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"The Boys", "Obi-Wan" und Co: Wieso wöchentliche Releases nerven

Streamen ist auch nicht mehr das, was es mal war. Und das meine ich wirklich so. Was ich nicht meine, ist die Qualität oder gar die Diversität der Streaming-Serien, da hat sich in den vergangenen Jahren ordentlich was getan, auch wenn Netflix leider irgendwann mit rasender Geschwindigkeit in die "Quantität vor Qualität"-Kurve eingebogen ist und seitdem munter im Kreis fährt. 

Was ich sehr wohl meine, ist die Veröffentlichungspolitik der Streaming-Plattformen, die nicht nur mir, sondern anscheinend auch vielen anderen UserInnen und Serien-Fans sauer aufstößt, wenn man sich im Netz so umschaut. Statt eine Serien-Staffel auf einen Schlag zu veröffentlichen, greift man bei immer mehr Serien auf eine wöchentliche Ausstrahlungstaktik zurück, wie wir es von vor 100 Jahren vom linearen Fernsehen kennen.

Egal ob "The Boys", "The Mandalorian", "Obi-Wan Kenobi", "Ms. Marvel" oder "How I Met Your Father": Den Seriengenuss gibt es nun immer öfter nur noch tröpfchenweise. Anfixen und dann nicht liefern also, könnte man überspitzt sagen. 

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Binge-Watching war eine Revolution

Erinnern wir uns: Damals, als wahrscheinlich nicht nur das Streamen, sondern auch die Welt noch eine andere war, hat Netflix mit Pauken und Trompeten das Binge-Watching eingeführt. Eine gesamte Serienstaffel wurde auf einmal online gestellt, Wartezeit war nur noch zwischen den einzelnen Staffeln angesagt.

Was für eine Revolution das war! Keine Fremdbestimmung mehr, kein Ohnmachts-Gefühl, keine nervenzerreißende Geduldsprobe, kein Gebunden-Sein an fixe Tage und Zeiten. Ich bestimme, was und wann und wie viel ich mir wovon auf einmal ansehen möchte. Das mag durchaus als Spiegel unserer egozentrischen Gesellschaft herhalten, zugegeben. Aber es ist halt auch einfach zeitgemäß. 

Denn sich sklavisch an vorgegebene Ausstrahlungszeiten halten zu müssen – nein danke, das ist antiquitiert und hat nichts mit Individualität zu tun, die heute so gerne angepriesen wird. Auch ArbeitgeberInnen nehmen immer mehr auf freie Zeiteinteilung und individuelles Work Management Rücksicht. Das dürfte dann ja bitte auch beim Serien-Schauen möglich sein, oder?

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Der Kampf gegen die Monats-AbonnentInnen 

Klar, die Gründe, wieso Netflix, Amazon Prime, Disney+, Apple TV+ und alle anderen Streaming-Plattformen da draußen immer öfter mit dem wöchentlichen Veröffentlichungs-Rhythmus liebäugeln, sind nachvollziehbar: Man möchte damit den Monats-AbonnentInnen den Wind aus den Freiheits-Segeln nehmen. Mal schnell für vier Wochen ein Abo abschließen, am selben Tag wieder kündigen, sich in den kommenden 30 Tagen so viele Serienstaffeln wie möglich reinziehen und danach das Weite suchen? Das ist mit dieser Taktik nicht mehr möglich.

Zudem, das muss man bei aller Ablehnung des Weekly-Streamens zugeben: Der Buzz, den eine Serie generiert, bleibt länger erhalten, wenn die Folgen nur einmal in der Woche erscheinen. Denkt nur an früher: Man hat sich zwischen den einzelnen Folgen aufgeregt mit den SchulkollegInnen darüber unterhalten, was wohl als nächstes passieren wird. Alle waren am selben Stand, was die Story betrifft. Ja, das verbindet. 

Vor allem aber redet und beschäftigt man sich länger mit einer Serie. Man hat länger etwas davon. Wie zu Weihnachten: Wenn nicht alle Packerl gleich am 24. Dezember geöffnet und verschenkt werden, ist der innere Purzelbaum größer. Wenn man das Lieblingsgericht langsam verspeist anstatt es schnell zu verschlingen, hallt der Genuss länger an. 

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Nehmt uns nicht den Eskapismus!

Das mag alles für die wöchentliche Releases von Serienfolgen sprechen. Mag sein. Was aber so gar nicht einhergeht mit dieser Taktik ist ein Aspekt, der alle bisherigen Argumente klein und nichtig wirken lässt  – weil er die Faszination des Serienschauens erst ausmacht: Bekommen wir die Staffel nur häppchenweise serviert, verhindert das ein hundertprozentiges Rundum-Abtauchen in die fiktionale, alternative Welt, nach der wir so sehr lechzen, wenn wir der eigenen Realität den Rücken kehren wollen (und manchmal auch müssen).

Der Eskapismus, ein nicht zu unterschätzendes Seelenheil in Krisenzeiten, wird uns nur mehr in Dosen möglich gemacht. Richtig versinken in die uns erzählte Geschichte, das Identifizieren mit den Figuren, das Gefühl, Teil dieser Welt zu sein, ja gar die Analyse, das Verstehen, das tatsächliche Sehen des Gebotenen in all seinen Dimensionen – all das fällt um einiges schwerer, wenn man immer wieder brutal aus der Fantasie herausgerissen und in die harte Realität zurückgeschmissen wird, der wir doch so unbedingt entfliehen wollten.

Wir möchten abtauchen, ganz weit runter, werden aber gezwungen, aufzutauchen. Wir brauchen niemanden, der uns sagt, wie lange wir die Luft anhalten können.

