Vienna Shorts: "Man spürt neue Erzählhaltungen!"
Von Oezguer Anil
Von 1.-6. Juni findet die 20. Ausgabe des Vienna Shorts in Wien statt. Das internationale Kurzfilmfestival holt die Crème de la Crème der diesjährigen Kurzfilme in die Bundeshauptstadt und bietet dem Publikum auch einen Online-Zugang zum Programm an. Seit 2019 leiten Doris Bauer und Daniel Hadenius-Ebner gemeinsam das Festival.
Wir haben uns mit Daniel Hadenius-Ebner getroffen, um über die diesjährige Ausgabe, die Entwicklung des Festivals in den letzten 20 Jahren und die Herausforderungen der Zukunft zu sprechen.
Das heurige Motto lautet “Just a moment, please!”. Was waren die Ideen dahinter?
Daniel Hadenius-Ebner: Wir haben uns mit dem 20-jährigen Jubiläum beschäftigt und sind beim Begriff der Zeit hängengeblieben: Der Kurzfilm definiert sich über die Zeit. Ein Jubiläum ist vom Blick auf die vergangene Zeit geprägt. Und gesellschaftspolitisch ist aktuell oft von einer Zeitenwende die Rede. Das hat für uns dann alles gut zusammengepasst.
Und nachdem es beim Kurzfilm ja nicht zuletzt um die Kürze geht, haben wir uns für die kürzeste Einheit entschieden – den Moment. Das kann der Moment sein, an den wir uns alle noch erinnern, oder jener, den wir nicht verpassen wollen. Das hat uns auch im Bezug auf den Film gut gefallen, wo quasi das Einzelbild den Moment darstellt, die kleinste Einheit. Wir widmen uns also dem Kleinsten, um größere Zusammenhänge besser zu verstehen. Und in politischer Hinsicht ist das Motto quasi als Angebot zu verstehen, das mediale Getöse mal warten zu lassen, in sich zu gehen und sich ganz auf den Moment, das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
Eines der Herzstücke des Festivals ist der internationale Wettbewerb. Worauf kann man sich hier dieses Jahr freuen?
Das lässt sich meist recht schwer in alle Kürze zusammenfassen. Wir haben dieses Jahr über 6.000 Einreichungen bekommen, deshalb war es schon mal ein Marathon, sich überhaupt einen Überblick über die Filme zu verschaffen. Letztlich wählen wir dann für die zwei internationalen Wettbewerbe je rund 30 Filme aus – und dabei geht es dann nicht darum, topaktuelle Themen abzubilden, sondern offen zu sein für Neues, für noch nicht Gesehenes, d.h. auch Entdeckungen zu machen. Was wir auf ästhetischer Ebene feststellen durften, ist aber jedenfalls eine gewisse Lust am längeren Erzählen. Man spürt, dass es hier neue Erzählhaltungen gibt – und diese werden auch ausgekostet.
Wie kuratiert man ein Programm in einer Zeit, in der es derart viele globale Konflikte gibt?
Eine Stärke des Kurzfilms ist, dass er schnell auf aktuelle Entwicklungen reagieren kann. Das war für uns auch der Grund, weshalb wir letztes Jahr die Programmschiene “Aktuelle Anmerkungen” (“Current Comments”) ins Leben gerufen haben. Hier wollen wir die Vielfalt an aktuellen Themen, von Krieg über KI bis Klimawandel, sichtbar und spürbar machen.
Gibt es Unterschiede zwischen Filmen, die jetzt und vor der Pandemie eingereicht wurden?
Wir sind bis zu einem gewissen Grad froh, dass die Zeit der klassischen Corona-Filme wieder vorbei ist. Bis letztes Jahr gab es in den Einreichungen schon noch sehr viele kammerspielartige Filme mit wenigen oder gar keinen Darsteller:innen oder Essayfilme, die nur in der eigenen Wohnung spielen. Die Pandemie dürfte aber jedenfalls Einfluss darauf gehabt haben, dass sich Erzähltempo und -haltungen – wie vorhin erwähnt – seither etwas verändert haben.
Wie steht der österreichische Kurzfilm im internationalen Vergleich da?
Der österreichische Kurzfilm muss sich im internationalen Vergleich keineswegs verstecken. Sowohl im Österreich-Wettbewerb als auch bei den österreichischen Musikvideos ist das Niveau mittlerweile unheimlich hoch. Bei beiden Wettbewerben zusammen kommen rund 500 Einreichungen pro Jahr rein – wenn man dann nur jeweils 15 bis 20 auswählen kann, blutet einem schon manchmal das Herz. Wenn man sich die Siegerfilme der letzten Jahre anschaut, dann sind das alles Filme, die auch international und teils auf großen Festivals reüssiert haben – etwa die Arbeiten von Mo Harawe oder Total Refusal. Da spielen wir schon in der obersten Liga mit.
Was sind die größten Neuerungen in diesem Jahr?
Da gibt es durchaus einige. Die wichtigste ist mit Sicherheit, dass alle Programme für Menschen unter 20 Jahren mit Unterstützung der Stadt Wien gratis zugänglich sind. Damit einhergehend haben wir das Kinder- und Jugendprogramm deutlich erweitert und sind da auch einige schöne Kooperationen eingegangen, etwa mit “Kino & Krawall” im Stadtkino.
