Hitlers "Mein Kampf" - Eine Doku zum Buch aus dem Giftschrank
70 Jahre nach Hitlers Tod laufen die Urheberrechte von „Mein Kampf“ ab. Das Werk kann somit ab dem 1. Januar 2016 offiziell wieder auf dem Markt erscheinen. In der von Emmy-Preisträger Leopold Hoesch produzierten ARTE-Dokumentation „Mein Kampf. Das gefährliche Buch“ geht der Deutsche Fernsehpreis-Gewinner Manfred Oldenburg der Frage nach, ob die Kampf- und Hetzschrift heute noch gefährlich sein kann. Der KURIER (Film.at) führte mit den beiden Männern ein Interview.
Film.at: Wie oft haben Sie Hitlers Buch schon aus dem Giftschrank geholt und gelesen?
Manfred Oldenburg: Wir haben uns im Zuge der Filmarbeiten intensiv mit dem Buch beschäftigt, einmal zu visuellen Zwecken: Wenn Sie einen Film über ein Buch machen, dann müssen sie es auch zeigen. Unser Exemplar haben wir aus der Universitätsbibliothek in Köln ausgeliehen. Offiziell darf man es nicht ausleihen. Es liegt dort in einem abgesonderten Raum für alte Schriften und es war eine spezielle Genehmigung erforderlich, um es mit in unser Filmstudio zu nehmen. In unserem Film zeigen wir an acht Stellen prägnante Zitate aus „Mein Kampf“ – dafür haben wir das Buch auch gelesen, um diese Sätze zu finden. Und es ist ein sehr merkwürdiges Gefühl, ein Buch in der Hand zu halten, das für den Tod von 60 Millionen Menschen verantwortlich ist. Denn so viele Menschen haben im Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren.
Gehört es für Sie zu den widerwärtigsten Büchern, die jemals publiziert wurden? Welche anderen vergleichbaren Werke würden Sie in diesem Zusammenhang nennen?
Manfred Oldenburg: Für mich ist jedes Buch inakzeptabel, dessen Autor seine Überlegungen auf Rassismus und menschenverachtende Weltsicht fußt.
Welche Passagen sind für Sie die unerträglichsten?
Manfred Oldenburg: Das Schlimmste für mich bei der Lektüre von „Mein Kampf“ war immer wieder, dass Hitler da oft sehr offen gesprochen hat und sich auch in die Karten hat schauen lassen. Er hat es ja selber später zugegeben: Wenn er gewusst hätte, er würde einmal Reichskanzler werden, hätte er „Mein Kampf“ nie geschrieben. Sie finden immer wieder Passagen, wo klar zu erkennen ist, dass Hitler bereits Mitte der Zwanziger Jahre, als er „Mein Kampf“ schreibt, sein innen- und außenpolitisches Programm entwirft, das er später Stück für Stück abarbeitet. Hitler versteckt seine Ziele in dem Buch ja nicht, er spricht sie an; und wenn Sie da lesen, mit welchem Zynismus er gegen die Juden hetzt und wie selbstverständlich er davon ausgeht, dass die Deutschen ein Recht auf Lebensraum im Osten haben und daher ein Krieg geführt werden muss - dann sehen Sie bei der Lektüre vor dem inneren Augen die millionenfachen Opfer.
Was macht – nach wie vor - die besondere Gefahr des Werkes aus?
Manfred Oldenburg: Vieles, was Hitler in „Mein Kampf“ schreibt, z.B. über die Ruhrbesetzung in den Zwanziger Jahren durch die Franzosen, ist historisch längst überholt, aber seine beiden Kerngedanken sind zeitlos: Ultranationalismus und Rassismus. Die Gedanken sind immer noch verführerisch, weil sie in einer hochkomplexen Welt simple Lösungen versprechen. Wer sich mit „Mein Kampf“ beschäftigt, befasst sich mit der heutigen Welt. Die Zeit der Globalisierung ist geprägt von einem Gefühl wachsender Ohnmacht gegenüber einer kaum zu kontrollierenden Wirtschaft, der Angst vor einem zunehmenden Verlust des sozialen Zusammenhalts der Gesellschaft und der Angst, dass die hilfesuchenden Menschen aus Syrien, Afghanistan und anderen von Kriegen zerrissenen Ländern unser Leben verändern könnten. Unter diesen Umständen finden Rechtspopulisten fruchtbaren Boden für ihre Parolen. Europa geht gerade durch eine schwere Identitätskrise und in vielen Ländern wie Österreich, den Niederlanden, Dänemark oder Frankreich haben die Rechtspopulisten einen festen Platz im politischen System erobert – und das zeichnet sich nun auch in Deutschland mit der AfD und der Pegidabewegung ab.
