"Heilstätten" auf Netflix: Unheilvolle Angst-Challenge in Ruinen
In diesen Heilstätten herrscht eher Heulen und Zähneklappern. Der verfallene Gebäudekomplex im Umfeld von Berlin hat nämlich eine sehr bewegte und meist düstere Vergangenheit aufzuweisen. Besonders in der Nazizeit brachte die Einrichtung vielen Patienten statt Heilung den Tod.
Die Geisterstunde bricht an
Heutzutage steht das riesige Areal leer und zwar aus gutem Grund, denn es soll dort nicht mit rechten Dingen zugehen. Für ein paar junge, enorm beliebte YouTuber bieten die Heilstätten daher das ideale Betätigungsfeld – sie tragen eine Angst-Challenge in den Spukhäusern aus, um noch mehr Follower zu gewinnen. Mit haufenweise Equipment ausgerüstet, werden sie von einem professionellen Führer in das abgesperrte Gelände gelotst und beginnen, die Ruinen zu durchstreifen.
Überall sind Aufnahmegräte positioniert: egal ob Smartphone, Camcorder oder Nachtsichtgerät – hier wird jeder Schritt dokumentiert, und sei es nur durch Wärmebildkamera. Seltsame Geräusche, beunruhigende Blutspuren, Botschaften an den Wänden und ein rachsüchtiger Frauengeist lassen nicht lange auf sich warten, und jede Menge Motten kündigen stets das Unheil an. Die Stimmung der Beteiligten wird zusehends angespannter, bis schließlich nach einem Leichenfund alles in nackte Panik umschlägt. Die Geisterstunde ist angebrochen und das große Sterben kann beginnen.
Unerwarteter Plottwist
Weil es sich hier um eine klassische Found-Footage-Geschichte handelt, erhebt sich die Frage, wer das ganze Material denn nun im Endeffekt bearbeitet und einen zusammenhängenden Film daraus gemacht hat. Auch darauf erhalten wir eine Antwort, die uns ziemlich überraschen wird. Was nämlich die längste Zeit wie eine Kreuzung aus „The Blair Witch Project“ und „Paranormal Activity“ für das YouTube-Zeitalter aussieht, entwickelt sich nach einem Plottwist gegen Ende in eine gänzlich unerwartete Richtung, und der Horror verlagert sich vom Übernatürlichen noch auf ein anderes Feld.
Social Media-Kritik
Einerseits gibt es selbstironische Anspielungen auf das Genre, wenn etwa ein Teilnehmer das Geschehen folgendermaßen kommentiert: „Das ist jetzt eine typische Situation für einen Gruselfilm: werden sich die Figuren aufteilen oder zusammenbleiben?“ Andererseits bekommen wir immer wieder Social Media-Kritik geboten: auf das tiefe Niveau der meisten Videoblogger wird ebenso Bezug genommen, wie auf den unbändigen Schautrieb des Online-Publikums, dem gar nicht genug Abgeschmacktheiten und Gräuel geboten werden können. Leichte Anklänge an Hanekes „Funny Games“ waren da vielleicht tatsächlich beabsichtigt.
Die (un)echten Heilstätten
In den echten Beelitzer-Heilstätten gehen vermutlich keine Geister um. Dennoch ist der Ort auch nicht gerade geheuer, denn es haben sich dort bereits mehrere Morde und Selbstmorde ereignet; und dann gab es da noch den kleinen Gefreiten, der dort im Ersten Weltkrieg seine vorübergehende Erblindung durch Giftgas auskurierte – sein Name lautete Adolf Hitler (auch dieses Faktum lässt sich der Film nicht entgehen). Weil die heutigen Besitzer des Geländes offenbar nichts von Social Media oder Horror wissen wollten, haben sie den Filmemachern keine Dreherlaubnis erteilt. Deshalb ist Regisseur Michael David Pate in die ebenfalls berlinnahe Heilstätte Grabowsee ausgewichen. Da es dort aber genauso verfallen aussieht, wird wohl kaum jemand einen Unterschied bemerken.
Gelungene Angstmacherei
Pate, der bisher vor allem durch die grottige Zombie-Groteske „Kartoffelsalat“ aufgefallen ist, versteht sich diesmal auf effektvolle Angstmacherei. Während er beim vorigen Projekt fast nur Laien einsetzte, verlässt er sich diesmal zum Glück wieder auf professionelle Darsteller. Die jungen Akteure sind absolut authentisch und haben den YouTube-Stil vollkommen verinnerlicht, weshalb wir sofort bereit wären, sie mit unseren Likes zu unterstützen.
7 von 10 Motten im Mund
"Heilstätten" ist derzeit auf Netflix verfügbar.