"Zwei an einem Tag": Lohnt sich die Serienversion von Netflix?
Von Maike Karr
In unserer Rubrik "Lohnt sich das?" stellen wir euch einmal wöchentlich einen Streamingtitel (Film oder Serie), der in aller Munde ist, vor, nehmen ihn genauer unter die Lupe und stellen für euch die altbekannte Frage: "Lohnt sich das überhaupt?" Lohnt es sich, dafür Zeit zu investieren? Ein Abo abzuschließen? Oder ein Abo zu beenden?
Emma ist eine Literaturstudentin mit Bestnoten, kommt aus eher bescheidenen Verhältnissen, hat indische Wurzeln und hohe Ambitionen. Dexter ist ein wohlhabender Student, der sich meistens auf sein Aussehen und seinen Charme verlässt und dementsprechend gut bei den Frauen ankommt.
Auf dem Abschlussball ihrer Uni in Edinburgh im Jahr 1988 funkt es sofort zwischen den beiden, sodass sie prompt eine Nacht miteinander verbringen – und reden. Aus dem anfänglichen Verliebtsein entwickelt sich eine Freundschaft, ja fast schon Seelenverwandtschaft, die trotz räumlicher Distanz noch viele Jahre anhält. Fortan verfolgen wir ihre Leben und ihre Beziehung jeweils an einem Tag, am 15. Juli.
Erst ein Buch, dann ein Film und nun eine Serie
2009 verfasste David Nicholls den Roman "One Day", der innerhalb kürzester Zeit zu einem globalen Bestseller wurde. Da verwundert es nicht, dass Hollywood sich schnell den Erfolg zu eigen machen wollte und das Werk 2011 mit Anne Hathaway und Jim Sturgess in den Hauptrollen verfilmte. Nun folgt die 14-teilige Serienversion von Netflix.
Ist die Netflix-Serie etwas für die Buchkenner:innen? Als Jugendliche habe ich das Buch quasi verschlungen und kann sagen, dass Nicole Taylor eine unglaublich authentische Adaption produziert hat: Emma und Dex fühlen sich noch wie Emma und Dex an. Das ungleiche Paar erwacht vor unseren Augen zum Leben und gibt einem genau das Gefühl, wie damals: Hoffnung, Sehnsucht und innere Zerrissenheit.
Ist "Zwei an einem Tag" etwas für die Fans des Films? Im Gegensatz zu den Buchfans wird es denjenigen, die die Verfilmung mit Hathaway und Sturgess kennen und lieben, schwerer fallen, die Serienversion anzunehmen. Die Hauptdarsteller:innen sehen natürlich anders aus (allen voran: Ambika Mod hat indische Wurzeln) und versprühen auch einen anderen Charme. Da die Erzählung voll und ganz von den zwei Stars getragen wird, ist deren Performance natürlich ausschlaggebend. Viele könnten sich daran stören, wie anders Em und Dex in der Serie anmuten.
Charmante Newcomer:innen
Es ist äußerst erfrischend, in einer mittelgroßen Netflix-Produktion wie "Zwei an einem Tag" noch Newcomer:innen zu sehen: So ist Leo Woodall (bisher!) nur wenigen ein Begriff und Ambika Mod kennen noch viel weniger. Das wird sich nun aber mit Sicherheit ändern.
So sollte man Dexter-Darsteller Leo Woodall im Blick behalten. Mit einer unglaublichen Ausstrahlung ist er in der Netflix-Serie der absolute Scene Stealer und wird deshalb noch große Aufmerksamkeit von Zuschauer:innen und Filmschaffenden bekommen. Dass sich der Brite schnell eine (vor allem weibliche) Fangemeinde aufbauen wird, steht ohnehin schon fest. Bereits in dem HBO-Hit "The White Lotus" hinterließ er in Staffel 2 mit der Rolle des charmanten und mysteriösen Briten Jack einen bleibenden Eindruck – und das trotz der starken Präsenz der vielen anderen Mitglieder des Star-Ensembles.
