"Game of Thrones": Spannend bis zuletzt und dann ein wenig zu nerdig
Von Erwin Schotzger
Die letzte Schlacht ist geschlagen! Es war ein epischer Showdown wie kaum jemals zuvor bei einer TV-Serie, jedenfalls nicht mit dieser Breitenwirkung. Aber kann der epische Abschluss die wohl größte Fan-Gemeinde befriedigen, die eine TV-Serie je hatte? Wohl kaum. Dieses Ziel wäre ohnedies eine "Mission Impossible", dafür waren die Erwartungen viel zu hoch. Neben den Fans, die ihrer Lieblingsserie bis zur letzten Sekunde bedingungslos die Treue halten, wird es immer auch die Enttäuschten geben.
Die meisten Fans werden wohl irgendwo dazwischenliegen. So geht es auch uns: "Game of Thrones" schafft insgesamt einen würdigen Abschluss mit bittersüßen Emotionen und überraschenden Wendungen bis zuletzt. Aber dennoch bleibt auch der bittere Beigeschmack zurück, dass in der finalen Staffel alles viel zu schnell gegangen ist und mit den üblichen zehn Episoden wesentlich mehr herauszuholen gewesen wäre. Und zum Schluss - aber das sehen wir nicht unbedingt negativ, sondern ganz neutral - wird "Game of Thrones" noch ziemlich nerdig.
Doch bevor wir in die allerletzte Episode eintauchen: SPOILER-ALARM! Wer die finale Episode "Der Eiserne Thron" noch nicht gesehen hat, sei ein letztes Mal gewarnt: The Night Is Dark and Full of Terrors!
Heiligt der Zweck die Mittel?
King's Landing liegt in Schutt und Asche. Fans haben die Bedrohung der menschlichen Existenz durch den Night King (bzw. durch die untoten White Walker – ihren Anführer gibt es im Buch nicht) oft als eine Metapher für den Klimawandel interpretiert. Die passende Metapher für die Feuersbrunst, die Daenerys entfacht, wäre dann wohl der Atomkrieg. Wenn Tyrion und Jon Snow fassungslos durch die zerstörte Stadt gehen, vorbei an den verkohlten Leichen der Mutter und ihrer Tochter (die Arya noch zu retten versucht hat), einander im Tode umarmend, dann sind das sehr starke Bilder. Sie erinnern wohl bewusst an Bilder, die wir mit der unsäglichen Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki verbinden. Sonst werden solche Impressionen eher in postapokalyptischen Science-Fiction-Filmen zitiert.
Die großartige dramaturgische Aufbauarbeit funktioniert also immer noch in "Game of Thrones". Nur nehmen sich die Produzenten David Benioff und D. B. Weiss, die bei der finalen Episode auch selbst Regie führen, in der letzten Staffel nicht mehr ganz so viel Zeit dafür wie wir es gewohnt sind. Das ist natürlich schade, aber (zumindest wirtschaftlich) nachvollziehbar.
Für tragische Abschiedsszenen muss aber dann doch Zeit sein: Darum bekommt Tyrion noch einen Moment mit seinen Geschwistern: In den Katakomben der "Red Keep" findet er die Leichen von Cersei und Jaime, begraben unter Ziegelsteinen. Fast friedlich, im Tode vereint. Es wirkt fast ein wenig befremdlich, dass "Game of Thrones" so bemüht ist, den letzten Blick auf Cersei und Jaime so harmonisch darzustellen. Uns hat es ein wenig an "Der Glöckner von Notre Dame" von 1956 erinnert: Am Schluss werden die Skelette von Quasimodo und Esmeralda eng umschlungen gefunden. Äußerlich war Jaime Lannister zwar kein Quasimodo, aber gewisse Parallelen sind nicht abzustreiten.
Völlig unnötig und übertrieben ist dann aber der Nachruf, den Brienne für Jaime Lannister verfasst. Die Autoren können dem seltsamen Drang nicht widerstehen, die Geschichte von Jaime Lannister doch noch ins positive Licht zu rücken. Damit tun sie aber der Figur der Brienne von Tarth nicht unbedingt einen Gefallen.
Aber reißen wir uns los von den Abschiedsszenen, von denen es auch später noch einige gibt.
