Filmkritiken

LEBENDE ERSTZTEILLAGER

Kathy, Tommy und Ruth wachsen im britischen Internat Hailsham auf. Dort wird die Kinderschar für ihr späteres Leben vorbereitet. Allerdings erfahren die Schüler schon frühzeitig, dass sie anders sind als die anderen Menschen jenseits der Mauern. Ihnen steht ein ganz besonderes Schicksal bevor, denn in Wahrheit sind sie alle Klone, die für einen einzigen Zweck gezüchtet wurden: sie dienen reichen Auftraggebern als Organreservoir und menschliche Ersatzteillager.

Der Film basiert auf einem Bestseller von Kazuo Ishiguro. Wie im Buch bekommt man lange das Gefühl vermittelt, eine Gruppe ganz normaler Kinder vor sich zu haben, die eben in einer strengen, klassisch englischen Privatschule leben. Da gibt es den von allen gemobbten Buben, Tom, das Mädchen, Kathy, das sich in ihn verliebt, und ihre beste Freundin Ruth, die ihn sich krallt - alles ganz normal, oder etwa nicht?

Sukzessive wird es nun aber immer eigenartiger, man fühlt sich mehr und mehr in einer geschlossenen Welt. Eine neue Lehrerin spricht klärende Worte (und beendet damit ihre Karriere in diesem Internat), indem sie den Kindern die Augen öffnet: keiner von ihnen hat eine ungewisse Zukunft, ihr Leben - und vor allem ihr Ende - ist vorherbestimmt, sie sind Spender und werden als Organbank gebraucht, bis sie sterben. Das ist ein außergewöhnlicher Moment im Film und die Aussage ist gut gewählt. Denn obwohl viele von uns mit einer unvorhersehbaren Zukunft schlecht zu Recht kommen mögen, ist sie eben ein wesentlicher Unterscheidungspunkt zwischen dem Menschen und einem Nutztier.

Doch auch nach dieser durchaus entscheidenden Information über ihr zukünftiges Leben, ändern die Schüler – nichts! Kein Aufbegehren, keine Revolution, keine Reaktion, unsere drei Hauptdarsteller leben weiter ihre Adoleszenz und träumen oder leben die Liebe. Ein traurig schöner Liebesfilm: das ist „Alles, was wir geben mussten“ auch eine gute Stunde lang. Als aus Tom und Kathy doch noch ein Paar wird, kommt ein wenig Hoffnung auf bei diesem elegischen Gang zum Schafott. In solchen Momenten packt einen der Film, man fühlt mit dem Paar und hofft intensiv auf ein Wunder für diese zutiefst menschlichen Klone. Durch unaufgeregte Atmosphäre und wunderschöne Bilder getarnt, baut sich das unvorstellbare Grauen langsam aber sicher auf und nimmt den Zuseher gefangen. Dieses Gefühl einer, allerdings zutiefst deprimierenden, Normalität wird durch den vertrauten Zeitraum1967-1995, in dem „Alles, was wir geben mussten“ spielt, noch verstärkt und macht das Werk zu einem sehr stimmungsvollen, dichten Drama.

Diese Stärke ist andererseits auch die größte Schwäche des Films - natürlich nur, sobald man den Fokus gerade auf das Thema Science Fiction richtet. Dass es im England der 70er Jahre hier genau so aussieht, wie‘s eben tatsächlich aussah, zwingt uns eine eher unwahrscheinliche Annahme auf: der gesamte technische Fortschritt konzentriert sich ausschließlich auf ein Voranpreschen in den Bereichen Klonen und Organtransplantation, während im Alltagslebens alles seinen vertraut „altmodischen“ Gang geht, wie es der dargestellten Periode entspricht. Viel wichtiger als Wahrscheinlichkeit ist aber bei Science Fiction die Vorstellbarkeit. Der völlig widerstandslose Gang der Spender zur Schlachtbank, ihr völlig fehlendes Aufbegehren, obwohl keine direkten Zwangsmaßnahmen sichtbar ist, macht den Film zwar zu einem besonders verstörenden Erlebnis, aber eben auch unvorstellbar - kein Lebewesen wäre zu diesem Altruismus fähig.

Fazit: „Alles, was wir geben mussten“ ist ein packender, sehr gut gespielter Film über Humanismus, stille Verzweiflung und unausgesprochener Liebe. Über die eine oder andere Länge und seine Plausibilitäts-Probleme in puncto Science Fiction muss man eben gnädig hinwegsehen. Er bekommt von mir 7 von 10 tränennassen Taschentüchern.

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