Interview mit Arash Riahi zu seinem neuen Film "Oskar und Lilli"
Von Oezguer Anil
Arash Riahi kam 1982 durch die Flucht seiner Eltern mit seinem Bruder Arman Riahi aus dem Iran nach Österreich. Von 1995 bis 2002 arbeitete er als freier Mitarbeiter beim ORF und zeichnete sich für zahlreiche Fernsehdokumentationen verantwortlich. Sein Spielfilmdebüt "Ein Augenblick Freiheit" erhielt 2008 beim Montreal Filmfestival den Preis für den besten Debütfilm und wurde auf der Viennale mit dem Wiener Filmpreis ausgezeichnet. Mit Filmen wie "Einer von uns", "Die Einsiedler", "Die Migrantigen" und "Cops" etablierte er sich in den letzten Jahren als erfolgreicher Produzent an der Schnittstelle zwischen Festival- und Publikumsfilmen. Für die Verfilmung von Monika Helfers Roman "Oskar und Lilli" nahm Riahi wieder am Regiestuhl platz. In unserem Interview spricht er über den Entstehungsprozess des zweiten Teils seiner Flucht-Trilogie, die Arbeit mit Kindern am Set und warum man trotz seinem poetischen Erzählstil keinen Kinderfilm erwarten sollte.
„Oskar&Lilli“ handelt vom Schicksal einer Flüchtlingsfamilie. Wieso hat Sie ausgerechnet dieser Stoff von Monika Helfer so sehr interessiert?
Was mich an Monika Helfers Roman besonders fasziniert hat, war die feine Poesie und die Detailversessenheit, sowie der lakonische Humor der Geschichte. Der Roman, der bereits 1995 erschienen ist, beinhaltete aber ursprünglich keine Handlung, die mit Flüchtlingen in Verbindung steht. Es geht dort um zwei Kinder, die von ihrer psychisch kranken Mutter getrennt werden und von zwei Pflegefamilien betreut werden. Die Geschichte von Familien, die voneinander getrennt wurden und sich wieder vereinen wollen ist jedoch so universell und zeitlos, dass sie sehr offen für unterschiedliche Konstellationen, Nationalitäten und Interpretationen ist. Gerade jetzt sind ja z. B. die Schicksale der mexikanischen Familien, die an der amerikanischen Grenze von einander getrennt worden sind, in den Medien.
Spielen reale Schicksale von Flüchtlingen im Film eine Rolle?
Als mir das Buch zur Verfilmung angeboten wurde, traf ich mich mit der Autorin und bat sie um die Erlaubnis, ihrer Geschichte einen politischen Rahmen zu geben. Glücklicherweise willigte Frau Helfer bereitwillig ein und ließ mir jede Freiheit. Es gab in den letzten Jahren sehr viele Fälle von Familien, die bereits seit mehreren Jahren in Österreich gelebt haben, deren Kinder auch perfekt Deutsch sprechen konnten und integriert waren und die dennoch plötzlich gezwungen wurden, das Land zu verlassen, wie zum Beispiel die Familie Zogaj und ihre Tochter Arigona. Das war nur eine von vielen Geschichten, in denen die schwierige Situation von traumatisierten Familien dazu führten, dass Kinder in betreute Wohnheime oder zu Gastfamilien kamen. Natürlich haben meine eigenen Erfahrungen als Flüchtlingskind - ich bin ja selbst mit 9 Jahren mit meinen Eltern aus dem Iran nach Österreich geflohen - auch eine Rolle gespielt. Ich bemerke auch immer mehr, dass die Figur des Oskar fast eine Art Alter Ego von mir zu sein scheint! Ich teile mit ihm sehr viel, nicht nur die Überzeugung, dass man mit Humor und einem positiven Umgang mit der Realität, diese auch in eine positive Richtung ändern kann, egal wie furchtbar sie auch scheinen mag. Angst sollte nie eine Option sein.
Der Film behandelt ein sehr düsteres Thema. Können Sie schon sagen, in welche Richtung es geht? Wie kindergerecht ist die Geschichte?