Leopold Hoesch: Das Buch ist ein Symbol. Es nicht zu entmystifizieren halte ich für eine Gefahr. Deswegen ist es richtig, eine Kommentierte Ausgabe als Referenzwerk zu haben.
Wie kam das Buch eigentlich zu Stande?
Manfred Oldenburg: „Mein Kampf“ war für Hitler eine Möglichkeit der Selbstfindung. Hitler ist ja eigentlich fast zufällig in die Politik gekommen. In dem Mann ist wahnsinnig viel los, aber mit Anfang 30 hat er immer noch nicht seinen Platz im Leben gefunden. Das ist eigentlich seine Situation am Ende des Ersten Weltkrieges. Dann kommt er in diesem ganz unruhigen München mehr oder weniger zufällig an die Politik. Er riskiert eigentlich alles mit dem Putsch 1923 und verliert - und dann steht er im Grunde vor dem Nichts. Jetzt kommt eigentlich das Erstaunliche und auch das Besondere, jetzt kommt auch ein Aspekt der wirklich dafür spricht, dass man Hitler nicht unterschätzen sollte: Dieser Mann erfindet sich neu, er erfindet seine Ideologie neu, er erfindet seine Rolle als Führer neu, er erfindet die Partei neu. Hitler, der vorher ein Getriebener war, kommt im Gefängnis zur Ruhe; es ist ein Moment der Selbstfindung - und das Produkt ist „Mein Kampf“.
Aus welchem Fundus hat Hitler seine Ideen geschöpft?
Manfred Oldenburg: Was Hitler macht ist eine Collage aus dem, was er rezipiert hat und er zwingt es irgendwie zusammen. Alles, was er gelesen, worüber er nachgedacht und was er erlebt hat, versucht er in eine Synthese zu zwingen und daraus ein neues Weltbild zu formen oder eine neue Weltanschauung, wie er immer gesagt hat. Genau das ist „Mein Kampf“. Zentral für das Phänomen Hitler ist meines Erachtens, dass er eigentlich aus unserer traditionellen Überlieferung der Aufklärung und des Humanismus völlig herausfällt. Hitler ist ja zunächst ein Gescheiterter, einer der am Rande der Gesellschaft lebt und der auch entsprechende Dinge rezipiert, also so billige Heftchen und irgendwelche Zeitungen und jede Menge obskurer Ideen. Aus diesem ganzen Ideenschutt der Jahrhunderte baut er sich ein neues Weltbild zusammen.
Ist Ihr Film ein Wunschprojekt gewesen oder hat man die Idee an Sie herangetragen?
Leopold Hoesch: Die Idee ist von ARTE-Geschäftsführer Wolfgang Bergmann an uns herangetragen worden. Nach Filmen über Stalingrad, D-Day, Dresden und Heimkehr der Kriegsgefangenen waren wir ziemlich prädestiniert für diesen Film, der in einer langen Reihe einer sehr erfolgreichen Zusammenarbeit mit ARTE steht.
Welche Zeitzeugen oder Historiker melden sich in Ihrer Doku zu Wort?
Manfred Oldenburg: Wir haben vor allem eine jüngere Generation an Historikern und Wissenschaftlern interviewt, die mit ihnen bahnbrechenden Arbeiten einen neuen Blick auf „Mein Kampf“ ermöglichen. Das Buch ist ja umgeben von Mythen, die sich lange gehalten haben. So ist nach dem Krieg das Bild verbreitet gewesen, dass „Mein Kampf“ ein wirres Buch sei, das von einem Verrückten verfasst wurde. Dieses Bild war eine Schutzbehauptung der damaligen Menschen: Das Buch war ja im Dritten Reich fast in jedem Haushalt zu finden gewesen (die Auflage betrug 1945 12 Millionen Exemplare) - und dann wollte keiner es gelesen haben. Der Salzburger Historiker Othmar Plöckinger hat vor 10 Jahren nachgewiesen, dass das Buch sehr wohl gelesen wurde. Barbara Zehnpfenning hat sich 1999 als erste Wissenschaftlerin intensiv ideengeschichtlich mit dem Inhalt befasst. Sie kommt zu dem Schluss, dass „Mein Kampf“ alles andere als wirr ist, sondern ein programmatisches Buch mit einer geschlossenen Weltanschauung. Beide haben wir interviewt - Frau Zehnpfennig und Herrn Plöckinger.
