Wie stark "The Irregulars" unser Sherlock-Bild verändern
Von Franco Schedl
"Die Bande aus der Baker Street" ermittelt derzeit auf Netflix im Auftrag eines ziemlich unsympathischen Dr. Watson.
Sherlock Holmes selbst wird erst nach einiger Verzögerung als Figur eingeführt und bietet durch sein Auftreten etliche Überraschungen, da er so gar nicht dem Bild des brillanten Meister-Detektivs gerecht wird. Mit den Darstellungen durch Benedict Cumberbatch, Robert Downey Jr. oder Henry Cavill ("Enola Holmes") hat dieser Sherlock von Henry Lloyd-Hughes wenig zu tun.
Wir fassen in vier Punkten zusammen, worin die wichtigsten Abweichungen von jener klassischen Figur, die Sir Arthur Conan Doyle erfunden hat, bestehen.
1. Sherlock Holmes wird mit dem Übernatürlichen konfrontiert
Conan Doyle selbst hat seinen Helden zwar auch manchmal mit unheimlichen Fällen versorgt – man denke an den "Hund von Baskerville" oder einen Vampir in Sussex. Doch alle scheinbar übernatürlichen Vorfälle konnten in den Original-Geschichten dank Holmes auf geschickte Täuschungen und menschliche Machenschaften zurückgeführt werden.
In "The Irregulars" sind aber tatsächlich dunkle Mächte am Werk, die von London immer mehr Besitz ergreifen. Conan Doyle selbst wäre mit dieser Story aber gar nicht so unzufrieden gewesen, da er selber zum Spiritismus neigte, Bücher und Essays mit Titeln wie "The History of Spiritualism" und "The Coming of the Fairies" verfasste und die letzten Jahre seines Lebens eifrig zu beweisen versuchte, dass eine Kommunikation mit den Toten möglich ist.
2. Holmes ist zu echter Liebe fähig
Der ursprüngliche Sherlock Holmes war ein überzeugter Verächter romantischer Gefühle und tat Verliebtheit als eine Art von Schwäche oder gar Geisteskrankheit ab. In der Geschichte "A Scandal in Bohemia" schreibt Doyle zum Beispiel: "Alle Emotionen – und besonders jene spezielle – waren diesem kalten, präzisen, aber dennoch erstaunlich ausgeglichenen Geist ein echter Gräuel. Er war eine perfekte Verstandes- und Beobachtungs-Maschine, doch als Liebender würde er sich selbst in eine falsche Position gebracht haben."
Ganz anders bei den "Irregulars": Dort erfahren wird, dass Holmes einer tiefen, dauerhaften Liebe fähig ist. Um seiner geliebten Alice gerecht zu werden, wollte er sogar auf die Ausübung seines Berufes verzichten und London verlassen. Doch selbstverständlich hatte Sherlock eine gute Wahl getroffen, denn Alice war keine gewöhnliche Frau, sondern verfügte über besondere Kräfte und erschien als gleichwertige Partnerin des Meisterdetektivs.
3. Holmes ist ein gebrochener Mann
Seine Liebe hat diesen Sherlock vollkommen zerrüttet, denn er konnte nicht über den Verlust von Alice hinwegkommen. Über 15 Jahre hinweg hat er sich fast permanent in einem Drogen-Rausch befunden und oft die Nächte an dem Grab der Geliebten verbracht. Er wurde durch seine Trauer zu einem Schatten seiner selbst. Noch dazu konnte er Alices Wunsch nicht erfüllen und sich nicht um die Erziehung der Töchter kümmern.
4. Holmes erkennt, dass er keine Hauptrolle mehr spielt
Der echte Holmes war süchtig nach Aufregung, geistiger Herausforderung und immer weiteren Fällen. Dieser neue Sherlock muss sich eingestehen, dass ihm das Selbstvertrauen fehlt und er sein Gegenüber nicht mehr durch rasche Kombinationsgabe verblüffen kann. Dank Rückblenden erfahren wir zumindest, wie geistreich auch dieser Sherlock einst gewesen ist. Doch dann kam Alices Tod und alles wurde anders.
Immerhin besteht ein Hoffnungsschimmer, denn alle, die sich die erste Staffel von "Die Bande aus der Baker Street" fertig angesehen haben, wissen, dass auch dieser Sherlock seine Trauer, Selbstsucht und andere Schwächen überwinden kann.
"The Irregulars" aka. "Die Bande aus der Baker Street" ist auf Netflix verfügbar.