Filmkritiken

In "Auslöschung" führt Natalie Portman einen visuell beeindruckenden Existenzkampf

"Annihilation", so der Originaltitel des Films, beginnt mit einem Spoiler. Die apathisch wirkende Molekularbiologin Lena (Natalie Portman) wird von Männern in Quarantäne-Schutzkleidung befragt, was passiert ist. Schnell wird klar, dass sie die einzige Überlebende einer Mission ist, die der Film sodann im Rückblick erzählt. Trotz diesem Setting liefert Alex Garland nach seinem Regiedebüt "Ex Machina" mit "Auslöschung" einen der spannendsten und intelligentesten Science-Fiction-Thriller des 21. Jahrhunderts ab. Auch visuell schafft es "Auslöschung", eigene Akzente zu setzen, die an Genre-Benchmarks wie "2001 – Odyssee im Weltall" und "Alien" erinnern und aus der generischen Masse gängiger Visual Effects herausstechen.

Nicht im Kino, nur bei Netflix

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Als Kinoerlebnis steht der Film allerdings nur in den USA und Kanada zur Verfügung. International erscheint "Auslöschung" am 12. März auf Netflix. Diesen bedauernswerten Umstand verdanken wir angeblich dem Sicherheitsbedürfnis des Hollywood-Studios Paramount. Schon vor beinahe zwei Jahren wurde die Produktion des Films abgeschlossen und die Film-Adaption des als unverfilmbar geltenden gleichnamigen Romans von Jeff VanderMeer einem Testpublikum vorgeführt. Ergebnis: Zu "intellektuell" und zu "verworren". Drehbuchautor und Regisseur Garland wehrte jedoch "Optimierungsvorschläge" des Studios erfolgreich ab. Als Reaktion verkaufte Paramount – zusätzlich durch den Flop von"Mother!"verunsichert – die internationalen Rechte an Netflix, um das Risiko eines Kinoflops zu minimieren.

Vielschichtiger Science-Fiction-Thriller

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Doch zurück zum Film: Zugegeben, durch den häufigen Wechsel zwischen verschiedene Zeitebenen ist "Auslöschung" nicht gerade kurzweilige Kost. Doch das macht den Film vielschichtig und spannend auf mehreren Ebenen. Da wäre zunächst das Science-Fiction-Setting: Vor drei Jahren schlug ein Meteorit im Küstengebiet von Florida ein. Seitdem breitet sich rund um die Einschlagsstelle eine schimmernde Zone immer weiter aus. Diese Zone, auch "Der Schimmer" genannt, trifft bald auf die ersten Städte. Alle Versuche das Phänomen einzudämmen oder das Innere der Zone zu erforschen, sind fehlgeschlagen. Niemand, der in den Schimmer gegangen ist, kam jemals wieder zurück – außer der Soldat Kane (Oscar Isaac), Ehemann von Lena. Doch seit seiner Rückkehr liegt er im Sterben. Multiples Organversagen, innere Blutungen. Um ihn zu retten, schließt sich Lena der neuen Mission in den Schimmer an.

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Damit wären wir bei der interessanten Konstellation der Charaktere: Die Gruppe von Experten oder Soldaten, die sich einer übermächtigen Gefahr als letzte Hoffnung entgegenstellen, ist eine bewährte Genre-Formel. Aber auch dieser gewinnt Garland neue Aspekte ab. Diesmal sind es keine knallharten Soldaten. Keine Superhelden. Nicht einmal Männer. Es sind fünf verunsicherte, ja sogar verzweifelte Frauen: neben Lena noch die Wissenschaftlerin Cass (Tuva Novotny), die junge Physikerin Josie (Tessa Thompson) und die Sanitäterin Anya (Gina Rodriguez). Geführt wird das Team von der Psychologin Dr. Ventress (Jennifer Jason Leigh). Jede Frau hat einen Grund mit dem Leben zu hadern. Kein Wunder. Warum sollten sie sich sonst freiwillig für eine Selbstmordmission melden. Der Selbstzerstörungstrieb ist genetisch in uns verankert, meint die Psychologin Dr. Ventress. Die Molekularbiologin Lena hält den Tod hingegen für einen "Fehler Gottes".

Fantastischer Überlebenskampf gegen unbekannte Bedrohung

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Im Inneren des Schimmers macht sich die Gruppe auf den Weg zum Leuchtturm im Zentrum des Phänomens. Diese Reise wird zu einem fantastischen visuellen Abenteuer und zu einem Überlebenskampf gegen eine unbekannte Bedrohung. Letztendlich ist "Auslöschung" aber auch eine philosophische Reise: Was macht unser Ich aus? Sind wir mehr als nur die Summe unserer kleinsten Bestandteile? Macht mehr Individualismus wirklich glücklicher? Und noch viel mehr Interpretationsmöglichkeiten bieten sich an. Trotzdem wirkt der brillante Genre-Film nicht überladen. Im Gegenteil: Dem Writer-Director Alex Garland ist mit "Auslöschung" nicht nur einer der intelligentesten, sondern auch einer der spannendsten Science-Fiction-Filme der vergangenen Jahre gelungen.

Risikoscheues Hollywood

Wirklich zu bedauern ist, dass der für die große Leinwand gemachte Film hierzulande nur via Netflix auf dem Small Screen zu sehen sein wird. Eine drastische Fehlentscheidung des Hollywood-Studios Paramount, die einmal mehr das Dilemma des Kinos verdeutlicht: Alles, was von bewährten Mainstream-Formeln abweicht, wird als kommerziell zu riskant eingestuft. Das Hollywood-Kino wird daher von generischen Blockbustern beherrscht, die binnen weniger Tage ihre riesigen Produktions- und Marketingbudgets einspielen müssen. Kreative und experimentelle Filmprojekte werden von Hollywood weitgehend gemieden und nur mehr von TV-Sendern oder bei Streaming-Anbietern wie Netflix, Amazon und Hulu realisiert.

Erwin Schotzger