Zudem haben wir den Historiker Dr. Christian Hartmann interviewt, der „Mein Kampf“ kritisch für das Institut für Zeitgeschichte ediert. Er will Hitlers Gedanken und Propaganda zerlegen, um damit der nach wie vor wirksamen Symbolkraft dieses Buches den Boden zu entziehen. Besonders wichtig waren mir aber die Interviews mit Frau Charlotte Knobloch und Margot Friedländer, zwei Holocaustüberlebenden, weil ich wissen wollte, welchen Blick sie auf das Buch „Mein Kampf“ haben – vor allem vor dem Hintergrund, dass das Buch jetzt wieder so stark in der öffentlichen Wahrnehmung steht.
Ich nehme an, etliche Passagen werden in dem Film vorgelesen. Welchen Sprecher haben Sie für die Buchzitate engagiert?
Manfred Oldenburg: Wie haben einen professionellen Sprecher ins Studio geholt. Es gibt im Film insgesamt acht Zitate aus „Mein Kampf“, die wir aber bewusst sachlich sprechen lassen.
Haben Sie jemals die Aufzeichnung von Helmut Qualtingers Lesung aus „Mein Kampf“ gesehen?
Leopold Hoesch: Nein.
Manfred Oldenburg: Ja, mir sind die Aufnahmen von Helmut Qualtinger bekannt. Es ist eine besondere Interpretation, die meinem Gefühl aber dem Zeitgeist Mitte der 70er Jahre entspricht. Damals dachte man, dass „Mein Kampf“ lediglich ein wirres Buch eines Verrückten ist und deshalb lohne es sich nicht, sich wirklich sachlich und kritisch mit dem Buch auseinanderzusetzen. Qualtinger spricht mit Hitlerstimme, überzeichnet, und schafft damit dem Zuhörer das Gefühl der sicheren Distanz zum Text. Was verständlich ist und ein probates künstlerisches Stilmittel - aber diese Distanz kann auch sehr leicht dem Zuhörer den Eindruck vermitteln, dass man über das Buch eigentlich nur lachen kann. Dieser Reflex greift heute noch. Wir neigen dazu, Hitler lächerlich zu machen, uns über ihn lustig zu machen, weil wir möglichweise befürchten, dass wir etwas in ihm finden können, was auch in uns schlummert und wovor wir Angst haben.
Wenn wir uns „typische“ Rechtsradikale vorstellen, dann sind das wohl eher geistig nicht gerade sehr rege Typen. Glauben Sie, dass die überhaupt in der Lage wären, Hunderte von Buchseiten zu bewältigen?
Leopold Hoesch: Das Buch zu lesen ist weit weniger ergiebig, als es zu instrumentalisieren. Davon geht die Gefahr aus und dafür muss man es weder gelesen noch verstanden haben
Sollte man „Mein Kampf“ im Schulunterricht behandeln?
Leopold Hoesch: Ja. Fast wichtiger als der Inhalt sind aber die Umstände, unter welchen es geschrieben wurde und die unterschiedliche Rezeption dieses Buches in unterschiedlichen Zeiten.
Sind Sie dafür, dass Hitlers Werk ab 2016 im Buchhandel wieder frei zugänglich sein wird?
Leopold Hoesch: In einer kommentierten Ausgabe schon.
Der Film auf Flimmit (inkl. Spezial-Angebot für KURIER-LeserInnen)
Die 52minütige -Dokumentation „Mein Kampf. Das gefährliche Buch“ wird ab 16. Dezember 2015 zuerst exklusiv auf der Online-Videothek Flimmit zu sehen sein. Der ORF wird die Doku am 17. Jänner 2015 im „dok.film“ um 23.05 Uhr in ORF 2 ausstrahlen. Ergänzend dazu steht im Anschluss, um 0.00 Uhr in ORF 2, die Aufzeichnung „Helmut Qualtinger liest ‚Mein Kampf‘“ aus dem Jahr 1985 auf dem Programm.
Flimmit stellt noch ein spezielles Kurier-Angebot zur Verfügung. Mit dem Gutscheincode „KURIER-AKTION“ bekommt man das 3-Monats-Abo von Flimmit um 7,50 € statt um 19,90 €.
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