Filmkritiken

"The Whale": Wenn der Fat Suit Trauer trägt

2012 sah Filmregisseur Darren Aronofsky “The Whale”, ein Theaterstück über einen mehrgewichtigen und tieftraurigen Uni-Professor. Das Werk beeindruckte ihn so sehr, dass er anfing, an einer Verfilmung zu feilen. Nur der passende Darsteller für die fordernde Hauptrolle ließ sich einfach nicht finden ... 

Schneller Vorlauf bis heute: “The Whale” läuft nun endlich auch bei uns in den Kinos. In der diesjährigen Award-Saison hat der Film schon zahlreiche Auszeichnungen eingesackt – darunter drei Oscars. Der wahre Gewinner dieser Erfolgsgeschichte ist jedoch nicht Regisseur Aronofsky selbst, sondern Brendan Fraser, der schließlich in einen “Fat Suit” und somit in oben erwähnte Rolle schlüpfte.

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War Fraser die richtige Wahl?

Ohne viel vorgreifen zu wollen: Fraser spielt sich in diesem Film die Seele aus dem Leib und hat seinen Oscar als Bester Hauptdarsteller redlich verdient. Aber ist Aronofsky die Wahl wirklich gelungen? Schließlich hätte er auch einen mehrgewichtigen Schauspieler engagieren können, statt Fraser in einen ausgepolsterten Anzug zu stecken. 

Dieser Vorwurf ist berechtigt und weist auf ein tiefgreifendes Problem Hollywoods hin. Um jedoch den Rahmen dieser Review nicht zu sprengen, sei gesagt, dass der Schauspieler nicht nur mit der US-Non-Profit-Organisation Obesity Action Coalition (OAC) eng zusammengearbeitet hat, sondern diese ihm auch offiziell zum Oscar-Sieg gratulierte.

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Von wegen Happy Family

In “The Whale” spielt er Uni-Professor Charlie, der sich seiner 17-jährigen, entfremdeten Tochter Ellie (Sadie Sink) annähern will, indem er als Ghostwriter ihre Schulaufsätze schreibt. Als sie noch ein Kind war, hatte er die Mutter und sie für einen jungen Studenten verlassen, mit dem er daraufhin einige Jahre lang in einer vermeintlich glücklichen Beziehung lebte. 

Auf den Tod seines Partners reagierte Charlie mit zwanghaftem Essverhalten, weshalb er nun an die 300 Kilogramm wiegt und sein Haus nicht mehr verlassen kann. Weder Ellie noch seine Freundin und Krankenschwester Liz (Hong Chau) dringen wirklich zu dem Trauernden durch. Nur ein junger Evangelist (Ty Simpkins) erregt seine Aufmerksamkeit und wird so in die Familienabgründe hineingezogen …

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Versteckt euer Gefühlszentrum!

Ebenso wie das Publikum, welches sich zwar durchaus auf ein sentimentales Drama eingestellt hat, aber wahrscheinlich nicht auf diesen Ritt durch den Marianengraben der Emotionen. Mit seiner expressiven Filmsprache trampelt Aronofsky fast schon gewaltvoll auf den Tränendrüsen des Publikums herum. Die deprimierende Farbgestaltung und die Klaustrophobie des Kammerspiels – welche stark von einer regnerischen und deshalb ebenso abweisenden Außenwelt kontrastiert wird – tun ihr übriges.

Dass die Geschichte in einer fast schon übertriebenen Katharsis mündet, ist gewollt: Samuel D. Hunter, Theaterdramaturg und Urheber des Stückes, hat es schon im Original drauf angelegt, die Reizbarkeit der Zusehenden zu testen.

Kurzum: “The Whale” ist ein Meisterstück der emotionalen Manipulation. Das wäre eventuell ertragbar, wenn das Publikum zumindest einen Moment des Durchatmens hätte, einen Lichtblick oder Hoffnungsschimmer. Nix da, sagt Aronofsky und stellt fröhlich eine weitere Figur vor, bei der man die Sympathie mit der Lupe suchen muss.

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Schockmomente, wo Subtilität gefragt ist

Es ist sehr leicht, sich von diesem Unwohlsein mitreißen zu lassen und dabei die Untertöne zu verpassen. Der überproportionale Körper der Hauptfigur ist nämlich nicht nur ein bildlicher Ausdruck von seelischem Leid, sondern dient zur Veranschaulichung der basalen Macht, die jedem Menschen innewohnt. 

Trotz der aus psychologischer Sicht interessanten Thematik nutzt der Film inflationär extreme Bilder, um zu schocken. Die Würde Charlies geht dabei mitunter sogar komplett verloren, wobei fraglich ist, womit die Figur das verdient hat. An dieser Stelle sei auch gesagt, dass Hunter das Mehrgewicht seines Charakters erst später hinzufügte, um die Distanz zwischen Charlie und dem Publikum weiter zu vergrößern – was (leider?) auch gelingt.

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Am Ende Optimismus?

“Moby Dick”, der Literaturklassiker von Herman Melville, wird in dem Film nicht umsonst zigmal zitiert (etwa mit dem Titel selbst!) – Charlie kann, ähnlich wie Kapitän Ahab, dem Strom der eigenen Gefühle nicht mehr entkommen. Doch während Ahab glaubt, seine Erlösung im Fang des Wales zu finden, scheint Charlie nicht davon überzeugt, im Diesseits echten Frieden zu finden. 

Dem Publikum – sofern es nicht schon verfrüht den Kinosaal verlassen hat – winkt am Ende von “The Whale” zumindest ein Hauch von Optimismus. Ob das ausreicht, um die zuvor vergossenen Tränen wettzumachen, das muss jeder und jede selbst entscheiden.

2,5 von 5 verbrauchten Taschentüchern


"The Whale" ist seit dem 28. April im Kino zu sehen. Hier geht's zu den Spielzeiten.