Filmkritiken

"Vice - Der zweite Mann" auf auf ServusTV : Politmanipulator

Normalerweise erarbeiten sich Schauspieler ihre Rollen und versuchen, durch genaues Quellenstudium in die Figuren hineinzuschlüpfen. Christian Bale ist da noch wesentlich extremer und erfuttert sich die Rolle, wenn er gewichtige Persönlichkeiten spielt, weil er von künstlichen Hilfsmitteln wie Fat Suits nichts hält. Für seine Transformation in Vize-Präsident Dick Cheney hat er fast 25 Kilo zugelegt und schaffte das hauptsächlich durch den Verzehr von Pies.

Trotzdem war nicht nur sein Körperumfang, sondern auch sein wacher Geist gefragt, denn Regisseur Adam McKay setzte bei vielen Dialogen auf das Improvisationstalent seiner Darsteller und so musste Bale mit Cheneys Denkweise und politischen Ansichten genau vertraut sein, um in der jeweiligen Situation das Passende zu sagen.

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Cheneys politischer Aufstieg

Zunächst sieht es ja eher nach einer verkrachten Existenz aus: der Studienabbrecher Dick Cheney schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch und kann die Finger vom Alkohol nicht lassen. Wieso es dem Jungen aus Lincoln, Nebraska, dann trotzdem gelang, eine steile politische Karriere hinzulegen, die ihn zunächst Stabschef des Weißen Hauses, dann Verteidigungsminister unter Bush sen. und schließlich  sogar Vizepräsident der Vereinigten Staaten an der Seite von George W. Bush werden ließ, macht diese bitterböse Politsatire transparent. Traurige Berühmtheit erlangte er aber als unerbittlicher Kriegstreiber, auf dessen Konto hauptsächlich der Irakkrieg als Folge des 11. Septembers, die Lüge von Saddams angeblichen Massenvernichtungswaffen und das Erstarken des ISIS gehen. Ein zutiefst machtgieriger und unsympathischer Charakter, der zuletzt auch nicht davor zurückschreckt, seiner eigenen lesbischen Tochter einer politischen Taktik zuliebe in den Rücken zu fallen. Aber vor allem hat er durch seine Kriegs- und Machtgier die Leben hunderttausender Menschen auf dem Gewissen und es obendrein gutgeheißen, dass Personen überwacht, verschleppt und gefoltert wurden.

 

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Satire gegen den unheilvollen Machtwahn

Eigentlich ist dieser Vize der erste Mann im Staat, obwohl er sich gerne im Hintergrund hält: durch geschicktes Taktieren gibt er den Ton an und lässt Präsident Bush (Sam Rockwell) wie seine Bauchrednerpuppe erscheinen. Cheney selbst wird wiederum durch seine ehrgeizige Ehefrau (Amy Adams) angetrieben, die sogar eine Wahl für ihn gewinnt, als er nach einer Herzerkrankung kürzertreten muss. Versagt vor dieser überwältigenden Realität nicht jede Form von Humor?  Adam McKay belehrt uns eines Besseren: wie jeder große Satiriker ist er zugleich ein echter Menschenfreund, den angesichts von Cheneys Treiben ein gerechter Zorn erfüllt. Er legt daher eine gnadenlose Schärfe an den Tag, die immer schmerzhaft genau ins Ziel trifft. McKay seziert seine Hauptfigur regelrecht; ja, einmal dürfen wir sogar einen Blick in - oder zumindest auf - Cheneys Herz werfen. 

 

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Filmische Vorstudien

McKay, der sich gerade diesmal eindeutig als Geistesbruder von Michael Moore erweist, hat sich mit seinen früheren Werken bereits perfekt auf diesen Film vorbereitet: immerhin kennt er sich hinter den Kulissen der Medienwelt aus (siehe seine beiden „Anchorman“-Teile), weiß zudem, wie es an der Wall Street läuft („The Big Short“) und durchschaut  folglich auch die Verfilzungen zwischen Politik und Hochfinanz. Daher kann er genau nachvollziehen, was sich auf der politischen Bühne Amerikas abspielt, welche Interessensklüngel auf welche Weise ihre Pläne durchsetzen, und wie durch großangelegte Medienkampagnen die Bevölkerung manipuliert wird.  In der massigen Gestalt von Dick Cheney (Christian Bale ist niemals überzeugender gewesen) lässt er uns an diesem Wissen teilhaben, während er seinen Lieblingsdarsteller Steve Carell diesmal als Donald Rumsfeld - Cheneys Partner in (War)Crime  -  eingesetzt hat

 

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Absurde Höhepunkte

Mit einer genial kunstvoll gebrochenen und verschachtelten Erzählweise, die ganz schnell zwischen den Zeitebenen wechselt, ist "Vice" der absolute Höhepunkt im Schaffen des großen Satirikers Adam McKay. Manche Szenen könnten direkt von den Monty Python‘s sein: etwa wenn sich Cheney und seine Helfershelfer in einem Nobellokal vom Küchenchef die Speisekarte anpreisen lassen; bloß sind auf der keine Gerichte enthalten, sondern politische Gemeinheiten (darunter auch Guantanamo) - und natürlich bestellen sie alles, was auf der Karte steht. Oder wenn das Ehepaar Cheney beim nächtliche Pläneschmiede im Bett plötzlich in Shakespeare-Englisch zu reden beginnt, als würden die beiden Mr. & Mrs. Macbeth heißen.
Und wer ist eigentlich der anonyme Erzähler, dessen Stimme uns durch den Film begleitet und der auch regelmäßig selber in Erscheinung tritt?  Was hat dieser amerikanische Familienvater, der seinen Kriegsdienst in Afghanistan absolviert hat und ansonsten ein ganz normaler Durchschnittsbürger sein dürfte, mit Cheney zu schaffen? Die Auflösung ist so unerwartet absurd (und traurig), dass man es einfach gesehen haben muss.

Auch mit dem Abspann spielt McKay: schon in der Filmmitte lässt er ihn beginnen, obwohl da noch gar nicht Cheneys große Stunde gekommen ist. Und als dann nach knapp 2 Stunden der echte Abspann läuft, wird er durch eine herrliche Szene unterbrochen, in der ein paar Teilnehmer einer Umfrage über den gerade gesehenen Film "Vice" ins Streiten geraten.

Das ergibt bei uns unstreitig folgende Wertung: 5 von 5 Ködern an der Angel des Menschenfischers Cheney.

"Vice – Der zweite Mann"  ist am 5. März um 20:15 auf ServusTV zu sehen.