Ich hab trotz meiner sehr freien Adaption der Romanvorlage versucht, die poetische Haltung des Romans beizubehalten und alle eigenen Ideen auch in diese Richtung zu entwickeln. Für mich ist der Film der zweite Teil meiner Flucht-Trilogie, die mit "Ein Augenblick Freiheit" (2008) begonnen hat und mit einem dritten Film „Eine Herzensgeschichte“, einer Art Film in Film über die Rekonstruktion einer Flüchtlings-Tragödie, die sehr abstrakt und analytisch sein wird, enden soll. Dieser mittlere Teil ist im Gegensatz zu meinem ersten Film nicht dokumentarisch, sondern eher ein magisch realistischer Film, der nicht den Fokus auf die genaue Darstellung der bürokratischen Abläufe legt, sondern auf das Erfahrbar-Machen des Gefühls der betroffenen Personen. Mir geht es diesmal darum, aus der unschuldigen Perspektive der Kinder, mit Phantasie und entwaffnendem Humor den Umgang dieser Kinder mit den harten Realitäten zu vermitteln. Der Film ist dennoch kein Kinderfilm, weil er auch schwierige Themen wie Suizid, Prostitution und Drogensucht thematisiert.
Der Film hat zwei Kinder in den Hauptrollen. Wie verlief der Castingprozess?
Der Castingprozess verlief über mehrere Jahre und jedes Mal, wenn der Film von der Förderung abgelehnt wurde, mussten wir neue Kinder suchen, weil wir den Dreh um ein Jahr verschieben mussten und die gecasteten Kinder zu alt geworden wären. Ich denke, wir haben über 100 Kinder in den letzten 3-4 Jahren gecastet, bis wir unsere ,großartigen HauptdarstellerInnen Rosa und Leopold und Anna gefunden haben.
Wie unterscheidet sich die Arbeit mit Kindern am Set im Vergleich zu Profi-SchauspielerInnen?
Das Drehen mit Kindern in den Hauptrollen erschwert die Dreharbeiten natürlich sehr, da man nie damit rechnen kann, dass alles so verläuft wie im Drehbuch vorgesehen. Wir haben am Set den 1,5-jährigen Simon, den 8 jährigen Leo und die 13 jährigen Rosa und Anna. Jedes Alter braucht eine andere Art von Schauspielführung. Das Baby muß man vorsichtig an das Set und die fremden Menschen heranführen und es dann knapp vor Drehbeginn ins Set setzen und diesen ersten Augenblick der Neugier des Babys einfangen und hoffen, dass es nicht zu weinen beginnt. Beim achtjährigen Leo geht es vielmehr um eine permanente Motivation, damit das Kind während der vielen Drehtage immer wieder von neuem frisch spielt und nicht die Lust verliert. Manchmal muss man auch Dinge sehr oft hintereinander wiederholen lassen, bis das Kind vergisst, dass es spielt. Bei den 13jährigen Mädchen, die voller Motivation mitmachen, geht es mehr darum, in ihrem Spiel die Balance zwischen kindlicher Unschuld und beginnendem Erwachsensein authentisch rüber zu bringen. Wir versuchen auch jeden Tag mit einem positiven Ereignis enden zu lassen, damit die Kinder mit einem guten Gefühl nach Hause gehen und gerne wieder kommen.
Wie lange versuchen Sie diesen Stoff schon auf die Leinwand zu bekommen? Hat der Erfolg von „Die Migrantigen“ den Prozess beschleunigt?
Bei "Die Migrantigen" hat ja mein Bruder Regie geführt und ich hab mit meiner Firma Golden Girls Film produziert. Ich versuche als Regisseur seit über fünf Jahren den Film mit der Wega Film zu realisieren, weil sie auch die Verfilmungsrechte des Romans besitzen. Es ist schwierig, zu sagen, was endgültigen Ausschlag für die Förderzusagen gegeben hat, vielleicht war es auch unsere Hartnäckigkeit, nicht aufzugeben. Der Erfolg von "Die Migrantigen" hat aber sicher auch nicht geschadet.
Ihre Arbeit als Filmemacher zeichnet sich vor allem durch ein politisches Engagement aus. Für wie wichtig halten Sie politische Filme und glauben Sie, dass man mit solchen Filmen ein Umdenken in der Bevölkerung hervorrufen kann?
Ich finde es ist verantwortungslos, in Zeiten wie diesen keine politischen Filme zu machen. Nur sollte man versuchen, sie nicht so moralinsauer und übertrieben politisch korrekt zu machen, wenn man andere Menschen als die üblichen Verdächtigen erreichen will. Ich denke, wir dürfen trotz allen negativen politischen Entwicklungen auf der Welt nicht in Lethargie verfallen und glauben, es ist eh alles sinnlos. Das stimmt nämlich nicht. Wir müssen es schaffen, die schweigende Masse der Nichtwählerinnen und Lethargischen zu mobilisieren und auf allen Ebenen des Lebens und nach allen Regeln der Kunst Widerstand zu leisten. Dann geht sicher was!
Die Dreharbeiten zu "Oskar und Lilli" sind noch im vollen Gange. Kinostart ist voraussichtlich nächstes Jahr.
Özgür Anil