Warum ist es Netflix egal, ob seine Original-Filme schlecht sind?
Von Franco Schedl
Wer von uns hat nicht schon die Erfahrung gemacht, dass die Kennzeichnung eines Films mit dem Label "Netflix Original" alles andere als eine Empfehlung ist, weil sich dahinter ein billig und schlecht inszeniertes Erzeugnis mit einem komplett danebengegangenen Drehbuch verbirgt?
Das ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn der Streaming-Gigant eine Firmen-Politik befolgt, die besagt: Die Menge macht's. Hier kommt eindeutig Quantität vor Qualität.
Film-Offensive
Netflix hat ja heuer eine große Film-Offensive gestartet und veröffentlicht pro Woche einen neuen Film aus Eigen-Produktion. Ein solch riesiger Film-Ausstoß muss zwangsläufig viel Enttäuschendes und weniger gut Gelungenes mit sich bringen, doch Netflix hat keinen Grund, sich wegen solcher künstlerischer Fehlschläge Sorgen zu machen.
Selbst missglückte Filme werden eifrig konsumiert, da sie oft in der Top-Ten-Liste aufscheinen – man denke nur an Produktionen wie die "Kissing Booth"-Reihe. Netflix kann es sich also unbesorgt leisten, viel Schrott zu produzieren, weil die Filme dennoch gute Wertungen erzielen.
Algorithmus-Taktik
Grundvoraussetzung für diese Taktik ist ein passender Algorithmus, denn Netflix reiht seine eigenen Produktionen vor. Außerdem muss man maximal zwei Minuten eines Filmes angeschaut haben, damit er das Etikett "gesehen" verliehen bekommt, wie aus einem "Screenrant"-Artikel hervorgeht.
Es macht also für die Auswertung durch den Algorithmus keinen Unterschied, ob sich jemand den ganzen Film angesehen hat oder gleich nach dem Vorspann wieder ausgestiegen ist. Früher war in einem solchen Fall zumindest eine 70-prozentige Sichtung erforderlich, bevor ein Film als "gesehen" eingestuft werden konnte.
So schaffen es auch die schlechtesten Filme immer wieder, unter den täglich rotierenden Top-Ten aufzuscheinen und verlocken die UserInnen zum Klicken. Immerhin werden wir auch durch große Enttäuschungen kaum dazu bewogen, das Netflix-Abo zu kündigen, weil dann bereits eine weitere Film-Empfehlung lockt und wir unser Glück gleich wieder versuchen wollen.
Auf Stars ist kein Verlass
Auch große Namen bieten keine Garantie für einen Film-Genuss, wie etwa Melissa McCarthy und Octavia Spencer vor ein paar Monaten durch ihren Auftritt in der komplett misslungenen Superheldinnen-Komödie "Thunder Force" bewiesen haben.
Und ob das derzeitige Renommier-Projekt "Red Notice" mit Gal Gadot, Johnson und Reynolds wirklich etwas taugt, wird man erst im November wissen. Der Trailer dazu war ja nicht gerade sehr überwältigend.
Dass auch ambitionierte Vorzeige-Filme einmal gründlich daneben gehen können, hat erst vor ein paar Monaten "Hillbilly Elegie" gezeigt. Dieses Werk wurde zunächst als große Oscar-Hoffnung gehandelt, ist dann aber trotz zwei Nominierungen komplett untergegangen und erntete fast nur negative Kritiken.
Positive Seite
Aber man sollte das alles nicht zu negativ sehen, denn solch ein gewaltiger Film-Output hat auch seine gute Seite: Unter der Masse finden sich immer wieder echte Meisterwerke und Netflix geht oft Risiken ein, indem es RegisseurInnen zum Experimentieren ermutigt oder ihnen Möglichkeiten für Projekte bietet, die bei großen Filmstudios keine Chancen hatten. Beste Beispiele dafür sind etwa Scorseses Mafia-Epos "The Irishman" oder Alfonso Cuaróns Oscar-Erfolg "Roma".
Bleiben wir also optimistisch und behalten unsere Entdecker-Freude bei. Und nicht vergessen: solange wir auch beim schlechtesten Film mindestens zwei Minuten durchhalten, erweisen wir Netflix einen Gefallen.