Oscars 2024: Die besten Momente der Preisverleihung
Von Manuel Simbürger
So lange hat man drauf gewartet, so schnell ist's wieder vorbei: Die 96. Oscars sind in der Nacht vom 10. auf den 11. März im wahrsten Wortsinne im legendären Dolby Theatre in Los Angeles über die Bühne gegangen. Die Haltung, die man der diesjährigen Preisverleihung zuvor entgegenbrachte, war beinahe eine schizophrene:
Überraschungen, was die Sieger:innen anbelangt, erwartete man keine, ein zu klares Zeichen setzte die vorangegangene Award-Season: "Oppenheimer" war Everybody's Darling, dem eventuell nur noch "Poor Things" gefährlich werden könnte, aber auch daran glaubte niemand ernsthaft. Fadesse und Vorhersehbarkeit schwebten also wie ein stumpfes Damoklesschwert über der einst so beliebten "Oscar-Nacht".
Andererseits konnte keine:r so recht einordnen, wie die Gala an sich ausfallen würde. 2022 lieferte Will Smith mit seiner Watschen für Chris Rock einen der größten Oscar-Skandale aller Zeiten, weshalb man im Jahr darauf auf Risikofreiheit und übertriebenes "Alle haben sich lieb"-Gehabe setzte. Das schlug sich auch bei den US-amerikanischen TV-Quoten nieder, die immer mehr in den Keller rasselten. Der israelisch-palästinensischer Konflikt warf zudem in Form von Demonstrationen vor dem Dolby Theatre lange Schatten auf die Preisverleihung, der Vorjahres-Doppelstreik Hollywoods sowieso.
Was also würden sich die Oscars-Produzenten für 2024 einfallen lassen, um Shitstorms, aber auch Einschlaf-Orgien beim Publikum zu vermeiden?
Und tatsächlich, vielleicht die allergrößte Überraschung des Abends: Die Oscarverleihung schaffte heuer den Spagat zwischen endorphingeschwängerter Partylaune und Klasse, zwischen Vergangenheits-Hommage und kessem Blick in die Zukunft, zwischen trendigem Crowdpleaser und gefeierter Tradition.
Die diesjährigen Oscars standen ganz im Zeichen des Hedonismus, sehr vielen Emotionen, genauso vielen Standing Ovations und auch ein wenig der Freude an der Provokation, selbst wenn die Politik im Großen und Ganzen eher im Hintergrund blieb. Die Gala fokussierte sich einmal mehr darauf, was sie am besten kann: Hollywood – und somit sich selbst – zu feiern.
So waren die Überraschungen und Highlights weniger bei den Gewinner:innen (bis auf sehr wenige Ausnahmen gewannen durch die Bank alle Favorit:innen), sondern eher bei den Laudationen und Mini-Sketches zu finden:
Arnold Schwarzenegger und Danny DeVito erfreuten mit einer "Twins"-Reunion, John Cena kam nackig auf die Bühne, das Bedanken beim Publizisten wurde zum Running Gag, kollektives Tequila-Saufen gab's auch und Ryan Gosling brachte mit seiner Live-Performance von "I'm Just Ken" die Hütte zum Beben. All das war witziger und unterhaltsamer als die Gags von Gastgeber Jimmy Kimmel.
Wie das Kino auch schlugen die Oscars 2024 aber alle Tasten der Emotionsklaviatur an: Es wurde viel gelacht und gewitzelt, aber auch viel geweint – vor allem schon im Publikum, bevor man überhaupt auf die Bühne gerufen wurde (oder eben auch nicht). Das war einer alten Oscar-Tradition zu verdanken, auf die sich die Produzent:innen wieder besannen: In den Schauspieler:innen-Kategorien hielten vergangene Oscar-Gewinner:innen kleine Dankesreden an jede:n einzelne:n Nominierte:n, was natürlich große Gefühle auslöste.
Sieger des Abends war eindeutig "Oppenheimer", der bei 13 Nominierungen 7 Preise abräumen konnte, darunter "Bester Film", "Beste Regie", "Bester Hauptdarsteller" und "Bester Nebendarsteller". Auch "Poor Things" schlug sich mit 4 Preisen wacker. Alle Gewinner:innen im Überblick findet ihr hier.
