Filmkritiken

KREISLAUF DER LIEBE (ETWAS ECKIG)

Ein episodisches Pasticcio, das durchs Hauptthema ‚Liebe‘ zusammengehalten wird, ist ja nun keineswegs eine originelle Neuerfindung in der Filmwelt. Allerdings haben sich Werke wie „ Paris, je t'aime“ oder „New York, I Love You“ eben nur auf einen Schauplatz konzentriert und konnten auch keinen namhaften literarischen Gewährsmann ins Treffen führen. In „360“ leitet uns der erotisch motivierte Liebeskreislauf, bei dem Arthur Schnitzler Pate gestanden hat, von Wien zurück nach Wien, mit Zwischenstopps in Paris, London, Bratislava, Rio de Janeiro und zwei nordamerikanischen Städten.

Während die Bühnenpremiere des originalen „Reigen“ 1920 eine unbeschreibliche Entrüstungswelle auslöste und zu einem der größten Theaterskandale des 20. Jahrhunderts wurde, gilt für einen Film des neuen Jahrtausends die Überschreitung der sexuellen Tabuschwelle wohl kaum als erklärtes Ziel, weil dafür inzwischen bereits ein zu großer Schritt nötig wäre, den selbst ein versierter Regisseur wie Fernando Meirelles gar nicht ausführen könnte. Stattdessen konzentriert sich Drehbuchautor Peter Morgan („Die Queen“, 2006; „Frost/Nixon“, 2008) auf die Befindlichkeit von Liebenden zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die trotz aller technischen Errungenschaften der Neuzeit, und der Möglichkeit, große Distanzen spielend zu überbrücken, nach wie vor zeitlos hormonellen Turbulenzen unterliegen.

Eröffnet wird der neue Reigen von einem britischen Geschäftsmann ( Jude Law), der sich seinen Wien-Aufenthalt durch Buchung einer Escortdame (Lucia Siposová) versüßen möchte; doch dann funkt ihm ein deutscher Kollege (Moritz Bleibtreu) dazwischen, der auch vor schmutzigen Methoden nicht zurückschreckt, um den geplanten Deal abschließen zu können… und einen Kameraschwenk später sind wir auch schon in Paris. Dies ist nur eine von vielen visuellen Überraschungen - auch Split-Screen, gezielt eingesetzte Unschärfe und scheinbar unmögliche Bilder tragen zur kurzfristigen Verwirrung der Betrachter bei.

Es wäre nicht sinnvoll, alle weiteren großen Namen der Beteiligten aufzuzählen, die sich in den folgenden Filmminuten ins internationale Liebes-Spiel mengen. Immerhin erstreckt sich die Handlung der dank Datennetzen und Fluglinien miteinander verknüpften Geschichten über mehrere Kontinente, führt uns mit Protagonisten, die sieben verschiedene Sprachen sprechen, in viele höchst unterschiedliche Milieus und bietet Meirelles Gelegenheit, meist von Episode zu Episode das Genre zu wechseln: so changiert der Film zwischen romantischer Tragödie, Unterwelt-Thriller, Psycho-Drama und Komödie. Durch das Rotationsprinzip bleibt dabei aber auch alles ziemlich unverbindlich. Man wartet darauf, ob sich nun ein großes Ganzes ergibt oder alles nur vom Zufall bestimmt wird, und heraus kommt dann eine eher irritierende Mischung aus beidem. Manche Episoden wirken unfertig und versanden im Nichts, während andere wieder auf ein allzu deutlich konstruiertes Ende zusteuern; und auch Schnitzlers Patronanz ist absolut nicht zwingend.

Doch Wien als peripherer Schauplatz macht natürlich wieder einiges wett. Zuletzt fasst eine Umrundung der Ringstraße im Auto die soeben durchlaufene Kreisstruktur noch einmal ganz konkret ins Bild. Dabei wird man als Einheimischer die amüsante Beobachtung anstellen, wie unmöglich sich doch so eine Autofahrt gestalten kann, weil wir uns von Schnitt zu Schnitt an anderen markanten Punkten befinden, die hintereinander gereiht leider keinen chronologischen Rundkurs ergeben. Aber womöglich soll gerade dadurch die Sprunghaftigkeit der Filmhandlung noch einmal symbolisiert werden. Da es sich um keine absolut runde Sache handelt, deckt das Werk auf meinem persönlichen Filmkreis bloß einen Sektor von 300° ab.

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