"I'm a Bad Guy": Ein Langzeithäftling als Verleugnungs- und Überredungskünstler
Von Franco Schedl
Der nette alte Herr ist sichtlich gut aufgelegt und lässt sich von einem australischen Evergreen zum Mittanzen animieren. Wenig später sehen wir, wie er seine Tagesroutine beginnt: nach dem Erwachen auf der Schlafcouch absolviert er intensive Turnübungen, bereitet sich ein einfaches Frühstück, zeigt durch ein Gebet, dass er gläubig ist und scheint einen Reinlichkeitsfimmel zu haben, weil er ständig etwas zum Bürsten, Putzen und Wischen findet. Ungewöhnlich ist das alles aber ganz und gar nicht und man könnte sich fragen, ob diese Rentnerexistenz eine eigene Dokumentation rechtfertigt. Wäre da nicht das Bild einer Gefängniszelle, das zugleich mit dem irritierenden Titel eingeblendet wird.
Widersprüche zuhauf
Außerdem ist der Mann sehr mitteilsam: je länger man ihm zuhört, desto mehr Widersprüche treten zutage und man beginnt sich immer unbehaglicher zu fühlen: so stellt er sich gleich zu Beginn als Frauenheld dar, beteuert aber zugleich, weder die große Liebe noch Freundschaft zu kennen und sich seit jeher selbst genug zu sein. Bei seinem Schicksal war diese Selbstbezogenheit wohl überlebenswichtig: Der Mann heißt nämlich Adolf , hat die Hälfte seines 82jährigen Lebens hinter Gittern verbracht, ist aus Österreichs Kriminalgeschichte nicht wegzudenken, seit er durch einen spektakulären Gefängnisausbruch mit Geiselnahme Anfang der 70er Jahre von sich reden gemacht hat und hätte eigentlich erst wieder 2028 aus der Strafanstalt kommen sollen. Stattdessen wurde er bereits 2012 bedingt entlassen und ist nach Ende der Bewährungsfrist im Juni 2017 offiziell ein freier Mann.
Ein Mann mit vielen Seiten
„I’m a Bad Guy“ gibt uns einen Eindruck davon, wie er mit dieser Freiheit umgeht und was er von der Vergangenheit hält. Eine chronologisch erzählte Lebensgeschichte oder einen großen Rechenschaftsbericht will dieser Film freilich nicht bieten, sondern belässt seine Figur in Unschärfe - unfassbar und vieldeutig. Obwohl also viele Fragen offenbleiben, wird durch Susanne Freunds Porträt vor allem eines sehr rasch deutlich: Schandl verfügt über eine ausgesprochen manipulative Begabung. Es gelingt ihm immer wieder, Leute auf seine Seite zu ziehen, um sich Vorteile und Hilfe zu verschaffen. Auf diese Weise hat er seine derzeitige Wohnung erhalten, Freunde in Oberösterreich gefunden, Kontakte nach Ungarn geknüpft und wohl auch die vorzeitige Haftentlassung erwirkt. Nur beim Lieblingsplan seiner alten Tage kann auch all sein geballter Charme nichts ausrichten: die Einreise ins Traumland Australien wird ihm als Person mit so vielen Gefängnisjahren nicht gewährt.
Die eigene Wahrheit
Zugleich fabriziert sich Adolf Schandl seine eigene Wahrheit und schönt nach Herzenslust die früheren Taten: er findet immer eine Entschuldigung und äußert mit Seelenruhe absolut zynische Ansichten, falls er sich nicht gleich als besonders harten Burschen darzustellen versucht, der damit prahlt, wenn er in Besitz einer Kalaschnikow gewesen wäre, hätte er auf Geiseln verzichtet und sich seinen Weg freigeschossen. (Eine der Geiseln kommt auch selber zu Wort, aber solche Gegen-Stimmen sind eher die Ausnahme.) Und im nächste Moment faltet Schandl wieder über einer Mahlzeit die Hände, spricht bei Turnübungen vorm offenen Fenster ein Gebet, wäscht seinen Glastisch ab, führt ein lateinisches Zitat an oder singt sentimental angehaucht bei einem Peggy Lee-Song mit. Ein begnadeter Selbstdarsteller und großer Egozentriker, der wohl nichts ohne Hintergedanken tut - und ehe man sich‘s versieht, hat er sich auch bei uns eingeschmeichelt. Dafür, dass uns Susanne Freund diese irritierende Erfahrung beschert hat, werden ihr nicht nur Häfenbrüder + -schwestern dankbar sein.
8 von 10 Einzelzellen mit Fernsehanschluss
franco schedl