Die besten TV-Momente der 96. Oscars-Verleihung 2024:
Jimmy Kimmels Eröffnunsgrede
Obwohl Kimmel zeitgleich im Netz stark für seine Performance kritisiert wurde, war es nicht der schlechteste Eröffnungs-Monolog des bereits vierfachen Oscar-Moderators. Der Talkhow-Host fing gemächlich an, ließ aber peu à peu seinem inneren Teufelchen immer mehr freien Lauf. Er spielte gleich zweimal auf Robert Downey Jr.'s problematische Drogenvergangenheit an, was dieser gar nicht so begeistert aufnahm. Auch Sandra Hüller (oder: "Hooler"?!) musste sich ein Lächeln abzwingen, als Kimmel meinte, Filme über Mord und Ausschwitz werden in Deutschland als "RomCom" bezeichnet.
Mit Ryan Gosling flirtete er, über Fran Dreschers Stimme machte er sich lustig. Nicht alle Gags saßen, aber gefühlt zumindest die Hälfte, was nicht allzu schlecht ist. Dafür holte er alle Personen "aus dem Hintergrund" (LKW-Fahrer:innen, Techniker:innen, etc.) auf die Bühne, die unter dem Streik besonders litten, aber stets vergessen wurden. Dafür gab's begeisterte Standing Ovations – die ersten des Abends. Es sollten noch viele folgen.
Da'Vine Joy Randolph und Robert Downey Jr. gewinnen "Beste:r Nebendarsteller:in"
Die beste und emotionalste Dankesrede des Abends war gleich die allererste, nämlich jene von Da'Vine Joy Randolph, die als beste Nebendarstellerin für "The Holdovers" ausgezeichnet wurde. Sie heulte bereits im Publikum, auf der Bühne flossen dann Tränenbäche. "Für so lange Zeit wollte ich immer anders sein. Aber jetzt realisiere ich, dass ich einfach ich sein muss." Da musste auch Jodie Foster schluchzen. Randolphs Dank an ihre Publizistin wurde zum Running Gag des Abends.
Gewohnt selbstsicher und -inszenatorisch, trotzdem aber nicht unsympathisch, nahm Robert Downey Jr. seinen Preis als "bester Nebendarsteller" ("Oppenheimer") entgegen. Er begann seine Rede mit den Worten: "Ich danke meiner schrecklichen Kindheit und der Academy – in dieser Reihenfolge." Auch wenn er in "Oppenheimer" gegen dieses Image anspielt, erinnerte Downey Jr. auf der Bühne doch stark an Iron Man.
Kurios-witzig: Christoph Waltz hielt die Laudatio auf Ryan Gosling. Sind die beiden etwa befreundet? Ist jedenfalls der most random Moment des Abends.
Star des Abends: Hund Messi
Um den Titel "Star des Abends" sowie "Gewinner der Herzen" mussten sich zwei überaus süße Individuen streiten: Ryan Gosling – und Messi, der Hund aus "The Zone of Interest". Sogar Kimmel erwähnte ihn in seinem Monolog ("Ich habe keinen französischen Schauspieler mehr gesehen, der Kotze auf diese Art isst, seit Gerard Depardieu") und der tierische Schauspieler hatte sogar seinen eigenen Sitz im Publikum. Das Internet verliebt sich sofort in Messi.
Die Oscars blieben also tierisch: Vergangenes Jahr war's der Esel und der (Fake-)Bär, diesmal ist's ein Hund, der allen die Show stahl (außer Ryan Gosling).
"American Fiction" gewinnt "Bestes adaptiertes Drehbuch"
Die wirklich einzige große Überraschung des Abends: "American Fiction" entschied die Kategorie "Bestes adaptiertes Drehbuch" für sich und verwies "Oppenheimer" auf die Plätze. Drehbuchautor Cord Jefferson hat damit sichtlich auch nicht gerechnet.
Robert De Niro möchte nicht hier sein
Bei der Laudatio auf Robert De Niro wirkte dieser ... sagen wir mal, sehr teilnahmslos und vor allem gelangweilt. Man hat das Gefühl, dass der 80-Jährige (der, wie Jodie Foster, vor 48 Jahren für "Taxi Driver" als bester Hauptdarsteller nominiert wurde) überall anders lieber gewesen wäre bei den Oscars. Das sollte sich auch den gesamten Abend nicht ändern.