Das moralische Dilemma des Jon Snow
Dramaturgisch baut sich alles in Richtung jener Erkenntnis auf, die wir bereits in der vorletzten Episode auf dem Gesicht von Jon Snow gesehen haben. Auf seinem Weg durch die zerstörte Stadt kann Jon nicht verhindern, dass die Unsullied die gefangenen Soldaten exekutieren. Auf Befehl der Königin, wie Grey Worm betont.
Vor ihren Truppen, den Dothraki und den Unsullied, hält Daenerys dann eine fatale Siegesrede. Wer sich hier nicht an den "Mad King" erinnert fühlt, dem ist nicht mehr zu helfen. Daenerys hat soeben die Hauptstadt der Sieben Königslande dem Erdboden gleichgemacht, die Einwohner zu Asche verbrannt. Aber sie spricht von Befreiung und einer Mission, die noch nicht vorbei ist.
Tyrion wird verhaftet, weil er mit der Freilassung seines Bruders die Königin verraten hat. Jon besucht ihn in der Zelle. "Hast du keinen Wein mitgebracht?", fragt Tyrion. Natürlich nicht. Jon Snow ist nun einmal Jon Snow. Das war sowas von klar! Vielleicht hätte er lieber Wein mitbringen sollen, dann wäre ihm vielleicht eine Lektion von Tyrion erspart geblieben. Wahrscheinlich aber auch nicht.
Die Logik von Tyrion ist nicht von der Hand zu weisen. Daenerys ist davon überzeugt eine bessere Welt für alle zu schaffen. Wer an diese Mission glaubt, für den heiligt der Zweck alle Mittel.
Doch Jon will nicht daran glauben. Er hat seiner Königin die Treue geschworen. Er liebt seine Königin. Doch diesmal steckt er in einem moralischen Dilemma von unvorstellbarem Ausmaß. Wie wird er sich entscheiden?
Nun zahlt sich die moralische Penetranz wirklich aus, die dieser Charakter über acht Staffeln aufgebaut hat. Bis zum Moment seiner Entscheidung bleibt unklar, wie Jon Snow handeln wird.
Die tragische Reise von Daenerys Targaryen
Es ist ein großartiger Moment als Daenerys das erste Mal vor dem Eisernen Thron steht. Zwischen ihr und diesem Thron - der Legende nach aus den Schwertern der Gegner ihres Vaters gemachten – ist beinahe erotisches Knistern zu fühlen. Sie hat alle verloren, die sie geliebt hat. Nun scheint sie sich der Liebe zur Macht verschrieben zu haben.
Der Eiserne Thron steht unter freiem Himmel. Der Thronsaal ist unter den Attacken von Drogon in sich zusammengebrochen. Daenerys ist am Ziel ihrer Kindheitsträume. Doch deren Erfüllung ist nie so wie man sich das vorstellt. Nun will sie mehr. Die Drachenkönigin hat sich das Ziel einer besseren Welt auf die Fahnen geschrieben. Die Zerstörung auf dem Weg dahin sieht sie nicht (mehr).
Alles deutet auf eine Zukunft unter einer "Mad Queen" hin.
Bis zur finalen Staffel, war Daenerys eine Lichtgestalt in "Game of Thrones". Eine der wenigen "guten" Charaktere, die nicht unter die Räder der "Bad Guys" gekommen ist.
Ihre emotionale Reise ist nachvollziehbar, auch wenn die fatale Wende zu schnell, zu hastig, gekommen ist. Aber es passt dann doch irgendwie: Oft überschlagen sich die Ereignisse. Oft bringt ein Tropfen das Fass zum Überlaufen.
Auftritt: Jon Snow
Jon ist auf dem Weg zu seiner Königin. Unbeeindruckt geht er am Drachen Drogon vorbei, der die Drachenkönigin offensichtlich beschützt. Jon kann sich das nur leisten, weil das Blut eines Targaryen in ihm fließt. Denn eines dürfte nun klar sein: Das magische Band, das den Drachen mit dem Haus Targaryen verbindet, macht es ihm auch unmöglich, Jon zu verletzten.
John Snow, alias Aegon Targaryen, ist der einzige Mensch, der Daenerys aufhalten kann!
Und tatsächlich tut er es: Er ersticht sie mit seinem Dolch, während sie ihn küsst.
