug sind tatsächlich auch manche Ereignisse in Benedikt Erlingssons schrägem Episodenfilm. Im Grunde geht es aber hier auch sehr menschlich zu: da wird geliebt, gestritten, gesoffen und vor allem geritten, denn Pferde sind allem Anschein nach die Lieblingstiere und Hauptfortbewegungsmittel der Isländer. Jede der mal locker mal stärker miteinander verzahnten Episoden wird durch die Großaufnahme eines Pferdeauges eröffnet, in dem sich Menschen oder Weidezäune spiegeln, denn der Film ist so angelegt, als ob es die Pferde wären, die das seltsame Verhalten der Menschen auf sich wirken lassen.

Dabei kommen die Tiere aber leider auch manchmal zu Schaden. Obwohl die Leute angeblich solche Pferdenarren sind, könnte gleich in der ersten Episode der Eindruck entstehen, dass die edlen Vierbeiner auf Island kein gutes Leben führen. Der Ausritt eines Bauern zu einer Witwe, in die er verliebt ist, wird nämlich durch das Aufeinandertreffen seiner preisgekrönten Lieblingsstute mit dem Hengst der Hausfrau zu einem erniedrigenden Erlebnis für den Mann (wie gesagt, alles geschieht unter den neugierigen Fernglas-Augen der Anwohner, wovon verräterische Lichtblitze in der Sonne zeugen) – was ihn zu einer extremen Kurzschlussreaktion veranlasst.

Ein anderes Mal muss sich ein Pferd in einem Schneesturm aufopfern, damit sein Reiter dank einer fast mythologisch anmutenden Symbiose überleben kann. Doch auch die Menschen leben gefährlich und mit unschöner Regelmäßigkeit segnet einer von ihnen vorzeitig das Zeitliche oder trägt zumindest schwere Verletzungen davon: Ein Mann schwimmt auf dem Pferderücken ins offene Meer bis zu einem russischen Kutter hinaus, weil er dort Wodka kaufen will, aber 96%igen Fusel erhält, der ihm nicht gut bekommt; ein anderer schneidet einen straff gespannten Stacheldrahtzaun durch, was ziemlich ins Auge gehen kann. Im Gegensatz zu den selbstzerstörerischen Männern treten gerade die Frauen hier erstaunlich resolut und voll durchsetzungsfreudiger Stärke auf.

Der ausgebildete Schauspieler Erlingsson gibt mit „Von Pferden und Menschen“ sein Spielfilmdebüt; dabei sieht er sich jedoch in erster Linie als Geschichtenerzähler und gar nicht so sehr als Akteur oder Regisseur. Auch dadurch steht er in einer langen Tradition: Sein Heimatland beherbergt einen eigentümlichen Menschenschlag, für den die Uhren anders gehen und tausend Jahre wie ein Tag sein können. Ganz explizit wird das im Film z.B. von einem Bauern ausgesprochen, der von einer alten Sitte meint: „Das wurde schon seit einem Jahrtausend so gemacht, warum sollte sich also jetzt daran etwas ändern?“ Auch die Menschen könnten in ihrem rauen aber zugleich direkten und letztlich herzlichen Verhalten einer der alten Island-Sagas entsprungen sein.

Und der Nachspann weist dann sowieso extra darauf hin, dass bei den Dreharbeiten kein Tier zu Schaden gekommen ist. Um das wirklich zu beweisen wollte der Regisseur sogar eine Stute, die den Filmtod sterben musste, zur Premiere mitbringen. 8 von 10 Filmglück verheißenden Hufeisen von echten Isländer-Ponys.

( franco schedl)
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