HOCHSPANNENDE UND INTELLIGENTE AMERIKA-KRITIK
Von Franco Schedl
Einmal im Jahr die Sau raus lassen und eine Nacht lang alle vorhandenen Gesetze brechen dürfen, ohne Angst vor Strafverfolgung haben zu müssen dieses staatlich verordnete Konzept nennt sich Purge und ist nicht nur im fiktiven Amerika der nahen Zukunft gut angekommen, sondern genauso beim Kinopublikum des Vorjahres. Nach den Worten von Autor und Regisseur James DeMonaco sollte der Film ursprünglich eher provokativ und weniger kommerziell sein doch nun ist er beides. Daher stand DeMonaco jetzt ein größeres Budget zur Verfügung und er hat sich eine würdige Fortsetzung des subversiven Indie-Thrillers ausgedacht.
Seine Grundabsicht ist aber die gleiche geblieben: der US-Gesellschaft einen Zerrspiegel vorzuhalten und uns allen eine ernüchternde Lektion in Sachen Gewalt, Waffenfetischismus, Geld und Klassenunterschiede zu erteilen. In The Purge: Anarchy ist ihm das sogar noch eine Spur besser gelungen, da der Film dank geänderter Ausgangssituation eine viel weitere Perspektive gewinnt: Wir tauchen erneut ein in die Purge-Nacht und erleben sie diesmal primär aus Sicht der ärmeren Bevölkerungsschichten. Hatte sich im ersten Teil fast die gesamte Handlung in den Innenräumen eines Vorstadthauses abgespielt, verlagert sich nun das Geschehen in die Straßen der Großstadt und völlig andere Charaktere treten auf. Außerdem wird immer deutlicher, welche infamen Ziele die Regierung eigentlich mit dieser zeitbegrenzten Legalisierung der Gewalt verfolgt.
Frank Grillo spielt einen hilfsbereiten Einzelkämpfer, über dessen eigentliche Beweggründe wir fast bis zuletzt im Unklaren gelassen werden. Eher unfreiwillig nimmt er vier Personen unter seinen Schutz, obwohl sie ihn vermutlich daran hindern, seine eigenen Ziele zu verfolgen - aber so ist das nun mal bei einem harten Kerl mit weichem Herz. Sein Gegenspieler ist ein Typ, der in dieser speziellen Nacht des Terrors unter dem Namen Big Daddy zum Anführer einer Killer-Truppe wird und im Schlächter-Outfit aus einem Truck heraus die Menschen mit Maschinengewehrgarben niedermäht. Aber auch die wirklich Reichen stellen in dieser Ausnahmesituation eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar: sie unterhalten sich dadurch, dass sie entführte Personen an die Meistbietenden versteigern. Die zu Freiwild erklärten Opfer müssen sich dann von ihren mit Nachtsicht-Brillen versehenen Peinigern durch ein dunkles Lagerhaus jagen und abknallen lassen. In solchen Momenten sind wir unversehens in eine Filmreihe wie Hostel geraten.
Das geniale Filmplakat zeigt übrigens eine etwas andere Version der amerikanischen Flagge, auf der sich die roten Streifen aus Handgranaten, Schlagringen, Messern und diversen Feuerwaffen zusammensetzen. Die gelungene Weiterführung der Purge-Reihe ist somit hochspannendes und intelligentes Terror-Kino auf höchstem gesellschaftskritischem Niveau in der würdigen Nachfolge eines George A. Romero. Wir würdigen das Werk mit 9 von 10 straffrei vergebenen Anarchiepunkten.