Im strahlenden Licht von Leo Woodall geht Ambika Mod zwar etwas unter, weiß aber trotzdem zu glänzen und spielt recht überzeugend.
Diese Schwäche hat "Zwei an einem Tag"
Im Gegensatz zu dem Buch und dem Film ist Emma in der Netflix-Serie eine junge Frau mit indischer Herkunft. Das ist natürlich überhaupt kein Problem. Was aber sehr wohl problematisch ist, ist, dass ihre Rolle gar nicht dementsprechend inszeniert wird. Zum einen erfährt man kaum etwas über ihre Identität und Herkunft: Sie ist Hindu. Punkt. Aus. Ihre Eltern bekommt man, im Gegensatz zu Dexters Eltern, nie zu Gesicht. Warum?
Zum anderen ist es doch eher unwahrscheinlich, dass eine Frau mit indischen Wurzeln in den 1990ern keinen Rassismus erleben musste. Um die Netflix-Serie ihrer Zeit entsprechend und Emma ihrer Herkunft entsprechend zu inszenieren und realistisch zu bleiben, hätte man zumindest einmal das Thema Rassismus anschneiden müssen. Stattdessen tut man, als ob Emma und Dexter (abgesehen von ihren Finanzen) die gleichen Privilegien genießen würden, was leider dann doch eher weniger der Realität entspricht.
I am feeling 22
Die Netflix-Serie fasst (zumindest in den ersten vier Episoden) das Lebensgefühl der Zwanziger unglaublich gut zusammen und wird dadurch äußerst greifbar für Zuschauer:innen. Gerade Menschen rund um dieses Lebensalter werden mit den zwei Protagonist:innen mitfühlen: Dexter möchte nichts als reisen und drückt sich lieber vor der Entscheidung, was er mit seinem Leben machen möchte. Emma dahingegen ist zerfressen von Selbstzweifeln, Geldsorgen und Zukunftsängsten. Auch das große Thema Sexualität steht zwar ständig, dafür aber subtil im Raum. Willkommen in euren Zwanzigern.
Die Zeit vergeht wie im Flug
"Zwei an einem Tag" ist sehr bingeable. Das liegt zum einen an den Episoden, die nur 30 Minuten lang sind und somit schneller vorbei sind als man schauen kann. Ein anderer Faktor ist die Erzählstruktur. Dadurch, dass jede Folge in einem neuen Jahr und meist auch an einem neuen Ort spielt, bekommt das Publikum ständig etwas Neues geboten – vor allem, weil sich Emma und Dexter in dem Jahr auch verändert haben und wir Neues über ihr Leben und ihre Beziehung erfahren.
Apropos: Das ist auch eine der Vorteile der Serienversion. Statt knapp zwei Stunden hat Netflix sieben Stunden Zeit, um 18 Jahre des Lebens von Dexter und Emma darzustellen. Es ist der Serie deutlich anzumerken, dass sie viel tiefer in die Charaktere eintauchen kann, indem sie auch mal scheinbar nebensächliche Szenen zeigt. Somit entstehen multidimensionale Figuren und eine mit Leben gefüllte Geschichte, aus der man auch nach sieben Stunden nicht entfliehen möchte. Man will immer mehr von den Figuren wissen, immer mehr in ihr Leben eintauchen. Diese kleinen Ausschnitte aus ihren Leben reichen beinahe nicht.
Lohnt sich "Zwei an einem Tag"?
Hier wird einem keine flache RomCom geliefert, sondern "Zwei an einem Tag" regt zum Nachdenken und Mitfühlen an. Vor allem Menschen in ihren Zwanzigern werden sich von der Erzählung sehr angesprochen fühlen. Abgesehen davon, ist die Serie gut bingeable – vor allem, weil die Figuren so greifbar sind, dass man immer mehr in ihre Leben eintauchen möchte. Gerade Leo Woodall trägt zur Leichtigkeit der Netflix-Serie bei und ist mit seinem Charme ein richtiger Scene Stealer.
Wertung: 4 von 5 Sternen
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