Wer behauptet, es war klar, dass Jon Snow tun wird, was er getan hat, der irrt gewaltig. Das moralische Dilemma, in dem er sich letztlich befand, hätte auch ganz anders aufgelöst werden können.
Es war eine gelungene Überraschung: Jon Snow hat einmal das Richtige getan – aber diesmal wohl nicht das Richtige aus seiner Sicht. Nachher sagt er selbst noch, dass es sich für ihn falsch anfühlt.
Nach dem Tod der Drachenkönigin
Bis zum Tod von Daenerys ist das Finale im Großen und Ganzen ein inhaltlich stimmiger Abschluss, wenn auch zu hastig erzählt. Doch was danach passiert, fühlt sich sehr nach dem Erfüllen von Erwartungen der Fan-Community an:
Der Drache Drogon vernichtet im Zorn um den Tod der "Mother of Dragons" den Eisernen Thron. Letztendlich sitzt also niemand darauf. Dann fliegt er mit der toten Daenerys nach Osten?
Grey Worm akzeptiert die Autorität eines neuen Königs, der von den Lords von Westeros gewählt wird. Wieso sollte er das tun?
Die Runde der Lords von Westeros fühlt sich an als ob die Nerds von "The Big Bang Theory" die Sieben Königslande übernommen hätten: Samwell, Gendry, Brienne, Davos, Arya, Bran, …
Großartig: Samwell schlägt Demokratie vor und erntet Gelächter.
Tyrion schlägt Bran Stark als neuen König vor. Alle stimmen für "Bran the Broken", künftiger Wahlkönig der sechs Königlande.
Der Norden bleibt unabhängig. Sansa wird "Queen of the North".
Arya segelt gen Westen, um zu entdecken, was westlich von Westeros liegt.
Jon Snow wird wegen dem Mord an Daenerys dazu verurteilt, der Night's Watch beizutreten: Nichts Neues für ihn. Damit ist das Haus der Targaryens zum Aussterben verurteilt.
Bran the Broken: Das Rad ist gebrochen
Noch mehr in diese Richtung geht es, nachdem Bran Stark zum König der Sechs Königlande gewählt wurde: Der neue "Small Council", der Stab der Berater des Königs, tritt zusammen… aber wo eigentlich? Die gesamte Festung "Red Keep", in der die Könige residierten, wurde zerstört. Wie kann es sein, dass das Zimmer der Königsberater noch intakt ist?
Aber egal: Am Tisch sitzen Tyrion als "Hand of the King", Bron als "Master of Coin" (und: Lord von Highgarden: Ein Lannister bezahlt seine Schulden!), Davos als "Master of Ships", Samwell als "Grand Master" und Brienne als "Lord Commander of the Kingsguard".
Die anderen Mitglieder fehlen noch. Podrick ist nun der persönliche Diener des Königs.
Fühlt sich wieder mehr nach "The Big Bang Theory" an!
Ganz zu schweigen von der – durchaus gelungenen - Referenz an George R. R. Martin. Auch das zielt vor allem auf die Fan-Community.
Das meinen wir gar nicht negativ. Wahrscheinlich ist es unvermeidlich. Aber es ist ein Stilbruch!
Unser Fazit: HBO hat mit der letzten Staffel zumindest von der Geschichte her einen halbwegs würdigen Abschluss für "Game of Thrones" abgeliefert. Anders als bei "Lost" (vielleicht die einzige Serie, die einen kleineren, aber ähnlichen Hype ausgelöst hat) gleitet die Serie nicht in eine vollkommen enttäuschende Auflösung der Geschichte ab. Enttäuschend ist hier eher die schlampig umgesetzte und viel zu hastig inszenierte Art und Weise der Erzählung. Auch wenn die "unzufriedenen Superfans" sich nun am lautesten zu Wort melden und die Auflösung der Geschichte verteufeln: Es ist Jammern auf hohem Niveau.
Trotzdem: Die perfekte Conclusio ist auch "Game of Thrones" nicht gelungen, vor allem weil die Zeit am Schluss zu knapp geworden ist. Aus Sicht der Fans wäre es wohl sinnvoll gewesen, die Zahl der Episoden der beiden letzten Staffel (sieben und acht) nicht zu reduzieren. Wirtschaftlich dürfte es sich aber für HBO einfach nicht ausgezahlt haben.