Ryan Goslings "I'm just Ken" ist das Highlight des Abends
Es war der Moment, auf den der gesamte Saal – und das Milliardenpublikum zuhause – gewartet hat: Ryan Gosling performt seinen Hit "I'm just Ken" aus "Barbie" live auf der Oscar-Bühne. Oder besser: Im gesamten Dolby Theatre, denn Gosling, eingehüllt in einen pink-glitzernen Anzug samt Handschuhen, ist die Bühne zu wenig, um die Message, dass wir alle am Ende bloß Kens sind, zu verbreiten:
Er lud Margot Robbie, Greta Gerwig, Emma Stone und Co. zum Mitsingen ein, wurde von den anderen Ken-Darstellern des Films tatkräftig unterstützt und brachte somit den gesamten Saal (minus De Niro, höchstwahrscheinlich) zum Feiern und Mittanzen. Dass am Ende Kult-Gitarrist Slash in den knallpinken Satire-Song einstieg, ließ beinahe die Grenzen zwischen Traum und Realität verschwimmen. Diese Performance hat jetzt schon Oscar-Geschichte geschrieben. Gosling brought the house down and stole the night.
Tosender Applaus und Standing Ovations (einmal mehr!) sind da nur die logische Folge. Gosling schaffte es, die oft so steife Preiserleihung aus ihrer Reserve zu locken und für ausgleichende Gerechtigkeit für "Barbie" zu sorgen. Denn der Film musste sich mit einem Oscars (bei 8 Nominierungen( zufrieden geben – und zwar für "Best Song". Da hat aber nicht Gosling, sondern Billie Eilish mit "What I was made for" gewonnen. Deren Performance verursachte übrigens genauso Gänsehaut, wenn auch eher auf tränendrücke Art und Weise. Ein weiterer Glanzmoment. Eine weitere Standing Ovation.
Hollywood liebt Tequila
Kimmels Sidekick Guillermo Rodriguez stieß mit den Stars auf sie selbst mit einem großen Stamperl Tequila an. Das erinnert an Ellen DeGeneres' Pizza-Essen aus dem Jahr 2014. Hollyood-Stars beim Saufen zuzusehen erinnert daran, dass diese auch nur Menschen sind, die sich auf einen weiteren Montag vorbereiten. Das reden wir uns zumindest ein.
Irritierend war nur, dass Rodriguez Charlize Theron als seine "Ehefrau" bezeichnete. Das fand auch Theron selbst.
John Cena als neuer Oscar-Flitzer
Weil sich heuer der Oscar-Flitzer-Skandal zum 50. Mal jährt, wollte Kimmel diesen Gag nachspielen – gemeinsam mit John Cena, der sich aber "zierte", weil: "Der männliche Körper ist kein Joke!" Dann kam er aber doch nackig auf die Bühne, seinen kleinen Wrestler nur mit einem Kuvert bedeckt. Ach ja, Birkenstock-Sandalen hatte er auch an. Das alles ist so plump, dass es schon wieder zum Schreien komisch ist.
Schwarzenegger & DeVito feiern "Twins"-Reunion
Arnold Schwarzenegger und Danny DeVito präsentierten gemeinsam die Kategorien "Beste visuelle Effekte" und "Bester Schnitt" und feierten damit eine "Twins"-Reunion, die Chemie zwischen ihnen ist auch immer noch vorhanden. Dass sie beide bereits versucht haben, Batman um die Ecke zu bringen, müssen sie natürlich auch betonen – was Michael Keaton mit einem gaaaanz finsteren Blick aus dem Publikum erwiderte. Ja, sehr charmant, dieser Moment. Wir wollen "Twins 2"!
"Godzilla Minus One" gewinnt "Beste Visuelle Effekte"
Apropos "Beste Visuelle Effekte": Hier entschied "Godzilla Minus One" den Sieg für sich, was zu Jubelschreien im Publikum führte. Es ist der erste japanische Film, der in dieser Kategorie gewinnt. Bedeutet das etwa, dass die Oscars ab nun globaler werden?
Politische Reden – und erster Oscar für die Ukraine
Den allerersten Oscar überhaupt für die Ukraine holte der Dokumentarfilm "20 Tage in Mariupol". Es geht um die russische Belagerung der ukrainischen Hafenstadt Mariupol. Regisseur Mstyslav Chernov zeigte sich erfreut und traurig zugleich. "Ich wünschte, ich hätte diesen Film nie machen müssen." Im Saal hätte man während seiner Rede eine Feder auf den Boden fallen hören. Er erinnerte daran, dass Filmemacher:innen die Macht haben, Erinnerungen zu formen – und Erinnerungen würden Geschichte formen.
