"Too Hot To Handle: Germany": Essen wird überwertet. Deutsch auch
Von Manuel Simbürger
Man muss nicht Philosophie studiert haben, um zu erkennen, dass Reality-Shows mit ziemlich viel, aber sicher nichts mit der Realität zu tun haben. Hat man zumindest bisher behauptet und sich gleich danach über die neueste französische Auteur-Serie hergemacht – selbstverständlich ohne Untertitel.
Doch das MCU hat die Sache durchaus verkompliziert und nicht nur unser Denken, sondern sogar unsere Sicht auf Trash-TV verändert. Zum einen, weil wir uns mittlerweile selbst mit dem größten Schmus zufrieden zu geben scheinen (ja, wir haben's gesagt!), aber auch, weil wir nun wissen: Es gibt verschiedene Realitäten. Verschiedene Welten. Und Reality-Shows sind deswegen nicht einfach nur Laientheater, sondern ausgeprägte und eigenständige Universen.
Denn egal, ob es sich um Ekelprüfungen (wir meinen natürlich "Germany's Next Topmodel"), "blinder" Liebessuche oder erzwungene Abstinenz geht: Reality-Shows sind nicht nur soziokulturelle Studien über das menschliche Verhalten in Extremsituationen, sondern auch stets eine erzwungene Parallelgesellschaft, nicht selten fernab unserer Normen des guten Geschmacks oder eines zivilen Zusammenlebens. Ein alternatives Universum, das seinen eigenen Regeln folgt.
"Too Hot To Handle: Germany", derzeit Platz 1 der heimischen und deutschen Netflix-Charts, bestätigt unsere Theorie. Die 14 liebeshungrigen Singles mögen in einer Luxusvilla im Paradies verweilen, die für Normalsterbliche wohl unerschwinglich ist, sie alle sehen natürlich exorbitant gut aus und sie alle leben in permanenter Angst vor einer KI (okay, diesen letzten Punkt kennen wir doch irgendwie alle) – und doch sind es ganz andere Dinge, die die Welt von "THTH: Germany" zu einer Parallel-Realität und nicht zu der unseren machen.
Diese 12 Dinge gibt es nur in der Welt von "Too Hot To Handle: Germany":
1. Lebst du in der "Too Hot To Handle"-Welt, musst du nie essen. Und wir meinen: Wirklich nie.
2. Eine Stunde ohne Sex oder zumindest das Denken an Techtelmechtel ist schlicht unmöglich. In der "Too Hot To Handle""-Realität werden Mitmenschen nicht als Lebewesen, sondern als Sexobjekte angesehen.
3. Eine hedonistische Gesellschaft braucht nur vier Regeln, um zu Überleben: Eat. Sleep. Fuck. Repeat. Obwohl das wahrscheinlich eine eingelernte Lüge ist, denn: siehe Punkt 1.
4. Privatsphäre gibt es in der "Too Hot To Handle"-Welt nicht – und keinem stört's: Sex im Gruppen-Schlafzimmer ist normaler als das täglich Brot (weil: siehe Punkt 1).
5. Die "Too Hot To Handle"-Parallel-Welt hat eine andere Art von Pandemie durchlebt: Alle Betroffenen leiden von nun an an Textilallergie und müssen auf Kleidung, die mehr als 20 Prozent ihres Körpers bedeckt, verzichten. Für immer. Andauernd. Überall.
6. Wir erinnern uns an Punkt 3. Daraus folgt: Moderne Geschlechterrollen sind dem"Too Hot To Handle"-Universum fremd. Die Technologie hat sich hier in Windeseile weiterentwickelt (hallo, Lana!), das intelligente und fortschrittliche Denken nicht.
7. In dieser Welt haben Menschen das Gefühl, die Liebe ihres Lebens verloren zu haben, nachdem sie gefühlte fünf Minuten mit dieser Person verbandelt – und in keiner Beziehung! – waren. Verlieben geht folgerichtig auch ruck-zuck: Nach nur einem Kuss ist's geschehen.
8. Tiefgründigkeit wird im "Too Hot To Handle"-Universum sehr leichtfertig verwendet. Was hier als "deepes" Gespräch verstanden wird, ist Small Talk ... für wirklich alle anderen Menschen in diesem Multiversum.
9. Der Lebensmensch (den man seit fünf Minuten kennt, weil: sieht Punkt 7) wird gelobt, weil er sich öffnet. Man ist glücklich, denn man kennt nun einander – ohne nur das kleinste Mini-Detail über das Privatleben, die familiäre Situation oder das Berufsleben des Anderen zu wissen.
10. Praktisch: Wirklich alle inneren Dämonen sind nach einem zweistündigen Workshop besiegt und du bist ein anderer Mensch. Persönlichkeitsentwicklung war noch nie so einfach.
11. Die "Too Hot To Handle"-KandidatInnen sind die einzigen Reality-TV-TeilnehmerInnen im gesamten Multiversum, die nicht wissen, an welcher Show sie eigentlich tatsächlich teilnehmen. (Und ja, das ist *NATÜRLICH* wirklich so...)
12. Das A und O, um in der "Too Hot To Handle"-Welt überleben zu können: Mische unter deine Anglizismen ein paar deutschsprachige Wörter. Aber Vorsicht: Bitte nicht übertreiben!