GEPFLEGTER SPUKHAUS-GRUSEL
Von Franco Schedl
Die Weiße Frau, der Grüne Jäger, die Frau in Schwarz - die europäische Folklore enthält ein buntes Spektrum an Geistergestalten (und nach Hinzuziehung eines Parapsychologen ließen sich bestimmt auch noch rote, blaue oder violette Unholde herbei beschwören). Daniel Radcliffe jedenfalls wird als psychisch instabiler Rechtsanwalt mit einer tiefdunklen Gespensterfrau konfrontiert und muss sich in seinem ersten Filmeinsatz nach Harry Potter ganz ohne Hilfe eines Zauberstabs gegen sie zur Wehr setzen.
Die auf Susan Hills Roman basierende Geschichte ist in einem schauerromantischen England des frühen 20. Jahrhunderts angesiedelt, und die Themen Trauer und Verlust stehen im Mittelpunkt. Der durch den Tod seiner Frau aus der Bahn geworfene Anwalt Arthur Knipps wird beruflich in ein entlegenes Städtchen geschickt, das bedrohliche und übernatürliche Geheimnisse birgt und wo er alsbald in einem entlegenen leer stehenden Gebäude auf den Geist einer anderen toten Frau trifft - eine unglückliche Person, deren unruhiger Geist als posthume Hautbeschäftigung Kinder in den Selbstmord treibt.
Der junge Mann sollte im Spukhaus eigentlich Dokumente sichten, kommt aber nicht dazu, seiner Arbeit nachzugehen, da er unter den teilnahmslosen Augen mechanischer Spielfiguren durch das aufdringliche Phantom in Trauerkleidung von Raum zu Raum gelockt wird. In solchen langen Szenen mit unheimlichen Zimmerfluchten und düsteren Korridoren entfaltet der Film seinen gepflegten Horror, doch obwohl die Story in einer Tradition der viktorianischen Geistergeschichten steht, mischen sich unter James Watkins Regie immer wieder Elemente des zeitgenössischen japanischen Horrorkinos darunter, ohne dem Film deshalb zu schaden.
Drehbuchautorin Jane Goldman fügte im Unterschied zur Romanvorlage mit Kipps kleinem Sohn (der übrigens von Radcliffes echtem Patenkind gespielt wird) zwar eine wichtige Figur hinzu, hat aber für meinen Geschmack bei einer Schlüssel-Szene etwas zu intensive Anleihen bei Drag me to Hell genommen.
Mindestens ebenso zugkräftig wie der Name des Hauptdarstellers ist jener der Produktionsfirma: Hammer Films. Dieses historische Genre-Label - bis 1979 untrennbar mit britischem Grusel und Klassikern des Gothic Horrors verbunden - wird nun durch ein Unternehmen weitergeführt, das sich nach eigenem Bekunden auf intelligente Horrorfilme konzentrieren möchte. Die Frau in Schwarz war die vierte Produktion des Studios in über 30 Jahren.
Der Film kann aber als erfreulichen Nebeneffekt auch einen therapeutischen Wert aufweisen, denn Radcliffe spielt sich regelrecht frei von seinem Potter-Image: während man zu Beginn noch unweigerlich an den zauberhaften Jungen denken muss, sobald der Hauptdarsteller ins Bild kommt, bleibt dieser Assoziations-Effekt ungefähr ab der Halbzeit aus (obwohl solche Zeitangaben sicher individuell verschieden sind) und das bewirken nicht nur die Bartschatten in seinem Gesicht, sondern ein Umstand, der für viele vielleicht überraschend kommt: Radcliffe hat tatsächlich das Zeug zum Schauspieler.
Deshalb vergebe ich 9 ektoplasmatische Geisterfragmente in Schwarz.