Filmkritiken

GEFÄHRLICHES 'WER BIN ICH?' IN BERLIN

Ein Actionthriller, bei dem sich vor der Kulisse des heutigen Berlins alles um die verlorene Identität eines Wissenschaftlers dreht, kann eigentlich nur einen Spionagefall als Hintergrund haben, selbst wenn der Kalte Krieg mittlerweile erfolgreich abgetaut wurde. Ob man mit dieser ersten Vermutung tatsächlich richtig liegt, wird hier natürlich nicht verraten – nur so viel sei vorweggenommen, dass der Film genügend Finten bereithält, um unsere Grübellaune mit immer neuem Material zu versorgen (obwohl ich selber bereits nach Ansehen des Trailers auf der richtigen Fährte war, was aber vielleicht bloß dem professionellen Gespür eines Filmkritikers geschuldet ist).

Regisseur Jaume Collet-Serra versucht es seinem Vorgänger Hitchcock gleich zu tun und so ist es nur mehr als natürlich, mit „Mad Men“-Star January Jones eine jener klassischen Hitchcock-Blondinen mitmischen zu lassen, die hinter der glatten Oberfläche Abgründiges verbirgt.

Überhaupt wendet sich der Regisseur offenbar gerne Figuren zu, die vorgeben, etwas zu sein, was nicht der Wahrheit entspricht: in „Orphan“ war das ein vermeintliches Waisenkind und in „Unknown Identity“ treffen wir auf einen hochrangigen Wissenschaftler, der nach einem Autounfall in eine Identitätskrise gerät, weil es ihn plötzlich doppelt zu geben scheint – zumindest tritt unter seinem Namen ein anderer Mann auf, und selbst seine eigene Frau will ihn nicht wiedererkennen. Außerdem trachtet man ihm offensichtlich nach dem Leben, was dem kaum aus dem Koma Erwachte Gelegenheit bietet, erstaunliche Fähigkeiten an den Tag zu legen: er hält sich im Nahkampf erfolgreich einen Profikiller vom Leib und lenkt einen Wagen wie ein verhinderter Rennfahrer bei einer wilden Verfolgungsjagd durch den Berliner Stoßverkehr. Abgesehen von solchen Unwahrscheinlichkeiten, die als Zugeständnisse ans Actiongenre zu werten sind, bietet der Film intelligent-spannende Unterhaltung, und Collet-Serra schafft es über weite Strecken sehr gut, mit solch großen Vorbildern wie „Der zerrissene Vorhang“ oder „Der Mann, der zu viel wusste“ im Hinterkopf, ein Gefühl permanenter Bedrohung aufrecht zu erhalten. Nur nach der endgültigen Auflösung des Rätsels wird es zusehends unlogischer und die letzten paar Minuten bis zum noch pflichtschuldigst angestückelten allzu glatten Ende laufen nur nach Standardschema ab.

Obwohl die Romanvorlage eigentlich in Paris spielt, fiel die Wahl des Drehortes auf Berlin und dieser geänderte Schauplatz bringt einen speziellen Vorteil mit sich: etliche deutschsprachige Schauspieler müssen nun ihre Englischkenntnisse unter Beweis stellen. Etwa Sebastian Koch oder Bruno Ganz, dessen verschmitzter Gastauftritt als ehemaligen Stasi-Offizier, der mittlerweile auf Privatdetektiv umgesattelt hat, uns einige der besten Filmmomente beschert (v.a. wenn auch Frank Langella noch hinzukommt); nicht zu vergessen Karl Markovics in einer kleinen Arztrolle, die ihm kaum Gelegenheit gibt, sein Können voll auszuspielen. Und um die verbale Verwirrung vollends komplett zu machen, muss Diane Kruger in ihrer Heimatstadt gebrochenes Deutsch bzw. Englisch sprechen, weil sie eine illegale Einwanderin aus Bosnierin darstellt; zumindest verleiht sie dem Film dadurch einen sympathischen Akzent. Und ich verleihe ihm 7,5 Punkte auf meiner 10stelligen Identitätskrisenskala (auch wenn ich mich in der nächsten Minute womöglich nicht mehr daran erinnern kann).

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