Filmkritiken

GANZ TIEF UNTEN IN DER ÖSTERREICHISCHEN SEELE

Wenn Ulrich Seidl in den Untergrund geht, darf man sicher sein, dass er die dunkelsten Flecke der österreichischen Seele aufspüren wird. Sein Keller-Projekt ist allerdings gar nicht den skandalträchtigen Ereignissen der letzten Jahre geschuldet, sondern datiert aus Zeiten, als die Namen Priklopil und Fritzl noch kein Medienecho hervorgerufen hatten. Herr und Frau Österreicher können auch so jede Menge Abgründiges bieten, wenn sie erst einmal dazu bereit sind, ihre Kellertüren zu öffnen.

Durch einen burgenländischen Blasmusikfreund gewinnt der Ausdruck „Kellernazi“ neue Anschaulichkeit, denn das Souterrain in seinem Haus ist mit Nazi-Devotionalien ausstaffiert; die zentrale Stelle nimmt ein Hitler-Gemälde ein, das er vor laufender Kamera liebevoll abstaubt und als sein schönstes Hochzeitsgeschenk bezeichnet. In diesem braunen Untergrund hält er weinselige Zusammenkünfte mit seinen Musikerkollegen ab, während die Ehefrau offenbar nur im ersten Stock haust und niemals persönlich in Erscheinung tritt (aber vielleicht war sie ja auch bloß kamerascheu).

Wir treffen außerdem einen passionierter Großwildjäger vor einer Wand voll Trophäen, die er uns minutenlag genau benennt, sowie einen verhinderten Opernsänger, dessen Beruf darin besteht, Menschen an einem unterirdischen Schießstand in den Gebrauch von Waffen einzuweisen, wobei chauvinistische Sprüche mit Herrenwitzen und rassistischen Dialogen abwechseln. All das hört sich oft genauso an, als würden die Figuren eigentlich Texte von Gerhard Polt sprechen.

Es gibt viele seidltypische Bildkompositionen und tableauartige Stilleben, die dadurch entstehen, dass der Regisseur seine Protagonisten in deren vertrauten Umgebung stumm und starr posieren lässt - es könnten aber genauso gut Tatortfotos sein. Wie immer geht Seidl über das rein Dokumentarische hinaus, obwohl man ohne seine eigene Auskunft gar nicht auf die Idee kommen würde, dass etwa gewisse Szenen mit einer Puppenmutter nur gestellt sind: Diese Frau verschwindet demnach auf sein Geheiß wiederholt im Kellerabteil ihres Wohnhauses und entnimmt dort aus einer Schachtel ihre Babypuppe, mit der sie sich hingebungsvoll unterhält.

Gerade die Vorfälle im Nazi-Keller haben noch vor offiziellem Filmstart für politische Aufregung gesorgt. Es mag ja sein, dass Seidl Regieanweisungen gegeben und z.B. das Bildabstauben inszeniert hat, aber gerade dadurch wurde bloß ein an sich beschämender Tatbestand ein wenig zugespitzt und noch grotesker.

Selbst wenn einmal der ganz „normale“ Besitzer einer Spielzeugeisenbahn ins Bild kommt, wird das zu einer unheimlichen Erfahrung, weil der Mann hinter seiner Anlage und vor einer aufgemalten Gebirgskulisse mit leicht wackelndem Kopf wie ein seniler Alpenkönig thront.

Jugendliche Musiker oder ein paar Fitnessfreunde geben den 85 Filmminuten für wenige Sekunden den Anstrich des Gewöhnlichen und Unspektakulären, doch im nächsten Moment betreten wir dann schon wieder SM-Keller, wo eine Ehefrau mit ihrem willigen Sklavenmann eine hochdominante Beziehung praktiziert oder eine für misshandelte Frauen zuständige Caritas-Betreuerin von ihrem Partner masochistisch motivierte Prügel auf den nackten Hintern erhält.

Gefangenschaft könnte hier als Leitmotiv gelten: sei es jene durch die eigenen Obsessionen oder eine wörtlich zu verstehende. Der Film beginnt mit einer Puppe in der Schuhschachtel und endet mit einer lebendigen Frau in einem kleinen Gitterkäfig. Immerhin begeben sich alle Mitwirkenden freiwillig in solche misslichen Situationen, weil sie sich Lustgewinn davon versprechen. An uns liegt es nun, ob wir Lust-, Erkenntnis- oder sonstigen Gewinn aus Seidls neuem Werk ziehen – kalt lassen wird es auf jeden Fall keinen. Wir verleihen 9 von 10 Kellerasseln.

(franco schedl)
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