Zum ersten Mal veranstalten wir auch Talent Days in Kooperation mit der Filmakademie Wien. Da kommen Filmstudent:innen von acht Filmschulen – u.a. aus Prag, Budapest, Ludwigsburg oder Linz – nach Wien und stellen ihre jüngsten Arbeiten vor. Dazu wird es Workshops und Netzwerkveranstaltungen geben, darauf sind wir schon sehr gespannt.
Und vor der Pandemie hatten wir ja auch das “PopPorn”-Programm, das sehr beliebt war, aber bei dem es dann keinen Sinn gemacht hat, es auch online fortzuführen. Jetzt kommt es unter neuem Konzept und neuem Namen als “Kinky Kino” zurück auf die Leinwand.
Während der Pandemie wurde das Festivalprogramm auch online angeboten, wie sieht es dieses Jahr aus?
Wir haben beschlossen, dass wir das weiterführen und über den ganzen Juni auch online Programm anbieten wollen. Einige Programme werden zwar nur im Kino zu sehen sein. Das gesamte Kinder- und Jugendprogramm und die “Aktuellen Anmerkungen” werden aber zum Beispiel auch online zur Verfügung stehen. Und auch die Filme im Wettbewerb werden jeweils für drei Tage online abrufbar sein.
Das Thema Künstliche Intelligenz spielt in den unterschiedlichen Kunstsparten eine immer größere Rolle. Habt ihr die rasante Entwicklung von KI in den Einreichungen zu spüren bekommen?
Wir waren dieses Jahr tatsächlich sehr neugierig, ob uns das jetzt schon erreichen wird, weil wir die Entwicklung natürlich mitgekriegt haben. Und es gab auch tatsächlich viele Einreichungen, die den Einsatz von KI auch selber ausgewiesen haben. Beim bewegten Bild ist es so, dass sich der Einfluss aktuell noch hauptsächlich auf Morphing-Prozesse beschränkt, bei denen man relativ gut und einfach erkennen kann, ob es sich um die Arbeit einer KI handelt oder nicht.
Wir sind aber davon überzeugt, dass das noch eine sehr spannende Entwicklung nehmen kann, gerade im Kurzfilmbereich. Die Frage, ob das etwas ist, was man fürchten sollte oder ob es eine Chance sein kann, haben wir für uns auch noch nicht beantwortet. Aber wir haben zwei Programme zusammengestellt, die sich mit KI und KI-generierten Filmen beschäftigen. Ich glaube, am besten ist es, wenn sich jeder selbst ein Bild davon macht.
Was waren in den letzten 20 Jahren die prägendsten Momente für Dich?
Ich glaube, einer der prägendsten Momente war 2008, als wir die Eröffnung zum ersten Mal im Gartenbaukino gemacht haben. Das war schon ein großer Schritt, das Festival vom kleinen studentischen Rahmen im Topkino auf diese Riesenbühne zu bringen. 2010 war ein Jahr des großen Umbruchs, weil wir die komplette Programmstruktur und die interne Organisation quasi neu aufgesetzt haben.
Als wir 2016 dann den Status als Oscar-qualifying-Festival erhalten haben, haben wir auch international einen ganz anderen Stellenwert bekommen. Das sind vielleicht mehr die Meilensteine als die persönlichen Erinnerungen, aber das sind schon so die Schritte gewesen, durch die das Baby erwachsen geworden ist.
Wenn du in die Zukunft schaust, wo siehst du den Kurzfilm bzw. das Vienna Shorts in 20 Jahren. Was sind die größten Herausforderungen?
Das Interessante ist, finde ich, dass wir viel mehr als früher von kurzen filmischen Formen umgeben sind. Auch wenn es ein anderer Zugang und Kontext als unserer ist, kann man sich heutzutage keine Social Media-Plattform ohne Kurzfilme vorstellen. Ich glaube, es wird für Festivals, die sich wie wir dem sogenannten “Talent-Building” verschrieben haben, immer einen wichtigen Platz geben. Aber auf der anderen Seite stellt sich für uns auch ein bisschen die Frage, wie wir aus diesem ständigen “Survival”-Modus rauskommen, in dem wir uns seit Anfang an mehr oder weniger befinden. Es ist in manchen Bereichen besser geworden, aber trotzdem baut die Landschaft, in der wir uns befinden, einfach immer noch sehr auf Selbstausbeutung auf.
Wir kämpfen seit vielen Jahren damit, dass die meisten unserer Mitarbeiter:innen nach zwei bis vier Jahren aufhören, da wir nicht in der Lage sind, ihre Arbeit adäquat zu bezahlen. Dieser Überlebenskampf ist wahnsinnig frustrierend und hält schon viel zu lange an. Wenn wir einerseits mitbekommen, dass Diskussionen zu Fairpay endlich auf politischer Ebene angekommen sind, auf der anderen Seite aber die Inflation alle Erhöhungen der letzten Jahre in null Komma nichts weggefressen hat, stellt sich natürlich schon die Frage, wie ernst es der österreichischen Kulturpolitik ist für nachhaltige und gute Strukturen zu sorgen. Und wir fragen uns natürlich auch jedes Jahr aufs Neue, ob wir uns das antun wollen.
Das soll jetzt aber nicht die Freude über das Jubiläum trüben. Wir freuen uns auf das, was kommt, und darüber, wie das Festival dasteht. Wir wissen, dass wir insgesamt einen sehr guten Job machen – und darum freuen wir uns auch auf ein schönes Festival!
Mehr Infos zum Vienna Shorts Kurzfilmfestival findet ihr hier.