"Star Trek: Picard": Was haben die Romulaner vor?
Von Erwin Schotzger
Jean-Luc Picard war nie so ein Hitzkopf wie James T. Kirk. Seine Missionen ging er schon immer mit Bedacht an, ohne jedoch eine gewisse Impulsivität vermissen zu lassen. Mit der neuen "Star Trek"-Serie, die seinen berühmten Namen trägt, ist es nicht anders: "Star Trek: Picard" geht es langsam an. Auch die zweite Episode "Karten und Legenden" wirkt eher wie die Vorgeschichte der eigentlichen Handlung. Das ist übrigens so geplant. Auch die nächste Episode gehört noch zum ersten Drittel der Serie, die als Vorgeschichte dient.
Lässt sich die Serie damit zu viel Zeit, wie viele Kritiker sagen? Wir sind der Meinung: Das passt schon so! Denn seit "Star Trek: Nemesis" (2002) und dem "Star Trek" Reboot (2009) hat sich im "Star Trek"-Universum einiges geändert, das erklärt werden will. Und das macht "Star Trek: Picard" durchaus spannend. Schon die Länge des folgenden Episoden-Reviews zeigt, dass diese Folge wieder voller Neuigkeiten steckt, die spannende Fragen aufwerfen.
Nicht zu vergessen: Wir befinden uns auch im Zeitalter der epischen TV-Serien mit durcherzählten Geschichten. In dieser neuen Zeit scheint "Star Trek: Picard" wesentlich besser angekommen zu sein als das insgesamt eher enttäuschende "Star Trek: Discovery".
Aber langsam! Bevor wir uns ausführlich mit der Episode "Karten und Legenden" (OT:"Maps and Legends") von "Star Trek: Picard" auseinandersetzen: SPOILER-ALARM!
Der Angriff der Androiden
Noch vor dem (übrigens eher unspektakulären) Intro machen wir einen Sprung zurück in die Vergangenheit: Mars, 2385, vor 14 Jahren.
Dazu ein kurzer Exkurs: Bei dieser Angabe handelt es sich vermutlich um die Sternzeit, die seit dem Star Trek"-Reboot 2009 analog zur irdischen Jahreszahl verwendet wird. Allerdings müsste dann die korrekt Sternzeit-Angabe lauten: 2385,95. Die Zahl nach dem Komma gibt den Tag an. In diesem Fall wäre es der 5. April, der "Tag des Ersten Kontakts" (First Contact Day), ein Feiertag in der Föderation. Aber vermutlich wird hier die Tradition der inkonsistenten Verwendung der Sternzeit fortgesetzt.
Zurück zum Wesentlichen: Wir werden Zeugen des verheerende Angriffs der abtrünnigen Androiden (im Original als "Rogue Synths" bezeichnet) auf den Mars. Diese Attacke wurde in der ersten Episode erwähnt und in der "Star Trek: Short Treks"-Episode "Children of Mars" angeschnitten. Der Vorfall führte zum Verbot von Androiden und dem Einfrieren der Forschung im Bereich der Künstlichen Intelligenz und Entwicklung empfindungsfähiger Androiden wie Data. Bis heute ist nicht bekannt, warum die Androiden den Mars angegriffen haben, wie Picard erwähnt hat.
Der Rückblick zeigt recht klar, dass diese Androiden weit davon entfernt waren eine echte künstliche Intelligenz zu besitzen, von Empfindungsfähigkeit oder Emotionen ganz zu schweigen. Sie wurden von den Menschen auch nicht wie Personen behandelt, sondern eher wie intelligente Maschinen. So zeigt etwa der Android F8 keine Anzeichen eines eigenen Bewusstseins. Das kurze Lichtspiel in seiner Pupille vor der Attacke ist wohl eher als (wenig origineller) Hinweis darauf zu deuten, dass die Androiden irgendwie gehackt wurden und der Angriffsbefehl von unbekannter Seite einprogrammiert wurde. Natürlich ist das nur eine Vermutung, aber "Star Trek" ist auch nicht "Westworld", wo ständig falsche Fährten fürs Publikum gelegt werden. Hier passt dieser Hinweis gut ins Gesamtbild. Wir glauben daher nicht, dass sich hier künstliche Lebensformen gegen ihre Unterdrücker gewandt haben. Die Androiden waren wahrscheinlich das Werkzeug einer größeren Verschwörung. Die spannende Frage ist, wer hinter dieser Verschwörung steckt.