"Ich kann die Vergangenheit nicht ändern. Aber wir alle zusammen... unter euch einige der talentiertesten Menschen der Welt, wir können dafür sorgen, dass die Geschichte richtig aufgezeichnet wird und dass die Wahrheit die Oberhand gewinnt und dass die Menschen von Mariupol und diejenigen, die ihr Leben geopfert haben, niemals vergessen werden." Der Applaus war trotzdem etwas verhalten. Wollte man nicht zu sehr politische Haltung zeigen?
"The Zone of Interest"-Regisseur Jonathan Glazer wurde dennoch politisch: Als er den Preis für den besten internationalen Film entgegennahm, machte er auf die pro-palästinensischen Demos vor dem Dolby Theatre aufmerksam. "Unser Film zeigt, wohin die Entmenschlichung in ihrer schlimmsten Form führt, sie hat unsere gesamte Vergangenheit und Gegenwart geprägt." Nun stünden sie hier und wehrten sich dagegen, dass "ihr Jüdischsein und der Holocaust" ausgenutzt würden für eine Besatzung, die für so viele unschuldige Menschen zu Konflikt geführt habe. "Ob es die Opfer des 7. Oktober in Israel oder der andauernden Attacke auf Gaza sind, alle sind Opfer dieser Entmenschlichung."
Und "Oppenheimer"-Star Cillian Murphy widmete seinen Preis ("Bester Hauptdarsteller") den "Friedensstiftern weltweit", denn immerhin leben wir in einer Welt, die J. Robert Oppenheimer entscheidend mitgeprägt hat.
Während des Memorial-Segemnts wurde auch ein Video des in russischer Haft gestorbenen Regimekritikers Alexej Nawalny eingeblendet. Der Film "Nawalny" hatte 2023 den Oscar als bester Dokumentarfilm gewonnen.
Emma Stone gewinnt "Beste Hauptdarstellein"
Den bereits zweiten Oscar (nach "La La Land") konnte Emma Stone dieses Jahr für "Poor Things" entgegennehmen, erneut als beste Hauptdarstellerin. Gerechnet hat sie sichtlich damit nicht. Auf die Bühne stellte sie gleich mal klar, dass ihr Kleid kaputt ist. Das sei wahrscheinlich passiert, "als wir alle 'Im just Ken' sangen." Dann konnte auch sie ihre Tränen nicht zurückhalten.
"Oppenheimer" gewinnt "Beste Regie" und "Bester Film"
Die Königsdisziplinen "Beste Regie" und "Bester Film" gingen an Christopher Nolan bzw. "Oppenheimer" – wie erwartet. Steven Spielberg überreichte Nolan den Regie-Preis, die beiden umarmten sich. Wurden wir hier gerade Zeug:innen einer Staffelübergabe? Ansonsten ist Nolan kein Typ, der allzu große Gefühle zeigt.
Al Pacino verkündete, dass "Oppenheimer" zum besten Film des Jahres gewählt wurde. Leider eher chaotisch und emotionslos, weshalb der Abend etwas antiklimaktisch zu Ende ging.
Honorable Mentions:
- Martin Scorsese (sein Film "Killers of The Flower Moon" ging komplett leer aus) gönnte sich ein Nickerchen.
- Chris Hemsworth und Anya Taylor-Joy präsentierten zusammen die Animationsfilm-Kategorien. Nie hat man zwei so schöne Menschen gemeinsam auf einer Bühne gesehen.
- Emma Stone war von Jimmy Kimmels Witzen weniger begeistert.
- Ryan Gosling und Emily Blunt führen die "Barbenheimer"-Fehde auf der Bühne weiter fort, als sie die Stuntleute Hollywoods würdigen – und promoten dabei geschickt ihren nächsten gemeinsamen Film "The Fall Guy", ohne diesen auch nur ein einziges Mal zu erwähnen.
- Octavia Spencer und Melissa McCarthy (Award für das hässlichste Outfit geht an...) sollten zusammen eine Komödie drehen. Ach so, das haben sie ja schon. Auf der Oscarbühne waren sie witziger als vor der Netflix-Kamera.
- Messi, der Hund. Weil ... einfach weil.