"Rentierbaby": Die wahre Geschichte der Netflix-Serie
Von Maike Karr
Serien über Stalking sind spätestens seit dem Netflix-Hit "You" mit Penn Badgley im Mainstream angekommen. Auch der neueste Serienstart auf Netflix hat sich dem Thema angenommen, geht dabei jedoch ganz anders vor. Im Gegensatz zu "You" glorifiziert "Rentierbaby" Stalking nicht, sondern stellt es so dar, wie es ist. Der/ die Stalker:in ist psychisch krank und ihr/ ihm muss geholfen werden. Gleichzeitig stellt er/ sie großen Schaden an ihren Opfern an, die unter dem Stalking leiden.
Diese besondere und einfühlsame Darstellung ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Richard Gadd (Drehbuchautor, ausführender Produzent und Hauptdarsteller in "Rentierbaby") in der Dramedy seine eigene wahre Geschichte erzählt.
Serienmacher wurde in echt gestalkt
Richard Gadd sagte, er sei vier Jahre lang von einer Frau verfolgt worden, die ihn "Baby Reindeer" nannte. Am Anfang dachten sich Gadd und seine Freund:innen nicht viel dabei, bis die Dinge anfingen, sich zu steigern. Er wurde mit 41.071 E-Mails, 350 Stunden Sprachnachrichten, 744 Tweets, 46 Facebook-Nachrichten und 106 Seiten Briefen belästigt. Seine Stalkerin schickte ihm auch Geschenke, darunter ein Rentierspielzeug, Schlaftabletten, eine Wollmütze und Boxershorts.
"Zuerst dachten alle im Pub, es sei lustig, dass ich eine Verehrerin hatte", sagte Gadd "The Times". "Dann begann sie, in mein Leben einzudringen, verfolgte mich, tauchte bei meinen Auftritten auf, wartete vor meinem Haus und schickte Tausende von Sprachnachrichten und E-Mails." Ebendiese E-Mails sind übrigens Teil der Netflix-Serie. Die E-Mails, die man darin sieht, sind also echt.
Stalking ist ein ernstzunehmendes Problem
"Stalking im Fernsehen wird oft sehr aufreizend dargestellt. Es hat etwas Mystisches. Es geht um jemanden in einer dunklen Gasse. Es ist jemand, der wirklich sexy ist, der ganz normal ist, aber dann wird er nach und nach seltsam", sagte Gadd gegenüber Netflix' "Tudum".
"Aber Stalking ist eine Geisteskrankheit. Ich wollte wirklich die verschiedenen Ebenen des Stalkings mit einer menschlichen Qualität zeigen, die ich im Fernsehen noch nicht gesehen habe. Es ist eine Stalker-Geschichte, die auf den Kopf gestellt wird. Sie nimmt ein Klischee und stellt es auf den Kopf."
Dass Stalking bei Weitem nicht sexy oder Fiktion ist, zeigen Zahlen aus Österreich. Dort wurden laut der Landespolizeidirektion 2020 1.717 Stalking-Fälle angezeigt.
Das ist nicht wahr an "Rentierbaby"
Obwohl die Geschichte der Netflix-Serie größtenteils der Wahrheit entspricht, verriet Gadd, dass er die Spannung und den Nervenkitzel der Show zuliebe noch verstärkt hat. "Das Gefühl, das man am meisten hat, wenn man schikaniert wird, ist unerbittliche Langeweile und Frustration", sagte er. "Ich wollte nicht, dass das Publikum das spürt." Deshalb habe er ein paar dramaturgische Veränderungen an der Story vorgenommen.
Wie endete das Stalking für Richard Gadd und seine Stalkerin?
Am Ende der Serie bekennt sich Martha Scott schuldig, Dunn und seine Eltern belästigt zu haben, und sie erhält eine neunmonatige Gefängnisstrafe sowie eine fünfjährige einstweilige Verfügung. Es ist unklar, ob dies auch im wirklichen Leben passiert ist, aber Gadd sagte der "Times", dass die Situation vorbei ist. "Es ist geklärt. Ich hatte gemischte Gefühle dabei. Ich wollte niemanden ins Gefängnis stecken, dem es psychisch so schlecht geht", sagte er. Hier klingt es eher nicht so, als ob seine Stalkerin im Gefängnis gelandet wäre.
Auch wenn Richard Gadd mittlerweile sein traumatisches Erlebnis so gut überwunden hat, dass er darüber sprechen und sogar eine eigene Netflix-Serie auf die Beine stellen kann, hat das Stalking auch bei ihm Narben hinterlassen: "Ich bin jetzt viel vorsichtiger im Umgang mit Menschen. Ich brauche sehr lange, um ihnen zu vertrauen", sagt er gegenüber der "Times".
Wer ist die echte Martha?
Der echte Name der Stalkerin wurde für die Serie geändert. Die Identität der echten Stalkerin ist nicht bekannt. Das liegt auch daran, dass Richard Gadd ihre Identität nie preisgegeben hat.
"Wir haben uns so viel Mühe gegeben, sie so zu verkleiden, dass ich nicht glaube, dass sie sich selbst wiedererkennen würde", sagt er zu "GQ". "Was wir uns geliehen haben, ist eine emotionale Wahrheit, kein faktengetreues Profil von jemandem."
Gegenüber "The Guardian" meinte der Showrunner auch, dass er seine Stalkerin nicht als "eine schreckliche Person" ansehe.