Der Zustand der Föderation
Nach dem Intro springt die Handlung immer wieder zwischen zwei Schauplätzen: Picard (Patrick Stewart) auf der Erde und Soji Asha (Isa Briones), dem Zwilling der getöteten Dahj, auf dem Borg-Kubus der Romulaner.
Wir bleiben zunächst auf der Erde, wo sich Picard auf die Fährte der Mörder von Dahj begibt. Dabei erfahren wir auch einiges über den aktuellen Zustand der Vereinten Föderation der Planeten. Das Bollwerk für Freiheit, Demokratie und Bürgerrechte in der Galaxie hat schon bessere Zeiten erlebt. Denn nachdem Picard ausgeforscht hat, dass der Zwilling von Dahj nicht auf der Erde ist, sucht er Unterstützung bei der Sternenflotte. Doch Picard überschätzt seinen Ruf nach 14 Jahren im Ruhestand deutlich. Bei Admiral Kirsten Clancy (Ann Magnuson) holt er sich eine peinliche Abfuhr.
Clancy ist verärgert über Picards Aussagen über die Sternenflotte im intergalaktischen Fernsehen. Das ist verständlich, denn wir erfahren, dass die Föderation schon vor dem Angriff der Androiden auf den Mars vor einer Zerreißprobe stand: 14 Spezies der Föderation hatten damals mit ihrem Austritt aus der Föderation gedroht, sollte die von Picard initiierte Rettungsmission für die Romulaner nicht abgeblasen werden. Picards Idealismus in Ehren, aber die Durchführung der Rettungsmission nach der Zerstörung der dafür benötigten Raumschiffe durch eine angeschlagene Sternenflotte war unter diesen Umständen mehr als unrealistisch.
Diese Information verstärkt aber auch den Eindruck, dass die Attacke der Androiden auf den Mars kein Zufall war.
Als Picard von einem organischen Androiden erzählt, den Bruce Maddox aus Neuronen von Data entwickelt hat, meint Clancy, dass er "offenbar weit von der Realität entfernt" lebt. Als er dann auch noch um das Kommando über ein kleines Raumschiff für seine Mission bittet, platzt der Admiralin der Kragen. Die Gefahr durch Infiltration durch romulanische Geheimagenten hält sie für "die Einbildungen eines einstmals großen Mannes, der von Geltungssucht erfüllt ist". Autsch, das tat weh!
In dieser Szene wirkt Picard tatsächlich wie ein Relikt aus einer anderen Zeit, ein wenig wie ein alter Mann der nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Darin sehen wir aber eine durchaus gelungene Überleitung: vom – teilweise auch naiven – Idealismus von "Star Trek: The Next Generation" zur realistischen Tonalität von "Star Trek: Picard", in dem aber mit der Person des Jean-Luc Picard durchaus noch der zeitlose Idealismus hochgehalten wird. Schließlich wissen wir ja, dass Picard tatsächlich einer Verschwörung auf der Spur ist. Und auch moralisch hat der alte Mann natürlich nicht ganz Unrecht. Die Utopie einer Föderation, die auf edlen Werten beruht, bleibt bestehen.
Der Borg-Kubus
Wenden wir uns nun dem zweiten Schauplatz zu: dem Borg-Kubus der Romulaner. Dort befindet sich die zweite Data-Tochter Soji Asha.
Wie ihr von den Romulanern getöteter Zwilling scheint auch sie nicht zu wissen, dass sie ein organischer Android ist. Soji arbeitet dort als Wissenschaftlerin. Offenbar ist sie eine Spezialistin für die Betreuung von Lebensformen, nachdem sie vom Borg-Kollektiv befreit wurden. Allerdings scheint diese "Heilung" nicht die oberste Priorität der Romulaner zu sein. Obwohl sie den Romulaner Narek, gespielt von Harry Treadaway ("Mr. Mercedes", "Penny Dreadful"), erst vor kurzem kennengelernt hat, haben die beiden schon eine heimliche Affäre.
