GESCHWÄTZIGE ALICE IM DROGENLAND
Von Franco Schedl
Nach seinem 2. Besuch an der Wall Street und dem 3. filmisch festgehaltenen Großinterview mit Castro ist Oliver Stone als natural born director wieder zum harten Thriller zurückgekehrt, obwohl er kürzlich als Fürsprecher der weichen Drogen aufgetreten ist und die Vorzüge des Marihuana-Konsums gepriesen hat. Seine Sympathie gehört also zweifellos der Filmfigur Ben, die ihre aus der Drogenquelle sprudelnden Einkünfte für karitative Zwecke zur Verfügung stellt.
Besagter Ben (Aaron Johnson) betreibt mit seinem Freund Chon (Taylor Kitsch) in Eigenregie eine profitable Hanfplantage im Süden der USA. Sie teilen sich nicht nur die Profite brüderlich, sondern führen auch eine Dreierbeziehung mit der O genannten Ophelia (Blake Lively). Doch als sich die mexikanische Drogenmafia in Gestalt Salma Hayeks das gewinnbringende Unternehmen samt dem Know-How seiner beiden Betreiber einverleiben will und als Druckmittel O in ihre Gewalt bringt, beginnt es dramatisch und vor allem gewalttätig zu werden. Der traumatisierte Kriegsveteran Chon greift zu seiner Waffensammlung, während der Love&Peace-Typ Ben diesen Aktionen eher fassungslos gegenüber steht, doch auch an seinen Händen (und nicht nur dort) wird bald Blut kleben, denn das Drogengeschäft fordert von jedem seinen Preis; und Wilde sind sie schließlich alle zumindest in der Fremdeinschätzung. Die beiden Amerikaner bezeichnen die bedrohlichen Mexikaner als Savages und umgekehrt gilt das genauso.
Die stärksten Momente gehören drei Schauspielern, allerdings nicht jenen in den Titelrollen: John Travolta als beinahe kahlgeschorener schlitzohriger Drogenpolizist scheint eigentlich auf der Verliererseite zu stehen und hat einiges einzustecken, ehe er für eine Überraschung sorgt. Benicio del Toro spielt eine beängstigende Killernatur im Dienst der Drogenbaronin; und schließlich Selma Hayek als eben diese: es ist herrlich mit anzusehen, wenn sie durch Wutausbrüche ihre Untergebene in betreten zu Boden blickende Schulkinder verwandelt.
Obwohl Stone vor ultrabrutalen Szenen nicht zurückschreckt, hält er zugleich eine ganz subtile Folter für uns parat, indem er O als Off-Erzählerin einsetzt. Die geschwätzige junge Frau macht uns gleich im ersten Satz klar, dass wir nicht unbedingt mit ihrem Überleben rechnen müssen, auch wenn sie nun im Rückblick ihre Geschichte erzählt. Vermutlich hat sie Sunset Blvd. gesehen, in dem Billy Wilder einen ähnlichen Trick schon etliche Jahrzehnte früher einsetzte. Dazu kommen philosophische Einsprengsel über ihr Liebesleben, aber auch literarische Anspielungen kann sich O nicht verkneifen: seien sie nun shakespearehafter Natur (Kunststück, bei ihrem Namen) oder auch Lewis Carroll geschuldet: als sie z.B. als verängstigte Geisel am Tisch der Drogenlady sitzt, fällt ihr nichts besseres ein, als vom Hof der Roten Königin zu faseln. Und in einer entscheidenden Szene gibt sie zu erkennen, dass sie auch Hanekes Funny Games intus hat, denn sie stoppt einfach das Geschehen und setzt die Rücklauffunktion in Gang, um alles noch einmal unter anderen Vorzeichen abzuspulen. Als sie dann in einem ihrer letzten Sätze, die sie zu uns spricht, auch noch eine Wörterbuch-Definition des Begriffs Savage gibt, hören wir wahrscheinlich sowieso längst nicht mehr hin, weil man das Gerede gründlich satt bekommen hat.Kurz gesagt: O ist nur allzu offensichtlich der Phantasie einen schreibfreudigen Romanautors entsprungen.
Stone hingegen lässt sich immer wieder dazu hinreißen, ihre naseweisen Ausführungen durch Postkartenmotive zu bebildert und platziert sie mit wallenden Gewändern vor Sonnenuntergängen an Stränden. Dagegen wirken manche der reichlichen Folterszenen in ihrer ehrlichen Brutalität beinahe schon wieder beruhigend. Süchtig macht der Film zumindest nicht und erreicht auf der 10stelligen Bewegtbild-Abhängigkeitsskala eine matte 7.