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Ulrich Seidls "Sparta": Annäherung an das Undarstellbare?

Das Pendant zu "Rimini" feierte am Sonntag beim 70. Filmfestival von San Sebastian Weltpremiere und ergründet eines der Tabuthemen schlechthin: Pädophilie. Für das gelungene Porträt eines Mannes mit hochproblematischen Gelüsten wählte Seidl nicht den einfachen Weg.

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In "Rimini" spürte Seidl dem abgehalfterten Schlagersänger Richie Bravo nach, der bei winterlicher Tristesse in einem italienischen Badeort seine Hits für ein schütteres, gealtertes Publikum zum Besten gibt. In "Sparta", der im Wettbewerb von San Sebastian um die "Goldene Muschel" rittert, wird dessen Bruder Ewald (Georg Friedrich) schonungslos auf den Zahn gefühlt. Ewald ist wie Richie nach dem Tod der Mutter nur noch sporadisch wegen des einen oder anderen Besuchs des hochbetagten, dementen Nazivaters Ekkehard (Hans-Michael Rehberg in seiner letzten Kinorolle) in Österreich anzutreffen. Er hält sich lieber bei seiner Freundin (Florentina Elena Pop) in Transsilvanien, im Zentrum Rumäniens auf.

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Beziehungsprobleme

Dort ist nicht nur die Gegend verwahrlost, auch die Beziehung der beiden hat schon bessere Zeiten erlebt. Sie versucht zwar mit so mancher erotischen Verlockung Ewalds erstarkendes Desinteresse abzuwenden, doch gelingen mag ihr das nicht. Und dem Publikum schwant schon bald, warum. Zu lange beobachtet der zurückhaltende Mittvierziger mit dünner, krächzender Stimme junge Burschen beim Fußballspielen, bei der Schneeballschlacht oder auch beim Schaukeln.

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Langsam nähert Ewald sich ihnen an. Mit gebrochenem Rumänisch und unbeholfenen Berührungen strebt er danach, die Sympathien der Buben für sich zu gewinnen. Dabei ist er sich bewusst, dass seine zusehends an die Oberfläche drängenden Gelüste hochproblematisch sind. Immer wieder hält er inne, flüchtet beinahe panisch, um sich verzweifelt an den Kopf zu greifen. Auch, dass die Beziehung zu seiner Freundin in die Brüche geht, schmerzt ihn sichtlich.

Ewald macht dennoch eine desolate ehemalige Schule aus, die er mithilfe mehrerer Burschen aus der Umgebung zur Festung "Sparta" ausbaut. Dort trainiert er sie nicht nur im Judo - gegenüber den Eltern gibt er sich als Kampfsportlehrer aus -, sondern lässt auch marschieren und gemeinsam duschen. Für die arglosen Buben bedeutet das auch Unbeschwertheit vom tristen Familienalltag, der für so manchen von Schlägen und erzwungenem Alkoholkonsum geprägt ist.

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Dominierte in "Rimini" das Gefühl der Fremdscham für Richie Bravo, der widerwillig die Beziehung zu seiner Tochter in halbwegs ruhige Gewässer steuern möchte, macht es Seidl dem Publikum mit "Sparta" wesentlich schwerer. Der Regisseur malt nicht schwarz-weiß - hier die nette Familie, dort der böse Pädophile. In Seidls Kosmos lauert das Grausliche und Verwerfliche an jeder Ecke. Der Regisseur wirft die unschuldigen Burschen zwischen mehrere Übel und überlässt dem Publikum mit beinahe diabolischer Freude das Urteil, welches davon das geringere ist.

Geprägt ist der sich an das Undarstellbare annähernde Film in klassischer Seidl-Manier von trostlosen Gegenden und Räumlichkeiten, die mit ihren surrenden Kühlschränken und Strommasten, dem Schmatzen von Schneematsch im Winter und Gatsch im Sommer den Soundtrack vorgeben. Georg Friedrich setzt dem ausgefeilten Drama über den Schmerz, sich selbst zu finden, mit seinem bedrohlichen und doch seltsam zärtlichen Schauspiel die Krone auf.

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Fraglich ist, ob das Wohl der Laienkinderdarsteller beim Dreh von "Sparta" dem ästhetischen Anspruch untergeordnet wurde. Seidl ist mit anonym erhobenen Vorwürfen von Drehbeteiligten konfrontiert. Zu wenig seien Kinder und Eltern über das Thema des Films informiert und zu wenig sei auf das Befinden der jungen Darsteller Rücksicht genommen worden. Der Regisseur weist dies strikt zurück und kündigte rechtliche Schritte an. Auch so mancher Mitarbeiter stellte sich zuletzt mit vollem Namen hinter den Filmemacher.

Auf der Leinwand sind die Burschen keinen körperlichen Übergriffen oder gar sexuellen Handlungen ausgesetzt. Sehr wohl stehen sie mit dem nackten Hauptdarsteller unter einer großräumigen Dusche (sie selbst in Unterhose), werden mit nacktem Oberkörper fotografiert und die Aufnahmen anschließend von Ewald nächtens betrachtet oder sitzen in einem Auto, das auf einer Wiese bewusst zum Schleudern gebracht wird. Inwieweit das ein Problem für die Kinder oder auch deren Eltern darstellt, ist wohl von Person zu Person unterschiedlich. Wichtig wäre, dass sie darüber aufgeklärt wurden. Ob dies der Fall war, ist aus dem Kinosaal heraus nicht beurteilbar. Im Frühjahr 2023 soll das Werk auf den österreichischen Leinwänden anlaufen.