Die Affäre zwischen Soji und dem Hipster-Romulaner Narek, der sich rasch als auf Soji angesetzter Agent herausstellt, finden wir ein wenig platt. Nicht nur weil es in "Star Trek: Discovery" zwischen Michael Burnham und Ash Tyler eine ähnliche Beziehung gab, sondern vor allem aufgrund der klischeehaften Naivität, die damit der weiblichen Hauptfigur gleich zu Beginn zugeschrieben wird. Das hätte man besser lösen können. Hoffentlich erwarten uns später nicht wieder ähnlich seichte Liebeskitsch-Dramen wie zwischen Burnham und Tyler.
Narek ist vermutlich ein Mitglied des romulanischen Geheimbundes der Zhat Vash. Selbst bei den Romulanern sind die Zhat Vash nur ein Mythos, ein Kinderschreck wie Zhaban sagt, der romulanische Haushälter von Picard. Doch Laris (ist sie die Frau oder die Schwester von Zhaban?), einst selbst Mitglied des gefürchteten Geheimdienstes Tal Shiar, ist davon überzeugt, dass es diesen Geheimbund gibt – und dass er hinter der Ermordung von Dahj steckt. Laris sagt, dass hinter der mysteriösen Mission der Zhat Vash angeblich eine tiefe Abneigung sowie Angst vor Künstlicher Intelligenz (KI) stecken, weshalb die Romulaner auch nie KI-Forschung betrieben oder KI-Technologie (wie etwa Androiden) eingesetzt haben.
Der Romulanische Freistaat
Diese KI-Abneigung der Romulaner macht Sinn mit Blick auf den Borg-Kubus im Besitz der Romulaner. Der beschädigte und vom Borg-Kollektiv getrennte Kubus, den Soji stets als Artefakt bezeichnet, ist eine Rückgewinnungseinrichtung des Romulanischen Freistaates. Die Romulaner schlachten jedes Stück Borg-Technologie aus und verkaufen es gewinnbringend. Überlebende "Drohnen" werden sogar - mit Hilfe von Experten wie Soji - wieder in die Gesellschaft integriert. Doch die Romulaner sind (zumindest vordergründig) nicht daran interessiert, das Borg-Kollektiv, die wohl am weitesten entwickelte künstliche Intelligenz der Galaxie, zu erforschen. Allerdings scheinen die Romulaner mit Wissenschaftlern aus der Föderation zu kooperieren. Soji ist offensichtlich eine dieser Wissenschaftler, denn sie ist äußerlich ein Mensch (und außer Narek und die Zhat Vash kennt niemand,nicht einmal sie selbst, ihre wahre Natur).
Der Borg-Kubus befindet sich offenbar schon sehr lange im Besitz der Romulaner. Kurz ist eine Aufschrift im Kubus zu sehen: "Diese Einrichtung ist seit 5843 Tagen ohne Assimilation in Betrieb" ("This facility has gone 5843 without an assimilation"). Das sind über 16 Jahre! Damit ist der Borg-Kubus schon rund zwei Jahre vor der Supernova-Katastrophe im Besitz der Romulaner gewesen. Also auch schon vor der Attacke der Androiden auf den Mars.
Ist der Romulanische Freistaat der Nachfolger des Romulanischen Imperiums oder eine Abspaltung davon? Schon vor der Supernova wurde das Imperium durch den Aufstand der Remulaner unter Shinzon in "Star Trek: Nemesis" geschwächt. Möglicherweise kam es nach dem Tod des Picard-Klons Shinzon zur Abspaltung des Freistaates?