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Nicht zu vergessen: Auch das verhasste Spoilern wird durch Binge-Watching vermindert, weil du nach ein paar Tagen eh schon weißt, wie es ausgeht. 

Weil wir Weihnachten alle kennen und lieben, nochmals diese Allegorie: Stell dir vor, dir wird ständig versprochen, dass du noch ein Geschenk bekommst, aber erst später. In einer Woche sogar. Und dass du das erste Geschenk erst so richtig genießen kannst, wenn das zweite da ist. Und das dritte. Das vierte. Das fünfte.

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Das mag zuerst die Vorfreude erhöhen, aber irgendwann wirst du grantig werden, weil du dich erstens verarscht und zweitens hingehalten fühlst. Und kontrolliert. Fremdbestimmt eben. Die Möglichkeit, so, wie du es selbst willst, über das Geschenk (für das du im Streaming-Fall eigentlich eh selbst bezahlst!) zu handhaben, auf eine Weise, wie es dir am meisten Freude bereitet und die Seele tröstet, wird dir genommen. 

Und, seien wir ehrlich: Man fühlt sich ohnmächtig und machtlos, wenn man nach dem spannenden Cliffhanger unbedingt weiterschauen, die Nacht, das Wochenende mit den neuen FreundInnen und HeldInnen verbringen möchte, das aber einfach nicht möglich ist. Wenn du nach Hause geschickt wirst, wenn das Spielen am meisten Spaß macht. Du wirst hungrig zurück gelassen, obwohl der köstliche Duft dir bereits in die Nase gestiegen ist. Du hast Lust auf Sex, musst aber mittendrin aufhören. Und das immer und immer wieder.

Wie schön beispielsweise ist es, jeden Abend eine Folge der neuen Lieblings-Serie anzusehen? Oder Binge-Watching-Abende mit FreundInnen bei Pizza und Bier – erst wieder möglich, wenn du abwartest, bis alle Folgen veröffentlicht wurden. Und dann aber stellt sich das quälende Gefühl ein, mächtig late to the party zu sein. 

Klar, auch im TV wird oftmals nur eine Folge veröffentlicht – aber viele Serienfans wollen eben auch deshalb streamen, um sich nicht mehr diesem Rhythmus auszusetzen. Und: Auch immer mehr TV-Sender veröffentlichen eine ganze Staffel (einer Miniserie) an einem oder zwei Abenden.

Und, das wird gerne mal ignoriert: Wer tatsächlich den wöchentlichen Seh-Rhythmus vorzieht, kann das ja immer noch tun, auch wenn die Staffel auf einmal veröffentlicht wird – andersrum ist das aber nicht möglich. 

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"The Boys"-Fans sind verärgert

Besonders bei der dritten Staffel von "The Boys" schlägt die Häppchen-Veröffentlichung vielen Fans gehörig auf den Magen, besonders, nachdem man am ersten Tag mit gleich drei Folgen auf einmal gefüttert wurde, danach einem aber die Schoki unter der Nase weggezogen wurde. 

Auf der Amazon-Prime-Video-Seite zur Serie beispielsweise ist zu lesen, dass "amazon leider immer noch nichts dazu gelernt [hat]" (auch die zweite Staffel wurde nicht auf einmal veröffentlicht), dass diese Taktik "ausgelutscht" und "ins Fernsehzeitalter der 90er Jahre" gehöre, dass das nichts mit "Streaming im Jahre 2022 zu tun" habe.

Ein anderer User schreibt: "Für ü70 Tatort Zuschauer vielleicht zu ertragen für die das Internet Neuland ist, aber nicht für Leute die einen online Streaming Dienst bezahlen." Ein weiterer Zuschauer fühlt sich durch das wöchentliche Warten ins "Mittelalter zurück versetzt" und meint gar: "Bald also kein Streaming mehr ;-)". Auch in den USA zeigte man sich verärgert, allerdings bereits bei der zweiten Staffel. 

Und auch auf Instagram häufen sich die genervten Kommentare:

 

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Das mag alles zwar etwas zu hart (und mit viel zu vielen grammatikalischen und Rechtschreibfehlern) formuliert sein, aber der Kern der Aussagen kann man nicht verleugnen. Vor allem ist es schade, dass solch eine bahnbrechende Serie wie "The Boys" aufgrund der Veröffentlichungstaktik von Amazon Prime Video viel schlechter bewertet wird, als sie es eigentlich verdient hat. Denn viele UserInnen vergeben deshalb nur einen oder null Sterne, obwohl sie der Serie selbst eigentlich die volle Punktzahl zusprechen würden.

Make Streaming great again

Also, liebe Streaming-Anbieter: Besinnt euch doch wieder euren Wurzeln und bietet Streaming erneut in seiner ursprünglichen Form an. Entertainment nicht nur wo, sondern auch wann ich will – und zwar ohne jegliche Einschränkung. Ob an einem Wochenende die gesamte Staffel, jeden Abend eine Folge oder an einem Abend vier und am nächsten zwei Folgen: Die UserInnen alleine sollten entscheiden dürfen, wie er oder sie die Serie genießen möchte. 

Wenn schließlich schon die Abo-Gebühren höher werden, dann bitte die Wartezeit zumindest niedriger. Orientiert euch nicht am Fernsehen: das mag Stärken haben, aber die wöchentliche Serienfolgen-Ausstrahlung gehört sicherlich nicht dazu.

Gebt uns wieder das (zeitnahe) Binge-Watching zurück. Make Streaming great again. Macht das Streaming wieder zu dem, was es mal war.