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Geyrhalter: "Am Ende muss ein Film rauskommen, der nicht langweilig ist"

Ein Dokumentarfilm, der sich mit dem Transport von Erde beschäftigt, klingt auf den ersten Blick vielleicht nicht ganz so spannend, aber der österreichische Dokumentarfilmemacher Nikolaus Geyrhalter macht daraus ein visuelles Spektakel. In "Erde" werden Abläufe einer kalifornischen Großbaustelle bis hin zu den Bohrungen des Brennerbasistunnels in noch nie gesehene Bilder gefasst. Geyrhalter bleibt dabei seinem nüchternen Stil treu und beweist wieder einmal, warum er zu den besten Filmemachern des Landes gehört. Wir haben mit ihm über das Pflücken von Bildern und die Grenze zwischen Dokumentar- und Spielfilm gesprochen.

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Wie kommt man auf die Idee, einen Film über das Thema "Erde" zu machen?

Wir sind an einen Zeitpunkt angelangt, in dem der Mensch mehr Erdoberfläche bewegt als die Natur. Ich wollte mir das einfach anschauen, es ins Kino bringen und dem Kinopublikum zeigen, wie es passiert, wo es passiert und warum es passiert. Ich selber kann auch Bagger fahren und diese Maschinen bedienen. Wir bewegen deshalb so viel Erdoberfläche, weil wir es ohne Aufwand können. Wir machen es nicht mit Hacke und Schaufel und sind am Ende des Tages müde, sondern wir sitzen in einer Kabine und bewegen zwei Joysticks.

Hast Du jemals Angst gehabt, dass das Thema zu schwach für einen abendfüllenden Film sein könnte?

Ich verlasse mich immer sehr auf die Bilder. In meinen Filmen funktioniert die Erzählung ganz stark über die Bildebene und die Räume, die im Kino geschaffen werden, dafür braucht es noch nicht mal eine Geschichte, weil die Erzählung auf einer optischen und emotionalen Ebene funktioniert.  Die Sorge, dass das Thema nicht stark genug ist, habe ich deswegen nicht gehabt, weil das Thema ja eigentlich verschwindet. Das Thema ist sozusagen eigentlich eine Vorgabe für viele Episoden, die alle für sich wieder ihre Subthemen haben.

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Wie gehst Du an Deine Bilder und Drehorte heran. Besuchst Du die Motive vor dem Dreh?

Nein, ich bin normalerweise beim Drehen das erste Mal vor Ort. Die einzige Ausnahme waren die Mamorsteinbrüche in Qarabag, dort bin ich einmal zum Recherchieren hingefahren und habe auch schon damals die Kamera mitgehabt, aber im Grunde genommen weiß man ja, was einen erwartet, wenn man sich für die Orte interessiert. Inzwischen kann man über das Internet sowieso sofort herausfinden, wie es an den verschiedenen Orten ausschaut. Es sind ja auch alles Orte, wo die Bilder, sage ich einmal, auf der Hand liegen. Die wachsen dort und man muss sie nur pflücken. Bilder zu machen ist nicht das große Problem, sondern den Zugang zu den Orten zu kriegen ist schwierig.

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Deine Filme haben zwar keine Drehbücher und Schauspieler,  sind aber dennoch spannender als die meisten Spielfilme. Schaust Du viele Spielfilme?

Wenig. Mein letzter Film „Homo Sapiens“ ist für mich fast ein bisschen ein Spielfilm, da haben wir mit den Orten auch anders gearbeitet als bei den Dokumentarfilmen. Wir wollten eine Vision erzeugen und Geschichten triggern, die man zwar nicht sieht, aber die man spüren kann. Ich finde es einfach spannender mit vorgegebenen Orten, Geschichten und Personen zu arbeiten und natürlich konstruiert man während dem Dreh Geschichten. Jeder Dokumentarfilm ist auch ein bisschen fiktional aber nicht in dem Sinn, dass Geschichten erfunden werden, sondern dass man dieselben Methoden anwenden muss wie beim Spielfilm. Am Ende muss ein Film rauskommen, der nicht langweilig ist, der verschiedene Erzählstränge verbindet und wo verschiedene Elemente ineinander greifen.

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Viele Dokumentarfilme nutzen musikalische Untermalungen und versuchen den Zuseher vor allem auf einer emotionalen Ebene zu berühren. Deine Filme sind sehr nüchtern und nehmen auch eine gewisse Distanz zum Gezeigten ein. Hast Du bedenken, mit Deinem Stil weniger Zuseher zu erreichen?

Es gibt diese Art von Dokumentarfilmen, die ganz klar zwischen Gut und Böse unterscheiden und meistens sind sich die Filmemacher mit dem Publikum einig, dass die anderen die Bösen sind. Das ist mir einfach zu billig. Wir sind alle Konsumenten und Teil der Zivilisation, die wir ständig kritisieren. Es passieren ja viele Dinge, weil wir sie indirekt vorgeben. Diese Filme halten auch nur ganz kurz. Es gibt eine große Empörung und gleichzeitig ist es immer auch ein Feelgood-Faktor, weil man sich mit dem Regisseur einig ist, dass da jemand anderer was falsch macht. Dann ist das aber genauso schnell wieder vergessen.  Ich glaube, dass Bilder und das Erleben von Räumen nachhaltiger sind. Vielleicht folgen nicht am nächsten Tag Aktionen, aber ich glaube, dass man so eher zu einer langfristigen Bewusstseinsverschärfung beitragen kann als mit diesen typischen schwarz-weiß konstruierten Filmen.

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Glaubst Du, dass ein Dokumentarfilm auch politisch sein muss?

Ich glaube, dass fast jeder Dokumentarfilm politisch ist. Ich glaub nur, dass politisch nicht so leicht zu definieren ist, im Grunde genommen beschäftigt sich doch jeder Dokumentarfilm auf irgendeine Weise mit dem Menschsein und mit dem, was wir anrichten, zerstören oder wie wir leben - das ist ja alles im weitesten Sinne politisch. Politisch ist, glaube ich, auch einfach genau und lange hinzuschauen und sich mit etwas ausgiebig zu beschäftigen und nicht gleich weiter zu wischen.

In den letzten Jahren spielt Streaming eine immer wichtigere Rolle. Wie bewertest Du die Tatsache, dass Deine vor allem auf der Bildebene funktionierenden Filme in Zukunft vielleicht nur noch auf kleinen Bildschirmen gesehen werden?

Natürlich sind meine Filme für das Kino, es ist ganz klar, dass diese Bilder eine große Leinwand brauchen. Ich glaube schon, dass man die Filme auch wo anders anschauen kann, aber immer mit dem Gedanken „Wir sehen jetzt einen Kinofilm“, das muss man sich einfach mitdenken; genauso wie man sich mitdenkt, dass da ein Kameramann und ein Regisseur  hinter der Kamera stehen. Nicht nur wegen der Bildschirmgröße ist es nicht das gleiche Ergebnis, sondern der Ton ist auch nicht der gleiche und vor allem geht es ja auch darum, dass man im Kino das gleiche Erlebnis mit fremden Leuten teilt. Mit anderen Menschen im Kino zu sitzen und zu wissen, da sind jetzt Leute neben mir, die dasselbe erleben und über die selben Dinge nachdenken, schafft eine Art von Gemeinschaft die man außerhalb des Kinos schwer herstellen kann.