Wie haben es die Romulaner geschafft, eine so gefährliche Vernichtungsmaschine wie einen Borg-Kubus in Besitz zu nehmen? Zuvor wurde die Borg-Queen getötet und damit das Kollektiv zerstört oder zumindest empfindlich geschwächt. Selbst nach 16 Jahren ohne Assimilation ist der Kubus immer noch ein gefährlicher Ort, wie aus der Einschulung der Neuankömmlinge in dieser Episode hervorgeht.
Die Zhat Vash
Die Aktivität des mysteriösen Geheimbundes der Zhat Vash im Romulanischen Freistaat und auf dem Borg-Kubus ist nicht weiter verwunderlich. Hingegen ist die Infiltration der Sternenflotte durch die Zhat Vash mehr als besorgniserregend.
Commodore Oh (Tamlyn Tomita) ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine als Vulkanierin getarnte Romulanerin, jedenfalls aber eine Sympathisantin der Zhat Vash. Somit hat sich der gefährliche Geheimbund im Herzen der Sternenflotte eingenistet. Ihre Agentin Lieutenant Narissa Rizzo (Peyton List) ist eine als Mensch getarnte Romulanerin und wie sich herausstellt die Schwester von Narek.
Der Zhat Vash wollte Dahj nicht töten, sondern verhören. Offenbar gehen die Romulaner von der Existenz weiterer hochentwickelter und empfindungsfähiger Androiden aus. Ziel ihrer Mission ist, deren Aufenthaltsort herauszufinden. Jedenfalls wissen die Romulaner mehr als die Föderation. Denn sie kennen das Geheimnis von Soji und haben mit Narek schon einen Agenten auf sie angesetzt.
Die Verschwörung
Offensichtlich gibt es eine Verschwörung innerhalb der Sternenflotte. Aber darüber hinaus stellt sich auch die Frage nach den Hintermännern der verheerenden Attacke auf den Mars:
- Waren es wirklich "abtrünnige Androiden", die sich gegen ihre menschlichen Unterdrücker erhoben haben? Wir haben daran nach dieser Episode starke Zweifel. Diese Androiden waren nicht so weit fortgeschritten, um ein eigenes Bewusstsein zu entwickeln. Doch selbst wenn dem so wäre: Warum haben dann nur die Androiden auf dem Mars rebelliert und gerade dort die Sternenflotten-Werft Utopia Planitia und die Rettungsflotte für die Evakuierung der Romulaner zerstört?
- War es eine Verschwörung innerhalb der Föderation? 14 Völker haben mit dem Austritt aus der Föderation gedroht, weil sie den feindlichen Romulanern nicht helfen wollten. Sollte durch den Angriff die Rettungsaktion verhindert werden? Dafür spricht, dass der Angriff an einem Feiertag (First Contact Day) erfolgte, um die Todesopfer möglichst gering zu halten.
- Waren es die Zhat Vash? Die Attacke würde ihrer KI-feindlichen Mission dienen, war aber auch das Todesurteil für Hunderte Millionen Romulaner. Wäre es möglich, dass die Romulaner eine bisher unbekannte Vergangenheit mit den Borg haben, auf die der KI-Hass der Zhat Vash zurückgeht? Und vielleicht hat der Romulanische Freistaat nach dem Fall des Imperiums und schon vor der Supernova einen Weg eingeschlagen, der dem alten Geheimbund nicht gefiel? Vielleicht kam die Supernova der Mission der extremistischen Zhat Vash gelegen?
- Waren es die Borg? Wenige Jahre zuvor hatte die Föderation die Borg-Queen getötet und zumindest ein Borg-Kubus war in die Hände der Romulaner gefallen. Die Attacke der Androiden könnte auch ein Lebenszeichen und Gegenschlag des geschwächten Borg-Kollektivs gewesen sein. Das halten wir zwar für eher unwahrscheinlich, aber ganz auszuschließen ist es nicht.
Es bleibt jedenfalls spannend. Denn nachdem Picard von der Sternenflotte kein Raumschiff bekommen hat, nimmt er Kontakt mit Raffi Musiker auf. Sie soll ihm ein Raumschiff und eine Crew besorgen, um nach der Tochter von Data zu suchen.
Wer Raffi Musiker ist, haben wir an dieser Stelle bereits erläutert: