Filmkritiken

"Tolkien": Unterwegs zum Hobbit

J. R. R. Tolkien hat einen der spektakulärsten Fantasy-Zyklen der Weltliteratur geschaffen und dieses Genre eigentlich erst begründet. Doch wodurch wurde er inspiriert; und führte er selber auch ein spektakuläres Leben oder war er bloß ein langweiliger, versponnener Professor, der in Oxford Altenglisch unterrichtet hat und in seine Fantasiewelt abgetaucht ist, aber von der Realität nicht allzu viel mitbekam? Auf solche Fragen will dieser Film Antworten geben.  

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Rückblick im Schützengraben

In einem Schützengraben des Ersten Weltkrieges während der Somme-Schlacht lässt der kranke und geschwächte Tolkien sein bisheriges Leben wie im Fiebertraum noch einmal an sich vorüberziehen, womit ein glaubwürdiger Einstieg gefunden wäre.  Mit 12 ist der in Südafrika geborene Junge schon Vollwaise geworden und wird bis zur Volljährigkeit von einem Priester unterstützt. Während der Schulzeit schließt er mit drei anderen künstlerisch begabten Außenseitern unter dem Kürzel T. C. B. S. (Tea Club – Barrovian Society) einen engen Freundschaftsbund, und in der Pension, wo er bei einer sehr britischen alten Dame untergebracht ist, lernt er eine ebenfalls elternlose junge Frau kennen – es ist seine spätere Ehefrau Edith (Lily Collins), obwohl ihre Beziehung zunächst unter keinem guten Stern zu stehen scheint.

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Ein Leben für die Phantasie

Der finnische Regisseur Dome Karukoski lässt in seinem ersten englischsprachigen Film mit großer Liebe zum Detail das ländliche England des frühen 20. Jahrhunderts wieder auferstehen und hat in Nicholas Hoult („Mad Max: Fury Road“, „Warm Bodies“) einen glaubwürdigen Hauptdarsteller gefunden. Diesem Mann nimmt man sofort ab, dass er ganz seiner Vorstellungskraft hingegeben ist und die Welt des Wunderbaren jederzeit betreten kann: oft genügt ein Schattenspiel von Zweigen auf der Zimmerdecke, um seine Imagination zu beflügeln und auf dem Schlachtfeld nehmen vor seinen fiebrigen Augen die Rauchschwaden ganz eigene mythische Gestalten an. Seit früher Jugend kritzelt Tolkien Blätter mit Zeichnungen von seltsamen Wesen und fremdartigen Landschaften voll, aber auch Worte üben einen besonderen Reiz auf ihn aus und er beginnt bereits als Halbwüchsiger, Fantasiesprachen zu erfinden. Ausgerechnet durch einen betrunkenen nächtlichen Auftritt vor den Fenstern der Oxford-Professoren erregt er die Aufmerksamkeit eines Philologen und findet so sein Aufgabengebiet als Sprachwissenschaftler. 

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Ein Paar ergänzt einander

Im wunderbaren Zusammenspiel zwischen Hoult und Lily Collins wird deutlich, wie sehr die beiden Figuren einander ergänzen, denn Edith bringt den schüchternen Jungen durch ihre Hartnäckigkeit zum Erzählen und lustvollen Fabulieren, während Tolkien dem eingeengt lebenden Mädchen ganz neue Perspektiven eröffnet. So will er sie in die Oper zu einer Aufführung von Wagners „Der Ring des Nibelungen“ einladen, doch weil die billigeren Karten ausverkauft sind, erleben sie auf einem geheimen Platz hinter der Bühne eine noch viel bessere Vorstellung, bei der sie ihre eigene Oper inszenieren. Natürlich wäre es naiv, zu glauben, dass sich alles genau so zugetragen hat, aber man darf das Leben eines Schriftstellers, der so viele Fantasy-Mythen geschaffen hat, ruhig ebenfalls ein bisschen mythisieren. Folgerichtig endet der Film damit, dass Tolkien – inzwischen Professor, Ehemann und dreifacher Vater – den berühmten Eröffnungssatz des „Hobbit“ in Schönschrift zu Papier bringt: „In a hole in the ground there lived a hobbit.“

3 ½ von 5 schönen Hobbit-Wohnhöhlen