Vor der Linse: Was machen Regisseur:innen eigentlich?
Von Oezguer Anil
In unserer Rubrik "Vor der Linse" werfen wir einen Blick auf die brennenden Fragen der Filmwelt – verständlich erklärt! "Vor der Linse" erscheint an jedem Mittwoch zur Monatsmitte.
Bei jedem Film hört man von ihnen. Auch wenn nicht alle so bekannt sind wie Steven Spielberg oder Greta Gerwig, spielen sie doch eine zentrale Rolle bei der Entstehung eines Films: Die Regisseur:innen. Ohne sie erblickt kein Film das Licht der Leinwand.
Wenn man von ihnen hört, denkt man jedoch schnell nur an Megaphone, Strohhüte und große Egos, doch was machen Regisseur:innen eigentlich wirklich?
An der Entstehung eines Films sind hunderte Personen beteiligt. Der künstlerische Prozess einer Filmproduktion kann jedoch in vier Bereiche eingeteilt werden:
- Stoffentwicklung
- Vorproduktion
- Dreh
- Postproduktion
Die einzigen Personen, die in all diesen Phasen involviert sind, sind der/die Regisseur:in und der/die Produzent:in. Während der/die Produzent:in die kaufmännische Verantwortung über das Projekt trägt, ist der/die Regisseur:in das künstlerische Oberhaupt.
Stoffentwicklung
In dieser Phase wird das Drehbuch entwickelt. Hierbei können dem/der Regisseur:in drei unterschiedliche Rollen zufallen:
- Er/Sie schreibt das Drehbuch selbst und kann schon während des Schreibprozesses Ideen und Konzepte für die Inszenierung am Set berücksichtigen.
- Ein:e Drehbuchautor:in wiederum schreibt das Drehbuch und ist währenddessen im Kontakt mit der Regie, um dramaturgische Ideen zu besprechen.
- Oder: Ein:e Drehbuchautor:in schreibt das Drehbuch alleine und der/die Regisseur:in ist nicht in den Stoffentwicklungsprozess eingebunden. Im weiteren Verlauf nimmt die Regie möglicherweise Überarbeitungen vor. Die daraus folgende sogenannte "Drehfassung" ist Grundlage für die Dreharbeiten am Set. Das Ausmaß der Überarbeitungen vom Drehbuch zur Drehfassung kann stark variieren.
Vorproduktion
Bevor es zu den Dreharbeiten kommt, müssen etliche Entscheidungen getroffen werden: Wo wird gedreht? Wie sollen die Drehorte eingerichtet sein? Welche Schauspieler:innen spielen mit?
Um diese Fragen zu beantworten, stehen der Regie zahlreiche Personen zur Seite. Alle Bereiche haben sogenannte "Heads of Department", die die Verantwortung für den jeweiligen Arbeitsbereich haben. Location-Scouts halten nach Drehorten Ausschau, Szenenbildner:innen bereiten Farbpaletten und Ausstattungsgegenstände vor, Caster:innen laden Schauspieler:innen zum Vorsprechen ein und geben Vorschläge für Besetzungen.
Aus all den Vorschlägen muss der/die Regisseur:in die für den Film am richtigsten erscheinenden Optionen auswählen, da er/sie die endgültige künstlerische Verantwortung über das Projekt trägt. Die Regie ist das Bindeglied zwischen den einzelnen Bereichen und muss eine Harmonie zwischen den unterschiedlichen künstlerischen Ansprüchen herstellen.
Vor dem Dreh ist vor allem die Zusammenarbeit zwischen Kamerapersonen und Regisseur:innen wichtig. Die von ihnen getroffenen Entscheidungen haben große Auswirkungen auf die Arbeit restlicher Teammitglieder, da ein geplanter Schwenk in die eine oder andere Richtung bedeuten kann, dass mehr Statist:innen notwendig sind oder ein zusätzlicher Raum eingerichtet werden muss.
Die Beziehung zwischen dem/der Regisseur:in und dem/der Produzent:in bildet das Herzstück eines Filmprojektes. Die Zusammenstellung des Teams oder auch Fragen zur Besetzung werden gemeinsam besprochen. Da zwischen Stoffentwicklung und Fertigstellung des Films oft Jahre vergehen können, ist auf beiden Seiten ein langer Atem nötig.
Dreh
Filmdrehs können sehr unterschiedlich ablaufen. Während einige Regisseur:innen Wert auf eine genau Vorbereitung in der Vorproduktion legen und beim Dreh versuchen, ihren vorher zurechtgelegten Plan umzusetzen, versuchen sich andere auf die Unmittelbarkeit eines Drehorts einzulassen und die Szenen mithilfe von Improvisation zu gestalten.
Ein:e Regisseur:in beginnt einen Drehtag meist mit einem Gespräch mit der Regieassistenz, die ihn/sie auf den neusten Stand der Dinge bringt: Wann welche Schauspieler:innen am Set sind, welche Einstellungen gedreht werden und ob es unerwartete Ereignisse gibt. Neben Gesprächen mit den Heads of Department wird die Szene nochmals mit den Schauspieler:innen besprochen, bis dann schließlich die erste Klappe fällt und die ersten Aufnahmen gemacht werden.
Einer der wichtigsten Aufgaben eines/einer Regisseur:in ist die Kommunikation mit den Schauspieler:innen. Das können Gespräche zur Innenwelt der Figuren aber auch Anmerkungen zu Bewegungsabläufen, Pausen und Blicken sein. Da niemand anderer am Set einen derartigen Überblick zur emotionalen Entwicklung der Geschichte hat, muss die Regie hier besonders auf den Kontext der Szene achten.
Da Dreharbeiten oft unter großem Zeitdruck stattfinden, ist es für die Regie, neben dem Fokus auf die künstlerische Arbeit, wichtig, auch auf etwaige Konflikte unter den Mitarbeiter:innen achtzugeben. Da sie an der Spitze der Set-Hierarchie steht, haben ihre Handlungen und Worte großen Einfluss auf die Team-Dynamik, die entscheidend für das Wohlbefinden der Kolleg:innen ist und über den Erfolg oder Misserfolg eines Films bestimmen kann.
Postproduktion
Nach den Dreharbeiten wird das Filmteam deutlich kleiner. Ein/eine Schnittmeister:in schneidet den Film, wobei jeder/jede Regisseur:in individuell entscheidet, wie sehr er/sie am Schnittprozess beteiligt ist. Während einige jeden Tag im Schnittraum sitzen, schauen andere alle paar Wochen vorbei. In Zusammenarbeit mit dem/der Schnittmeister:in wird ein "Picture Lock" erstellt, der das Ende des Bildschnitts markiert. Danach werden Ton und Farbbearbeitungen durchgeführt, bei denen etwaige Expert:innen dem Film den Feinschliff verleihen. Wie sehr sich der/ Regisseur:in an diesen Prozessen beteiligt, kann auch hier stark variieren.
Am Ende der Postproduktion ist der Film fertiggestellt und es geht an die Vermarktung und Veröffentlichung. Hier tritt die Regie eher in den Hintergrund. Bei Premieren und Festivalaufführungen gibt es Interviews mit dem Filmteam, wo die Regie etwaige Fragen zum Film beantworten kann.
Regielegende Stanley Kubrick fasste seine Arbeit so zusammen: "Jeder, der das Privileg hatte, bei einem Film Regie zu führen, weiß, dass, auch wenn es sich so anfühlt, als würde man versuchen 'Krieg und Frieden' in einem Autodrom zu schreiben, es kein schöneres Gefühl gibt, als wenn man es dann hinbekommt."
Der Meister hat gesprochen!