Filmkritiken

IN DER BILDERFALLE VON LIEBESLUST & -WAHN

Durch einen scheuen aber heftigen Blickkontakt in einem Pariser Café nimmt die erfreulich-romantische Liebesgeschichte zwischen Hanna und Yann ihren Ausgang. Moment, nochmal von vorn: Durch einen scheuen aber heftigen Blickkontakt in einem Pariser Café nimmt die obsessiv-bedrohliche Liebesgeschichte zwischen Hanna und Yann ihren Ausgang. Also was denn nun? Das Erfreulich-Bedrohliche und Bedrohlich-Erfreuliche an Andrina Mračnikars erstem Spielfilm ist eben die Ambivalenz der Geschichte, in der beide Möglichkeiten gelten. Die Handlung schlägt ziemlich rasch von der vermeintlich harmlosen Romanze in einen subtilen Psychothriller um, der uns mit schönen und verwirrenden Bildern konfrontiert. Yann versorgt seine Liebste nämlich regelmäßig mit poetischen Video-Botschaften, sogenannten Lettres filmées, bei denen das iPhone als Kamera dient. Zuerst sind es kleine Kunstwerke, später können sie manchmal sogar mit der verstörenden Wirkung jenes berühmten Videos aus „The Ring“ mithalten.

Nachdem der Eifersüchtige aus ihrem Leben wieder verschwunden ist (und zwar auf eine Weise, die sogar die Polizei auf den Plan ruft) macht sich auch in Hanna Misstrauen breit und sie beginnt an den Menschen zu zweifeln, die ihr am nächsten stehen: wird sie von ihrer besten Freundin belogen und verheimlicht auch ihr Ex-Freund, dem sie wieder näher gekommen ist, Dinge vor ihr? In dieser Stimmung ist es nicht mehr weit bis zu dem Punkt, an dem sich Alltagsgegenstände in ganz private Botschaften und Zeichen verwandeln. Wir selber sind nur von Hannas Wahrnehmungen abhängig, über deren Herkunft wir eigentlich nie ganz sicher sein können und so beginnen wir vermutlich selbst immer mehr zu zweifeln: Spielt sich die Bedrohung durch den aggressiv-eifersüchtigen Mann tatsächlich in der sogenannten Realität ab, oder erlebt die psychologisch geschulte Frau (sie arbeitet als Kinder-Therapeutin) den Verfolgungs-Terror nur in Form von Wahnvorstellungen.

Andrina Mračnikar war an der Filmakademie u.a. eine Schülerin Michael Hanekes, was ja schon an sich als Qualitätsmerkmal zu gelten hat. Der Lehrer hat deutliche Spuren hinterlassen: Gerade am Ende von „Ma Folie“ ist sein Einfluss unübersehbar, denn hier sind wir ganz unkaschiert bei „Caché“ angekommen. Das Projekt für ihren ersten Kinospielfilm hat die preisgekrönte Dokumentarfilmerin ("Der Kärntner spricht Deutsch", „Andri 1924-1944“) über einen Zeitraum von 10 Jahren hinweg begleitet und das Skript wurde – wohl in einer früheren Fassung – bereits 2005 mit dem Carl Mayer-Drehbuchpreis ausgezeichnet. Der Film ist so geschickt erzählt, dass er von den Aussparungen lebt und viele Möglichkeitsräume für unsere Ergänzungen lässt. Die Geschichte entwickelt sich mit geradezu quälender Langsamkeit und gewinnt dadurch an Intensität: die wachsende Verstörung und Panik wird von Alice Dwyer beängstigend glaubwürdig dargestellt.

Einer ganz anderen Sinnestäuschung drohen wir zu erliegen, sobald erstmals der Darsteller des junge Mannes ins Bild kommt; wir müssen uns erst durch einen Blick auf die Besetzungsliste vergewissern, dass für Yann nicht der heurige Oscar-Preisträger Eddie Redmayne gecastet wurde, denn Sabin Tambrea ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.

8 von 10 Wahnsinnspunkten auf unserer paranoiden Filmskala.

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