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"Monster: Jeffrey Dahmer Story": "Das ist nur Gier"

In die Abgründe der Psyche des Menschen einzutauchen war schon immer sehr beliebt. Mit der Spezialisierung auf wahre Verbrechen hat sich ein völlig neues Genre etabliert, das in Windeseile eine echte Garantie für Erfolg wurde – ein wahrer Hype um True-Crime ist entstanden. Aus diesem Grund sprießen True-Crime-Formate wie Podcasts, Serien und Filme nur so aus dem Boden. Egal, ob es sich um SerienmörderInnen, Sekten oder tragische Einzelschicksale handelt.

So verwundert es nicht, dass sich der Streaming-Anbieter Netflix auch den schrecklichsten Verbrechen des 20. und 21. Jahrhunderts widmet. Neben Serienmördern wie Ted Bundy, John Wayne Gacy und Richard Ramirez, gehört dazu auch Jeffrey Dahmer. Dazu ist am 21. September eine Serie mit Evan Peters in der Hauptrolle auf Netflix erschienen: "Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer". 

Nun wurde Kritik an "Monster" laut, die aus den Reihen der Opfer kam und damit eine besondere Tragweite haben sollte. 

Opfer werden durch "Monster" retraumatisiert 

Jeffrey Dahmer hat insgesamt 17 Männer umgebracht. Eines seiner Opfer war Errol Lindsey, den er 1991 in seinem Apartment in Milwaukee ermordete. Dessen Schwester Isbell sagte beim Gerichtsprozess gegen Dahmer aus.

Dabei erlitt sie einen psychischen Zusammenbruch und ging verbal auf den Mörder ihres jüngeren Bruders los. Rita Isbell meldete sich nun in einem "Insider"-Essay zu Wort und meinte, dass die Netflix-Serie "all die Emotionen zurückgebracht hat, die ich damals gefühlt habe.": 

„Als ich einen Teil der Show sah, störte es mich, besonders als ich mich selbst sah – als ich sah, wie mein Name auf dem Bildschirm erschien und diese Dame wörtlich genau das sagte, was ich sagte. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich gedacht, ich wäre es. Ihre Haare waren wie meine, sie trug die gleichen Kleider. Deshalb fühlte es sich an, als würde ich alles noch einmal durchleben."

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"Das ist nur Gier"

Abgesehen davon, dass die True-Crime-Serie die Betroffenen retraumatisiert, wurde sie ohne Rücksicht auf die Opfer produziert und diese wurden dafür noch nicht mal entschädigt, wie Lindsey schreibt: 

„Ich denke, Netflix hätte fragen sollen, ob es uns etwas ausmacht oder wie wir uns dabei gefühlt haben, es zu machen. Sie haben mich nichts gefragt. Sie haben es einfach getan“, fuhr sie fort. „Ich könnte es sogar verstehen, wenn sie einen Teil des Geldes den Kindern der Opfer geben würden. … Die Opfer haben Kinder und Enkelkinder. Wenn die Show ihnen in irgendeiner Weise nützte, würde es sich nicht so hart und nachlässig anfühlen. Es ist traurig, dass sie mit dieser Tragödie nur Geld verdienen. Das ist nur Gier.“

Eric Thulhu, der Cousin von Isbell Lindsey meldete sich bereits vor ein paar Tagen auf Twitter zu Wort und wies darauf hin, wie retraumatisierend die Verfilmung der eigenen traumatischen Vergangenheit für die Opfer und Angehörigen sein könne. 

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Keine Rücksicht auf Opfer? 

Eric Perrys Vorwurf an die Unterhaltungsindustrie: Es sei schon schlimm, wenn Opfer und Angehörige erlebte Verbrechen in Filmen und Serien sehen würden – das Schlimmste sei aber, dass man die Betroffenen davor nicht einmal kontaktieren würde.

Netflix hat sich zu dem Vorwurf bisher nicht geäußert, auch Vorgänge der Produktion anderer True-Crime-Formate sind nicht bekannt.

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Kritik an True-Crime-Formaten

Warum werden True-Crime-Formate überhaupt konsumiert? Was unterscheidet True Crime von anderen Genres? Laut Johanna Schäwel von der Universität Hohenheim, die zu True-Crime-Formaten forscht, gibt es sechs Gründe, warum das Genre so beliebt ist, wie "Web.de" berichtet.

"Einer dieser Gründe ist, dass wir etwas über ein reales Geschehen erfahren. Es reizt uns einfach, am Leben anderer Menschen teilzuhaben. Das Gefühl, dass das Gezeigte wirklich passiert ist, ist sehr reizvoll für uns. Der zweite Grund ist, dass sehr viele Emotionen ausgelöst werden. Das Spektrum der Gefühle ist riesengroß, von Angst und Verletzlichkeit bis hin zu Neugierde und Vergnügen. [...] Und der sechste und letzte Grund ist ganz klar die Unterhaltung. Wir wollen einfach unterhalten werden, und dafür eignen sich diese Formate sehr gut."

Natürlich sind das nicht die einzigen Gründe, warum das Genre sich so großer Beliebtheit erfreut: Ähnlich wie bei Krimis wird man als ZuschauerIn selbst zum/r FalllöserIn. Außerdem lernt man auch etwas und informiert sich. Ein weiterer wichtiger Aspekt: "Selbst wenn man etwas Grausames sieht, kann man eine Art Genuss dabei empfinden, weil man auf Meta-Ebene beurteilen kann, dass man selbst so etwas nicht tun würde."  

Solche Produktionen haben also vor allem moralisch gesehen eine Schattenseite, die zum Nachdenken anregt, inwiefern das Leid der Anderen unterhalten kann. Grenzen muss man als Publikum hier wohl selbst ziehen.

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Doch nicht nur die KonsumentInnen, sondern auch die ProduzentInnen scheinen sich nicht dafür zu interessieren, was True-Crime mit den Opfern bzw. den Hinterbliebenen der Opfer anrichtet, wie die Netflix-Serie "Dahmer" beweist. Und das ist der Punkt, an dem es besonders kritisch wird. Denn dann kann man nicht mehr rechtfertigen, dass es dabei um Aufklärung oder ähnliches geht, sondern es handelt sich hierbei schlichtweg um skrupellose Unterhaltung (für den Unterhaltungs-Willen) ohne Rücksicht auf Retraumatisierungen der Beteiligten. 

Ein weiterer Punkt, der oft kritisiert wird: True-Crime-Produktionen rücken den Täter in den Fokus der Erzählung und verehrt diesen dadurch auf eine gewisse Weise. Die einzelnen Opfer spielen dabei aber eine Nebenrolle, da sie nur eine/r von vielen sind und man nicht Näheres über sie erfährt. Das mag nicht auf alle Filme/ Serien zutreffen, doch "Monster" stellt Jeffrey Dahmer eindeutig ins Rampenlicht. Über seine Opfer erfährt man oftmals nur den Vornamen und über ihn wird eine ganze Serie produziert. Ist das fair? 

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